Was passiert, wenn keine Reisen mehr möglich sind und man alle paar Tage die ganze Crew testen lassen muss? Auf dem Set trotz Corona. Eine Zumutung, die Energien freisetzt

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Und dann kam dieser Testbescheid. Einer der Hauptdarsteller. «Das war ein brutaler Moment. Er rief mich nach seinem ersten Coronatest direkt an, mit der Nachricht, dass dieser positiv war. Da hatte ich wirklich für einen Moment das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füssen weggezogen wird.» Das war im Sommer 2020, und es ist nicht der einzige Moment aus den Dreharbeiten von «Ein Stück Himmel», an den sich Regisseur Michael Koch lebhaft erinnert. Der erste Teil der Dreharbeiten in den Urner Alpen musste im März bereits nach zehn Tagen abgebrochen werden. «Zum ersten Mal, seit ich Filme mache, hatte ich das Gefühl, dass mir jemand meinen Film wegnehmen will.» Zuerst wollte Koch noch weiterdrehen – wenigstens noch diese eine Szene, wenigstens noch dieses eine Bild im verschneiten Wald. Sein Produzent Christof Neracher konnte ihn schliesslich überzeugen: Lockdown ist Lockdown. Jetzt, Mitte Dezember, ist Koch froh darüber, auf ihn gehört zu haben. Man hätte begonnen, Kompromisse zu machen, Szenen abzuändern, mit weniger Leuten zu arbeiten, ohne StatistInnen, ohne die nötige Sorgfalt.

Auch wenn alle wirtschaftlichen und kulturellen Branchen vom Covid-19-Ausbruch betroffen sind, stellt die Herstellung eines Filmes noch einmal eine Sonderform dar. Vom Drehbuch über die Finanzierung bis zur Besetzung aller Rollen und Setfunktionen vergehen oft Jahre – und dann muss man während einiger weniger konzentrierter Wochen buchstäblich alles auf eine Karte setzen, um aus dem Zusammenspiel zahlreicher kreativer Energien etwas Hochwertiges zu destillieren. Schon ohne eine globale Pandemie ist ein Filmdreh ein äusserst risikoreiches Unterfangen, voller Stress und Unsicherheiten. Wenn dazu noch die Gefahr und die entsprechende Paranoia kommen, einem unsichtbaren Feind Tür und Tor zu öffnen und das ganze Unterfangen ins Verderben zu stürzen, wird es, mit den Worten von Michael Koch, zur «reinen Zumutung».

Einen Baseballschläger auf den Kopf

Wohl nicht zuletzt deshalb haben sich die meisten der Schweizer FilmemacherInnen, die für 2020 Dreharbeiten angesetzt hatten, dazu entschieden, diese um ein Jahr zu verschieben. Leicht wird die Entscheidung niemandem gefallen sein, vor allem auch, weil zahlreiche Menschen von diesen Drehs abhängig sind und mit diesen gerechnet hatten. Nicht zuletzt für die Technikcrews stellt dies eine enorm schwierige Zeit dar, zumal auch die Zukunft immer noch alles andere als sicher aussieht.

Anna Luif, die nach zehn Jahren Spielfilmpause gerade mit der Vorproduktion zu ihrem Herzensprojekt «Les Histoires d’amour de Liv S.» beginnen wollte, schildert, wie die Leute mit dem Beginn des Lockdowns einfach nicht mehr ans Telefon gingen. «Wir konnten schlicht nicht mehr planen.» Als sie dann auch noch von den ersten provisorischen Schutzbestimmungen für Filmdrehs erfuhr, war klar, dass es nicht gehen würde. Sie entschied sich zusammen mit ihrer Produzentin Aline Schmid, den Dreh zu verschieben. «Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, aber am Anfang war es richtig schlimm. Ich hatte das Gefühl, das Schicksal schlägt mir mit einem Baseballschläger auf den Kopf.» Insgesamt hatte sie Glück im Unglück. Der Zeitpunkt war fast ideal: Die Finanzierung stand, aber gebucht war noch nichts. Und von den vierzig MitarbeiterInnen können nächsten Juli nur zwei nicht dabei sein.

