Wahl in Nigeria: Der Inkompetente und der Korrupte

Nr. 8 –

Zwei unbeliebte Kandidaten und eine Verschiebung in letzter Minute: Trotz widriger Umstände glauben die meisten BürgerInnen des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas weiter an die Demokratie.

Millionen von Nigerianerinnen und Nigerianern hatten im Lauf der vergangenen Woche eine beschwerliche Reise in ihre Heimatorte unternommen. Nur dort sind sie wahlberechtigt. Am frühen Samstagmorgen standen etliche eifrige StaatsbürgerInnen bereits vor den Wahllokalen Schlange, die in fünf Stunden öffnen sollten.

Genau zu diesem Zeitpunkt jedoch verkündete die Unabhängige Nationale Wahlkommission, dass die 120 000 Wahllokale geschlossen bleiben würden – und dass die Präsidentschaftswahl um eine Woche verschoben sei. Schon die Wahlen vor vier und acht Jahren waren verschoben worden, aber nicht annähernd so kurzfristig.

Wut und Zuversicht

«Wir sind total enttäuscht und wütend», ruft Mma Odi in der Hauptstadt Abuja ins Telefon. Die Generalsekretärin der Bürgerrechtsorganisation Alliance for Credible Elections (ACE) ist an diesem Montagmorgen gerade auf dem Weg ins Büro. «Es gab schon länger Anzeichen dafür, dass das Wahlmaterial nicht rechtzeitig in allen Lokalen ankommt. Doch Kommissionsmitglieder haben noch am Freitag jegliche Probleme abgestritten. Das ist es, was uns – und viele Wähler – besonders wütend macht: dass wir angelogen werden.»

Eigentlich sollten die Freiwilligen der «Allianz für glaubwürdige Wahlen» am Montagmorgen längst die Auszählung der Stimmen überwachen. Stattdessen starten Odi und ihre KollegInnen nun eine neue Kampagne. «Menschen, die in Armut leben, erbringen grosse Opfer für eine solche Wahl; die Reise an den Ort, an dem sie wahlberechtigt sind, ist für sie teuer, und sie haben tagelang kein Einkommen», sagt die ACE-Generalsekretärin. «Jetzt kommt noch eine zusätzliche Woche hinzu. Wir wollen die Leute davon überzeugen, dass ihre Stimme wichtig ist.»

Odi ist zuversichtlich, dass die Wahlbeteiligung trotz Verschiebung in etwa gleich bleibt und auch nicht zuungunsten der Armen verzerrt wird: «Jemand, der so grosse Opfer auf sich genommen hat, um wählen zu können, wird auch noch eine Woche länger ausharren.»

«Spektakel der Verzweiflung»

Dabei ist eigentlich nicht ersichtlich, warum dieser Wahlgang überhaupt solche Opfer wert sein könnte. Zumindest die beiden Kandidaten, die eine Chance auf den Sieg haben, lösten bisher mehr Abscheu denn Begeisterung aus. «Ein Spektakel der Verzweiflung»: So betitelte der nigerianische Medienunternehmer und Autor Chude Jideonwo die Präsidentschaftswahl im US-Magazin «Ozy». Die NigerianerInnen stünden vor einer «tristen Wahl zwischen Inkompetenz und Korruption».

«Inkompetenz» steht für den aktuellen Präsidenten Muhammadu Buhari. 2015 eroberte dieser mit drei Versprechen das Amt: Er wollte die Korruption im Staat stoppen. Er versprach mehr Sicherheit, nicht zuletzt durch die Bekämpfung der Terrororganisation Boko Haram. Und dann sollte auch die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen. Doch in allen drei Belangen steht Nigeria heute schlechter da als vor vier Jahren.

Das Etikett «korrupt» hängt indes dem Herausforderer Atiku Abubakar an, einem Unternehmer und früheren Vizepräsidenten, der – wohl zu Recht – beschuldigt wird, einen Teil seines riesigen Vermögens durch dubiose Geschäfte angehäuft und illegal in die USA geschafft zu haben. Klar belegt ist, dass er Bekannten versprach, sie reich zu machen, falls er die Wahl gewinnen sollte.

Jideonwo, der für dieses Jahr das «Spektakel der Verzweiflung» ankündigte und den Präsidenten als inkompetent bezeichnet, war 2015 noch Kommunikationsleiter für den damaligen Herausforderer Buhari. Damals gerade 29 Jahre alt, hatte Jideonwo kurz zuvor eine Essaysammlung veröffentlicht mit dem Titel «Are We the Turning Point Generation?» – zu Deutsch etwa: Sind wir die Generation der Wende?

