Corona an den Schulen: Besserer Schutz mit halbierten Klassen

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Die Debatte darüber, ob man Schulen offen halten oder schliessen soll, läuft auf Hochtouren. Eine Zwischenlösung im Kanton Zürich stösst bei Expertinnen wie Lehrern auf Wohlwollen.

Am Morgen die eine Hälfte, am Nachmittag die andere: Halbklassenunterricht an einer Zürcher Kantonsschule.

Sollen die Schulen offen bleiben, oder soll man sie schliessen? Aline Winter formuliert das Dilemma aus ihrer persönlichen Sicht: «In meiner Brust schlagen drei Herzen: Wäre ich Ärztin, würde ich die Schulen sofort schliessen lassen», sagt die Gymnasiallehrerin aus Winterthur, deren richtiger Name anders lautet. Sie darf sich – wie alle LehrerInnen – ohne das Einverständnis der Schulleitung nicht in den Medien äussern.

«Aus Perspektive der Schüler würde ich jedoch sagen: Die Schulen müssen unbedingt offen bleiben. Es geht vielen nicht gut, und auch bei uns gab es Jugendliche, die im ersten Lockdown unerreichbar waren», erinnert sie sich. «Und dann sind da noch wir Lehrerinnen: Es fällt uns immer schwerer, zu unterdrücken, dass wir uns nicht sicher fühlen. In den Weihnachtsferien mussten wir darauf verzichten, Familie und Freunde zu treffen, danach sind wir bei der Arbeit wieder mit 180 Leuten auf engstem Raum zusammen.»

Seit Montag müssen alle Mittelschulen im Kanton Zürich die Anzahl der vor Ort anwesenden SchülerInnen um rund die Hälfte reduzieren. Winter unterrichtet diese Woche nur SchülerInnen der 1. und 3. Klasse im Präsenzunterricht, die 2. und 4. Klassen arbeiten zu Hause – selbstständig oder im Fernunterricht. Nächste Woche ist es umgekehrt. «Die Lösung scheint mir nicht schlecht: Wir machen etwas für die Eindämmung des Virus, lassen aber die Jugendlichen nicht hängen», sagt Winter.

Defizite aufarbeiten

Auch Milo Puhan, Epidemiologe an der Uni Zürich und Mitglied der wissenschaftlichen Corona-Taskforce, scheint dieser Ansatz durchaus sinnvoll: «Es hilft natürlich, wenn die Anzahl Leute auf dem Schulgelände, in den Korridoren und Mensen reduziert wird. Auch die Mobilität allgemein wird geringer. Alles, was ausserhalb des eigentlichen Schulzimmers passiert, wird durch eine solche Massnahme günstig beeinflusst.» Im Schulzimmer selbst werde die Problematik jedoch nicht angegangen. Aline Winter ist immer noch täglich mit gut 25 SchülerInnen auf engem Raum zusammen.

Laut dem Zürcher Mittelschul- und Berufsbildungsamt haben die meisten Gymnasien im Kanton das gleiche Modell gewählt wie Winters Schule. Einige setzen aber auf Halbklassenunterricht – und bauen dafür auf Erfahrungen vom Frühling auf: Im Kanton Zürich mussten nach dem ersten Lockdown alle Schulen während vier Wochen auf Halbklassenunterricht umstellen. Aline Winter hat keine guten Erinnerungen an diese Zeit: «Ich musste die Jugendlichen vor Ort unterrichten und gleichzeitig Fernunterricht für jene zu Hause gestalten. Ich hatte also quasi doppelt so viele Klassen wie vorher. Und auch fürs Klassenklima war es nicht gut.»

Anders erlebt hat es Felix Roth, der ebenfalls eigentlich anders heisst. Er unterrichtet eine Sek-B-Klasse in der Zürcher Agglomeration. «Ich habe den Halbklassenunterricht sogar genossen.» Am Morgen kam die eine Hälfte zur Schule, die andere arbeitete zu Hause. Am Nachmittag war es umgekehrt. «Das sind die Klassengrössen, die ich mir wünschen würde. Wir hatten eine ganz andere Lernatmosphäre. Konzentriertes Arbeiten war viel besser möglich, meine Schüler konnten von der Situation sogar profitieren.»

Geringere Exposition

Das Policy Brief der Corona-Taskforce von Mitte Januar hat die Auswirkungen verschiedener Massnahmen an den Schulen im Hinblick auf epidemiologische wie auch psychosoziale Auswirkungen beurteilt. Darin kommt sie zum Schluss, dass sich bei reduzierten Klassengrössen Vor- und Nachteile die Waage hielten – über alle Schulstufen hinweg und im Gegensatz zu Fernunterricht. In einer «sehr gefährlichen Situation» (erhöhte Transmission sowie Gefahr durch neue Mutanten) überwögen gar die Vorteile. Nach Milo Puhans Einschätzung befindet sich der Kanton Zürich zurzeit in einer «gefährlichen», jedoch nicht in einer «sehr gefährlichen Situation».

Dass im Halbklassenunterricht die SchülerInnen besser geschützt sind, scheint einleuchtend. Aber wie sieht es für die LehrerInnen aus, die auch mit dieser Massnahme gleich vielen SchülerInnen physisch begegnen wie sonst? «Die Exposition insgesamt sollte eigentlich sinken, weil weniger Personen im Raum sind und etwa die Aerosolkonzentration geringer wird», so Puhan. «Wenn zusätzlich alle Masken tragen und Abstand halten, denke ich, dass eine grössere Kontrolle über das Infektionsgeschehen durchaus möglich ist.»

Auch durch die Art der Klassenaufteilung liesse sich die Ausbreitung des Virus beeinflussen: ForscherInnen der Columbia University sowie der Universität Mannheim haben kürzlich in einer Simulationsstudie aufgezeigt, dass es zur Eindämmung des Virus am sinnvollsten wäre, jene SchülerInnen in die gleiche Gruppe einzuteilen, die auch ihre Freizeit gemeinsam verbringen.

Für Milo Puhan ist das ein spannender Ansatz: «Die Studie ist in dem Zusammenhang zu betrachten, dass man damit rechnet, dass es bei ausserschulischen Aktivitäten oft zu Übertragungen kommt. Aber inwiefern sich solche theoretischen Überlegungen auch praktisch umsetzen lassen, ist eine andere Frage.» So sagt auch Felix Roth: «Dieses Modell ist sicher sinnvoll, um das Infektionsrisiko zu reduzieren, aber man muss auch die Pädagogik mit einbeziehen. ‹Best Friends› lernen nicht immer am besten zusammen, sondern lenken einander auch oft ab.»