Ganz ähnlich war es bei Cyril Schäublin. Auch wenn sein Spielfilmprojekt «Unrueh» – mit kleinerem Team und im Jura etwas abgelegener – wohl machbar gewesen wäre, hat er sich für eine Verschiebung entschieden. «Das war wie in einer Blase, man hatte plötzlich mehr Zeit, sich anderen, vielleicht geheimnisvolleren Aspekten der Filmproduktion zu widmen.» Für den Regisseur, dem 2017 mit «Dene wos guet geit» eine bemerkenswerte filmische Reflexion über die Sprache im Alltag gelang, fiel die Entscheidung dann auch nicht hauptsächlich wegen der Schutzbestimmungen, mit denen er sich hätte arrangieren können. «Ich fand es bemerkenswert, welchen Eingang das Virus in unsere Gespräche gefunden hatte. Viele Unterhaltungen drehten sich irgendwann um Corona. Beim Filmemachen blickt man ohnehin schon manchen Risiken entgegen, doch genau dies interessiert mich ja auch am filmischen Prozess. Ich versuche immer, einem Drehort irgendwie zuzuhören, der Sprache, die sich aus einem Ort und den Menschen, die ihn beleben, ergibt. Dann war da aber dieses neue Thema, wie auch die reale Frage, ob wir jetzt würden drehen können oder nicht. Das fand ich ehrlich gesagt sehr herausfordernd. Deshalb wollte ich zuerst einmal alles in Ruhe beobachten und mich fragen, wie die aktuellen Entwicklungen und vielleicht auch eine gewisse neue Sprache in unseren Film einfliessen könnten.»

Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, bestätigt auch Michael Koch. Auf dem Set, beim Essen, in den Zigarettenpausen: Alle redeten ständig über Corona. Die Gefahr war ja auch da: eine Ansteckung auf dem Set oder neue, strengere Auflagen – und der Film wäre wahrscheinlich gestorben. Nach dem vorzeitigen Abbruch im März entschied sich Koch, trotz allem den Sommerdreh auszuführen und die fehlenden Szenen im Spätherbst nachzudrehen. Besetzt ist der Film hauptsächlich mit LaiendarstellerInnen, die zu einem anderen Zeitpunkt nicht mehr verfügbar gewesen wären – er konnte also nur 2020 entstehen oder gar nicht. Die Entscheidung war klar, doch sie barg ein grosses Risiko. «Wenn nicht nur die Gesprächsthemen, sondern auch die Köpfe aller Involvierten so von diesem Thema besessen sind, dann werden wichtige inhaltliche Gespräche nicht mehr geführt», sagt Koch. Man könne das zwar schon erzwingen, aber es funktioniere nicht mehr so beiläufig. «Es arbeitet nicht mehr in den Köpfen.» Er verstehe alle, die sich für eine Verschiebung entschieden hätten. Am Ende werde der Film ja auch nicht daran gemessen, dass er im Coronajahr entstanden sei, sondern nur an seiner Qualität.

Experiment mit Fernregie

Noch etwas komplizierter ist die Sache beim Dokumentarfilm – insbesondere, wenn dieser an ein konkretes Ereignis gebunden ist. Aya Domenig weiss von früheren Projekten, dass man immer auf Unvorhergesehenes reagieren können muss. 2020 wollte die Regisseurin nun im Rahmen eines Fernsehdokumentarfilms eine Reihe von Künstlern, Journalistinnen und AktivistInnen porträtieren, die anlässlich der Olympischen Sommerspiele 2020 in Japan auf die immer noch grassierenden Verharmlosungen der Atomkatastrophe aufmerksam machen wollten. Ein Höhepunkt des Films wäre der olympische Fackellauf durch die immer noch nuklear verseuchte Sperrzone gewesen. Doch jetzt: «Alles ungewiss», sagt Domenig. Die Spiele wurden zwar um ein Jahr verschoben, aber mittlerweile ist eine Mehrheit der JapanerInnen dagegen, dass diese überhaupt noch durchgeführt werden. Was bedeutet das für ihren Film? Anfang März hätte die Regisseurin nach Japan reisen wollen; Crew und Flugtickets waren schon gebucht. Dann kamen die Mails aus Japan, und einer der Protagonisten rief sie an und fragte, ob sie wirklich kommen wolle. Nach einigen Recherchen und Absprachen mit den Produzenten war klar, dass sie nicht fliegen würde.

