Tschechische Republik: Dank Pirat:innen auf neuem Kurs

Nr. 47 –

Die tschechische Piratenpartei dürfte künftig in der Regierung sitzen. In keinem anderen Land sind die Pirat:innen auch nur annähernd so erfolgreich. Worauf fusst dieser Erfolg – und wofür steht die Partei eigentlich? Eine Analyse.

Noch im Frühsommer schien der ganz grosse Coup möglich: Gemäss Umfragen lag die tschechische Piratenpartei gleichauf mit der Regierungspartei Ano, die vom Milliardär und Medienmogul Andrej Babis praktisch im Alleingang geführt wird. In zahlreichen internationalen Medien erschienen launige Porträts vom «möglichen nächsten tschechischen Ministerpräsidenten» Ivan Bartos. Der charismatische 41-jährige Parteivorsitzende mit seinen zusammengebundenen Dreadlocks und dunklen Anzügen, der bei Wahlkampfveranstaltungen lässig rauchend Akkordeon spielte, war die perfekte Antithese zum unter Korruptionsverdacht stehenden Babis.

Debakel? Jein!

Doch bei den Parlamentswahlen im Oktober folgte die Ernüchterung für die Pirat:innen: Ihr Wahlbündnis, das sie mit der bürgerlich-liberalen «Stan» eingegangen waren, einer parteiähnlichen Bewegung von Bürgermeister:innen und Unabhängigen, erreichte lediglich 15,6 Prozent – und damit 37 von insgesamt 200 Sitzen im Abgeordnetenhaus. Weil aber praktisch alle Stimmen für das Bündnis an die Stan-Vertreter:innen gingen, schafften am Ende bloss vier Pirat:innen den Sprung ins Parlament. Vier Jahre zuvor hatte die Partei – ohne Bündnis – 10,8 Prozent gewonnen und 22 Sitze erobert. Das aktuelle Wahlergebnis ist ein Debakel. Offensichtlich hat Andrej Babis’ äusserst aggressive, medial breit abgestützte Kampagne gegen die «linksextreme» Piratenpartei, die das Land angeblich mit Migrant:innen «fluten» würde, gefruchtet.

Betrachtet man jedoch die Wahlen als Gesamtes, relativiert sich das Debakel. Ano, die Partei von Babis, landete mit 27,1 Prozent lediglich auf dem zweiten Platz, knapp geschlagen vom liberal-konservativen Wahlbündnis Spolu. Babis hat seine Niederlage mittlerweile eingestanden, seine bisherigen Koalitionspartnerinnen, die Sozialdemokratische Partei und die Kommunistische Partei, sind beide aus dem Parlament geflogen, der Populist hat keine Mehrheit mehr. Währenddessen führten Spolu, die Bürgermeisterpartei und die Pirat:innen in den letzten Wochen erfolgreich Koalitionsgespräche. In der künftigen Regierung sind drei Posten für die Piratenpartei vorgesehen: das Aussenministerium, das Ministerium für regionale Entwicklung und Digitalisierung, das Ivan Bartos übernehmen soll, sowie das Justizministerium für Rechtsprechung. Letzte Woche hat die Partei per Mitgliederbeschluss der Regierungsbeteiligung deutlich zugestimmt und so den Weg zu einem absoluten Novum geebnet: der weltweit ersten Regierungsbeteiligung einer Piratenpartei.

Die Geschichte der tschechischen Pirat:innen beginnt Ende der nuller Jahre, und schon damals war Ivan Bartos als IT-Student federführend dabei. Politisch orientierte man sich eng am schwedischen Original, das seit 2006 existierte und sich primär für Datenschutz, Bürgerrechte und Transparenz einsetzte. Der Erfolg liess zunächst auf sich warten, die Partei blieb bei Wahlen jeweils weit unter der Fünfprozenthürde. Doch mit der Zeit gelangen einzelnen Pirat:innen auf kommunaler Ebene erste Erfolge; gleichzeitig öffnete sich die Partei programmatisch und setzte etwa die Klimapolitik auf ihre Agenda. Es gelang ihr, sich neben den notorisch korrupten etablierten Parteien zunehmend erfolgreich als unverbrauchte, frische politische Kraft zu inszenieren – eine Ausrichtung, die insbesondere bei einer jungen, städtischen Wähler:innenschicht in den strukturstarken Regionen verfing, wie statistische und politologische Studien belegen. Seit 2018 stellt die Piratenpartei mit Zdenek Hrib den Oberbürgermeister in der Hauptstadt Prag, und ein Jahr später schafften drei Pirat:innen den Sprung ins EU-Parlament.

«Entpolitisierte Standpunktlosigkeit»

Allerdings ist die Partei keineswegs so links, wie die Gegenkampagne von Andrej Babis suggerierte. Exemplarisch dafür steht die Aussage von Ivan Bartos, dass er «links und rechts für überholte Konzepte» halte. «Man frönt also einer entpolitisierten Standpunktlosigkeit, wie sie auch für die meist weniger erfolgreichen Piratenprojekte in anderen Ländern charakteristisch ist», schrieb der Historiker Jos Stübner in der «Jungle World» kürzlich treffend. Vor dem Druck von rechts im Wahlkampf habe es die Piratenpartei vermieden, klar Position zu beziehen – egal ob es um Vermögenssteuern oder um eine Regulierung des Wohnungsmarkts gehe. «Digitalisierung und ein ‹schlanker Staat› sollen es richten», schreibt Stübner weiter. Und das mangelnde Interesse der Piratenpartei am Fall des Ende Juni bei einem brutalen Polizeieinsatz getöteten Rom Stanislav Tomas zeige, dass sich die Partei nicht zu einer klaren antirassistischen Haltung durchringen könne (siehe WOZ Nr. 27/2021 ).

Von einem Linksrutsch ist Tschechien also weit entfernt, dennoch dürfte die Regierungsbeteiligung der Pirat:innen entscheidend zu einem politischen Kurswechsel beitragen. Der Milliardär Babis und der amtierende, schwer kranke Staatspräsident Milos Zeman haben in den letzten Jahren zunehmend eine EU-feindliche und rassistische Stimmung im Land geschürt und sind autoritär aufgetreten. Diese Entwicklung scheint nun gestoppt zu sein.