Das US-Hilfspaket: Ein erster Sieg der Bidenomics

Nr. 11 –

Präsident Joe Biden unterzeichnet ein Covid-Hilfspaket, das 1,9 Billionen Dollar von oben nach unten umverteilt. Bleibt diese Krisenintervention die Ausnahme von der neoliberalen Regel?

Der ehrgeizige «American Rescue Plan» der neuen US-Regierung wird viel individuelle wirtschaftliche Not lindern. Das Hilfspaket über 1,9 Billionen Dollar soll die Armut in den USA um ein Drittel und die Kinderarmut gar um die Hälfte reduzieren. Das Stimuluspaket signalisiert aber auch eine grundsätzliche politische und wirtschaftliche Neuorientierung: weg von den neoliberalen Reaganomics, die die US-Politik seit den achtziger Jahren beherrscht und die soziale Ungleichheit enorm verschärft haben, und hin zu einer sozialeren Wirtschaftsform, die von den US-Medien bereits «Bidenomics» genannt wird.

Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont und ehemalige politische Rivale von Joe Biden, lobt das neue Stimuluspaket über den grünen Klee: «Meiner Ansicht nach ist dies die wichtigste Vorlage zugunsten der werktätigen Bevölkerung, die in den letzten Jahrzehnten beschlossen worden ist.» Auch im rechten Lager erkennt man die Bedeutung von Bidens Krisenintervention. Matt Gaetz etwa, ein Trump-naher republikanischer Abgeordneter aus Florida, klagt, der Rettungsplan sei ein «trojanisches Pferd für den Sozialismus». Unter dem Deckmantel der Coronakrise betrieben die DemokratInnen eine einseitig linke Politik.

Überwältigende Zustimmung

In der Tat hat kein einziges der 261 republikanischen Kongressmitglieder für Joe Bidens Rettungsplan gestimmt. Die DemokratInnen sicherten die Vorlage dank ihrer hauchdünnen Mehrheit. In der US-Bevölkerung ist die Zustimmung zum Projekt jedoch überwältigend – und ausgesprochen überparteilich. Gemäss einer Umfrage des Pew-Instituts befürworten rund siebzig Prozent aller US-AmerikanerInnen das grosszügige Hilfspaket, dazu gehören auch zwei Drittel der einkommensschwächeren republikanischen WählerInnen. Nur die reichen RepublikanerInnen lehnen die öffentliche Wohlfahrt ab. Die demokratischen WählerInnen hingegen – ob arm oder reich – unterstützen das wirtschaftliche und soziale Experiment ohne Vorbehalt.

Neunzig Prozent der Bevölkerung werden dieser Tage eine unbürokratische Direktzahlung von 1400 Dollar pro Person erhalten. Dazu kommen für Millionen von Menschen bundesstaatliche Arbeitslosengelder in einem Land, das keine nationale Arbeitslosenversicherung kennt. Es gibt neu ein garantiertes Einkommen für Familien mit Kindern, in einer Gesellschaft ohne gesetzliche Familienzulagen. Vorgesehen sind auch Ergänzungsleistungen für Miete, Nahrung, medizinische Versorgung. Kleine und mittlere Betriebe, die von der Krise besonders betroffen sind, erhalten Unterstützungsgelder oder zinslose Darlehen.

Rund 200 Milliarden Dollar gehen an die Volksschulen, um eine schnelle und sichere Rückkehr zum Unterricht im Klassenzimmer zu fördern. 350 Milliarden werden an lokale und bundesstaatliche Regierungen und solche der Native Americans ausbezahlt, die im Gegensatz zur Zentralregierung in Washington DC keine roten Zahlen schreiben dürfen, sondern ihre Budgets auch in der Krise rigoros kürzen müssen.

Eine verlässlichere Gesellschaft

Bidens Plan sei Geldverschwendung nach dem Giesskannenprinzip, kritisieren die RepublikanerInnen. Der wachsende Schuldenberg werde die Kinder und Grosskinder belasten. Mit denselben Argumenten wurde in den 1930ern der New Deal, die Wirtschaftsreform des demokratischen Präsidenten Franklin Roosevelt, bekämpft. Heute möchte niemand mehr die damals eingeführten Sozialversicherungen missen. In den Sechzigern dann wehrte sich der kleingeistige «Sparwille» gegen die «Great Society», das grosse Gesellschaftsprojekt von Lyndon B. Johnson. Die damals entstandenen staatlichen Krankenversicherungen für SeniorInnen (Medicare) und für Unbemittelte (Medicaid) sind heute unverzichtbare und äusserst beliebte Institutionen im Alltag der USA.

Der neue Rettungsplan ist ein zeitlich begrenztes Vorhaben. Wird er auch so zum Baustein für einen Green New Deal, eine grünere, gerechtere Wirtschaft? Kann die Linke darauf eine neue «Great Society», eine noch stärkere, verlässlichere Gesellschaft bauen?

Die Zeichen stehen derzeit nicht schlecht. Barack Obamas Rettungsversuche nach der Wirtschaftskrise von 2008 waren zu zaghaft, zögerlich und kompliziert, um ihre politische Wirkung zu tun. Offenbar hat der damalige Vizepräsident Joe Biden daraus gelernt. Diesmal sollen die Leute sofort und direkt spüren, dass der Staat ihnen in der Krise beisteht. Diesmal wollen die DemokratInnen ihre Verdienste um den sozialen Ausgleich nicht unter den Scheffel stellen, sondern hell beleuchten. So, als wäre linke Politik bereits mehrheitsfähig.