Domenig wird ihren Film trotzdem fertigstellen – ohne selbst vor Ort zu drehen und unabhängig davon, ob die Spiele 2021 stattfinden oder nicht. Einer der Protagonisten, ein Fotograf, der den Fackellauf durch die Sperrzone dokumentieren wollte, hat seine Fotos trotzdem geschossen – ohne Fackellauf zwar, aber kaum mit weniger Symbolkraft. Um diese Szene zu drehen, hat Domenig das Experiment mit der Fernregie gewagt: Sie schickte einem japanischen Kameramann per Mail genaue Anweisungen, wie sie sich die Szene vorstellt. Eine befreundete deutsche Regisseurin, die in Japan lebt, liess sie ein Interview mit einem anderen Protagonisten führen. Das habe sogar noch besser funktioniert als erwartet, erzählt Domenig erleichtert. «Meine Vorstellungen wurden nicht nur eins zu eins umgesetzt, sondern ich bekam sogar noch mehrere Varianten des Gewünschten. Aber natürlich ist es nicht dasselbe, wie wenn man vor Ort mit den Protagonisten arbeiten und sich von der vorgefundenen Situation inspirieren lassen kann. Es bleibt eine Notlösung.»

Der Dokumentarfilm sei Unvorhergesehenes nicht nur gewohnt, er sei gewissermassen darauf angewiesen. «Man muss diese Nerven haben, um mit solchen Situationen umgehen zu können. Es gibt zwar immer mal wieder Katastrophen, aber dann taucht plötzlich ein Geschenk auf, das man sich beim Schreiben nie hätte vorstellen können», sagt Domenig. «Andere Leute, die nur an planbare Arbeitssituationen gewöhnt sind, geraten da viel schneller aus dem Konzept. Beim Dokumentarfilm muss man sich aber sowieso ständig umorientieren. Wenn ich in dieser Hinsicht ängstlich wäre, hätte ich einen anderen Beruf gewählt», sagt sie lachend. In eine Krise habe sie die ganze Situation nicht gestürzt, aber nur, wie sie präzisiert, weil sie das Glück hatte, dass ihre Produzentin Kurzarbeit für sie beantragen konnte. Für solche, die auf selbstständiger Basis arbeiteten, sei das jetzt eine sehr harte Zeit.

Mindestabstand und Mehrkosten

Im Fall von Michael Kochs Spielfilm «Ein Stück Himmel» verursachte die Pandemie zusätzliche Kosten von einer knappen halben Million Franken – ein Sechstel des ursprünglichen Budgets. Der Mehraufwand dürfte aber mit Bundesgeld, verteilt von den kantonalen Förderern, aufgefangen werden. Die Kosten ergaben sich vor allem durch die strengen Schutzbestimmungen, aufgrund derer sich die Teammitglieder etwa weder Auto noch Zimmer teilen können. Hinzu kommen höhere Personal- und Arbeitsaufwände und natürlich die «endlose Testerei». Während der gesamten Drehzeit wurden Hunderte von Tests durchgeführt – der Schauspieler und der Crew, aber etwa auch der StatistInnen, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten werden konnte.

Das Testresultat des Hauptdarstellers im Sommer hatte sich schliesslich als falscher positiver Bescheid entpuppt. 48 Stunden und zwei negative Tests später konnte der Dreh fortgesetzt werden. Das Risiko lasse sich zwar minimieren, indem man sich an die Schutzbestimmungen halte, aber ganz ausschliessen könne man es nie, sagt Michael Koch. Umso erleichterter ist er jetzt, dass der Film nach dem nachgeholten Winterdreh endlich im Kasten ist. Und: «Die ganze Situation hat auch etwas Interessantes: Die ständige Gefahr, dass der Dreh abgebrochen werden könnte, schweisst zusammen, generiert Kräfte und eine Hingabe, die ich so selten erlebt habe. Auch Leute, die in einer ganz anderen Welt zu Hause sind, beginnen plötzlich, sich mit dem Projekt zu identifizieren, mitzudenken, neue Sachen möglich zu machen. Diese Energie lässt sich nutzen. Man wird zu Komplizen, sitzt im selben Boot und muss das gemeinsam durchstehen.»