Obwohl Buhari schon damals über siebzig Jahre alt war und drei Jahrzehnte zuvor nach einem Militärputsch bereits als undemokratisches Staatsoberhaupt agiert hatte, sollte er 2015 die erhoffte Wende vorantreiben. «Vor vier Jahren war Buhari der absolute Hoffnungsträger der jungen, demokratischen Kräfte», sagt Jideonwo in seinem Büro in der Wirtschaftsmetropole Lagos. Die Demokratische Volkspartei PDP hatte den Staat bis dahin dominiert, da sie nach dem Ende der Militärdiktatur 1998 sämtliche Regierungen gestellt hatte. «Die PDP-Führung wurde immer arroganter und monopolisierte die Macht», sagt Jideonwo.

Tatsächlich wurde Buhari 2015 der erste Oppositionskandidat in der Geschichte Nigerias, der eine demokratische Wahl gegen einen amtierenden Präsidenten gewann. «Heute ist es leider Buhari, der autoritäre Tendenzen aufweist», sagt Jideonwo. «Deshalb habe ich es abgelehnt, noch einmal für ihn zu arbeiten. Als Geschäftsmann wäre das lukrativ gewesen, aber als Bürger musste ich Nein sagen.»

Stattdessen ist Jideonwo heute Kommunikationsstratege für den Oppositionskandidaten Kingsley Moghalu. Obwohl der 55-jährige Wirtschaftsprofessor – wie etwa auch die gleichaltrige Entwicklungsexpertin, Aktivistin und Exministerin Oby Ezekwesili – nicht nur kompetent, sondern auch beliebt ist, haben nur die Kandidaten der beiden dominierenden Parteien Siegeschancen.

Demokratische Opfergaben

Die sogenannten Drittparteien hätten sich in einem Wahlbündnis zusammenschliessen müssen – was Ezekwesili wenige Wochen vor der Wahl noch erfolglos zu ermöglichen versuchte, indem sie freiwillig aus dem Rennen schied. «Kandidaten der kleinen Oppositionsparteien haben schon vorher Koalitionsgespräche geführt», sagt Jideonwo. «Ich war da auch dabei, aber das braucht wohl noch mehr Zeit. Ich hoffe, dass sich die Drittparteien für den nächsten Wahlkampf 2023 auf eine gemeinsame Führungspersönlichkeit einigen können.»

Gemäss Umfragen muss Präsident Buhari aber schon dieses Wochenende fürchten, abgewählt zu werden. Besonders seit der Wahlverschiebung wirkt er nervös. An einer Krisensitzung seines Parteienbündnisses APC sagte er öffentlich, dass diejenigen, «die das Wahlsystem stören» wollten, dies «auf Kosten ihres eigenen Lebens tun».

«Mit solchen Todesdrohungen schürt Buhari die Gewalt im Umfeld der Wahlen», sagt der Journalist und Demokratieforscher Nwachukwu Egbunike. Er ist mit dieser Einschätzung nicht allein, wie der Aufschrei zeigt, der gerade durch die sozialen Medien geht. «Die Spannungen sind sowieso schon sehr hoch», sagt er, «obwohl Buhari und Abubakar im Dezember einen Friedenspakt unterzeichnet haben.»

Von «Krieg» und «Frieden» bei Wahlen in Nigeria zu sprechen, ist nicht fehl am Platz. 2011 starben 800 Menschen; 2015 waren es vor der Wahl 58. «Als Goodluck Jonathan vor vier Jahren verlor, griff er gleich zum Telefon und gratulierte Buhari», sagt Egbunike. «Deswegen blieb die Lage nachher friedlich. Das könnte nun ganz anders werden, falls Buhari verliert.»

Trotzdem ist Politikbeobachter Egbunike ähnlich optimistisch wie die Demokratieaktivistin Mma Odi oder der Medienunternehmer Chude Jideonwo: «In diesem Jahr feiern wir das Zwanzig-Jahr-Jubiläum der demokratischen Wende», sagt der Vierzigjährige. «Die Nigerianer sind bereit, grosse Opfer zu bringen, weil sie die Erfahrung machen, dass ihre Stimme wirklich zählt. Früher war klar, dass im grossen Stil manipuliert wurde. Heute gibt es berechtigte Hoffnung auf freie und faire Wahlen.»