Sachbuch über Corona: Wie man Pandemien vorbeugt

Nr. 39 –

Im Strudel der Covid-19-Pandemie geht die Frage nach den Ursachen gerne vergessen. Der Biologe Rob Wallace schreibt in seinem neuen Buch gegen die industrielle Landwirtschaft und die Versäumnisse der Politik an.

Es gilt, kleinere Betriebe zu unterstützen, um die genetische Monokultur der Nutztiere zurückzudrängen: Schweinezucht in Schleswig-Holstein. Foto: Alamy

Die Covid-19-Pandemie hat uns das kleine Einmaleins von Virologie und Seuchenbekämpfung beigebracht. Wenn bis vor kurzem noch kaum jemand etwas mit Begriffen wie Aerosol, Reproduktionsrate oder Tröpfcheninfektion anfangen konnte, so wird nun gefachsimpelt, was das Zeug hält. Reicht es, stündlich einmal gut zu lüften, um das Ansteckungsrisiko in einer Kneipe zu minimieren? Welcher Abstand ist in der Bahn gerade noch vertretbar, und welche Sorte Gesichtsmaske schützt nicht nur die anderen, sondern auch mich? Die politischen Diskussionen kreisen um die Frage, welche Einschränkungen des öffentlichen Lebens noch gerechtfertigt sind und wie mit der um sich greifenden Coronaskepsis umzugehen ist.

Was in den einschlägigen Podcasts bislang genauso fehlt wie in den allermeisten Beiträgen in den Medien, ist die Untersuchung der Ursachen der Pandemie und die Frage, wie in Zukunft die weltweite Ausbreitung eines gefährlichen und hoch ansteckenden Virus verhindert oder eingedämmt werden kann. Insofern kommt der New Yorker Wissenschaftler Rob Wallace gerade zur rechten Zeit mit seinem Buch «Was Covid-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat». Denn der Evolutionsbiologe, der sich heute dem Projekt einer antikapitalistischen Landwirtschaft verschrieben hat, weiss um die Grenzen einer Virologie, die sich auf das beschränkt, was unter dem Mikroskop zu erkennen ist. Denn dort zeigen sich die gesellschaftlichen und ökologischen Einflüsse nicht, die die Evolution von Influenzaviren in die heute bekannten Bahnen lenkten.

Polemisch, aber fundiert

Dabei spielt keine Rolle, «wie viele Mikrotierplatten wir in den Laboren automatisch auswerten oder wie viel Computer-Rechenleistung wir zu Modellierungen einsetzen», so Wallace. Was wir bräuchten, sei ein geografischer Ansatz, «der das Zusammenspiel von lebenden Organismen und menschlicher Produktion erklärt». Er selbst hat sich lange Zeit wissenschaftlich mit der Influenza befasst. Er berechnete Ausbreitungsgeschwindigkeiten, schrieb Studien für US-Gesundheitsbehörden und die Vereinten Nationen. Dabei kam er bereits 2009 zu einer ernüchternden Einschätzung: «Das Establishment scheint bereit zu sein, einen Grossteil der weltweiten Produktivität aufs Spiel zu setzen, die katastrophal einbrechen wird, wenn zum Beispiel in Südchina eine tödliche Pandemie ausbricht – von Millionen Menschenleben einmal abgesehen.»

Der mit 180 Seiten recht schmale und lesefreundlich gestaltete Band beinhaltet überwiegend ältere journalistische Hintergrundartikel und Polemiken, die aber immer noch aktuell sind – und zumeist eine politische Stossrichtung haben. Es geht gegen Regierungen – vor allem die Chinas und die der USA –, die der internationalen Forschung im vermeintlich nationalen Interesse den Zugang zu wichtigen Informationen erschweren, und gegen Agrar- und Pharmakonzerne, denen der eigene Profit immer näher zu stehen scheint als die Gesundheit von Millionen von Menschen.

Das Problem mit den Lieferketten

Ausserordentlich begünstigt werde die Entstehung und Ausbreitung von Influenzaviren durch eine viehwirtschaftliche Industrie, in der Mastanlagen und Fleischhändler entlang eines globalen Unternehmensnetzwerks miteinander vernetzt sind: «Herden aus verschiedenen Regionen werden miteinander gemischt, entsprechend den Erfordernissen kurzfristiger Lieferketten. So kommen zahlreiche unterschiedliche Virenstämme an Orte voller anfälliger Tiere. Sie sind reihenweise neuen Erregern ausgesetzt, und dies kann die Evolution der Virulenz antreiben.» Die transnationalen Lieferketten der Agrarindustrie führen laut Wallace dazu, dass die Gebiete der Influenzastämme einander überlappen: «Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass beim Austausch ihrer Gensegmente eine Neukombination mit pandemischem Potenzial entsteht.»

Wie könnte man dem beikommen? Wallace schlägt ein Bündel von Massnahmen vor. Die industrielle Landwirtschaft müsse in ihrer gegenwärtigen Form abgeschafft werden. Auf kurze Sicht brauche es vielerorts bessere Entschädigungen für die KleinbäuerInnen, deren Vieh geschlachtet wird, klügere Gesetze und bessere Kontrollen sowie den Wiederaufbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung in Ländern, wo diese einer neoliberalen Politik zum Opfer gefallen ist. Zugvögel, die Quelle neuer Virenstämme sind, müssen von landwirtschaftlichen Gegenden ferngehalten werden, wo sie Geflügel infizieren können. Dazu brauche es die Wiederherstellung von Feuchtbiotopen, dem natürlichen Lebensraum von Wasservögeln. Schrittweise gelte es, die Förderung kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe voranzutreiben, um die genetische Monokultur der Nutztiere zurückzudrängen.

Erst eine neu zu schaffende Vielfalt alter Sorten und Arten vermag bei Epidemien wie eine Brandschneise der Immunreaktion zu wirken. Es gäbe dann, so Wallace, «weniger Unterbrechungen der Produktion, weniger Kampagnen, um die Viren auszurotten, weniger Preisschwankungen, Notimpfungen und -schlachtungen». Aus globaler Perspektive dürften sich die Massnahmen deshalb auch für die Viehwirtschaft ökonomisch auszahlen.

Rob Wallace: Was Covid-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat. Aus dem Amerikanischen von Matthias Martin Becker. Papyrossa Verlag. Köln 2020. 180 Seiten. 27 Franken