Kino-Film «There Is no Evil»: Die Bürokratie des Bösen

Nr. 43 –

Wer ein Kätzchen aus einer misslichen Lage befreit, wird kein Mörder sein. Wer seiner alternden Mutter den Blutdruck misst und sie liebevoll daran erinnert, ihre Pillen zu nehmen, ist kein Killer. Wer den Haushalt schmeisst und seiner Frau aufopfernd die Haare färbt, kein Bösewicht.

«Egal, du hast gelogen und musst bestraft werden», sagt Heshmats kleine Tochter aus Frust darüber, dass der Vater sie zu spät von der Schule abgeholt hat. Sie verlangt, Pizza essen zu gehen – ein mildes Urteil. Mitten in der folgenden Nacht steht Heshmat auf, duscht, richtet seinen Hemdkragen, trinkt einen Kaffee und fährt zur Arbeit. Dort drückt er einen Knopf, vier Männer sterben. Wer einen Fehler macht, muss bestraft werden, im Iran auch mit der Todesstrafe.

Das ist die erste der vier lose miteinander verbundenen Episoden in «There Is no Evil», das Thema ist somit etabliert. Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof erzählt in seinem Film davon, was die Todesstrafe mit der iranischen Gesellschaft und den Menschen macht, wie dehnbar die Moral sein kann und welch hohen Preis der Widerstand birgt. Heldenfiguren gibt es bei Rasoulof keine. Seine Grundthese, laut der es das Böse als solches nicht gibt, funktioniert dank der Figuren: Die Männer, die töten oder töten sollen, sind Bürokraten, Feiglinge, Opportunisten, Gejagte. Der Versuch, so die Banalität des Bösen offenzulegen, funktioniert nur im Ansatz: Die Banalitäten nehmen zuweilen viel Raum ein, der Film ist mit seinen über zweieinhalb Stunden stellenweise zu langatmig. Dennoch gelingt es Rasoulof, das komplexe Thema ohne Pathos und moralische Zuspitzungen zu bewältigen. Beklemmend sind die Episoden nicht nur wegen der Bilder, sondern wegen dem, was im Kopf der Protagonisten passiert.

An der Berlinale wurde «There Is no Evil» mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Der Regisseur konnte den Preis nicht selbst entgegennehmen: Schon vor dem Film mit einem faktischen Berufsverbot belegt, wurde Rasoulof wegen «There is no evil» zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt.

Ab 22. Oktober 2020 im Kino.

There Is no Evil. Regie und Drehbuch: Mohammad Rasoulof. Iran 2020