«Alice Schwarzer»: Ach, Alice

Nr. 19 –

Ein Dokumentarfilm feiert die einflussreiche Feministin für ihr Lebenswerk. Dass keine kritischen Fragen gestellt werden, irritiert.

«Ich bin durch Strebertum aufgefallen», sagt Alice Schwarzer zu ihren Anfängen. Heute fällt sie auf mit Sätzen wie: «Man soll nicht mehr die Wahrheit sagen dürfen.» Still: Frenetic

Alice Schwarzer hat schon immer genervt, und das war früher mal gut so. Nun hat die österreichische Regisseurin Sabine Derf‌linger über Schwarzers Leben einen Film gedreht, der etwas banal «Alice Schwarzer» heisst und sie als unermüdliche Kämpferin porträtiert. Elf Monate lang hat Derf‌linger die Journalistin und Aktivistin begleitet, Gespräche mit ihr und Mitstreiter:innen von damals und heute geführt und Archive gesichtet. Vor allem Letzteres hat sich ausgezahlt, denn die Ausschnitte aus über dreissig Jahren deutschem Fernsehen, wo Schwarzer in diversen Talkformaten mehr oder weniger mächtige, aber stets von sich eingenommene Männer an die Wand diskutiert, machen auch heute grossen Spass. Schwarzer ist eloquent, witzig, unerschrocken, und dass die grossen Medien mit teils üblen Anschuldigungen darauf reagieren («Verbissen predigte sie den Männerhass»), scheint sie eher anzuspornen als kleinzukriegen.

«Ich bin durch Strebertum aufgefallen», sagt Schwarzer zu ihren Anfängen als Journalistin, und es ist wirklich eindrücklich, wie sie ihre «Emma» aufzieht und durchboxt, zwei oder drei Jahre lang praktisch allein. Wir sehen Schwarzer in Frankreich, wo sie massgeblich an den Protesten des Mouvement de libération des femmes (MLF) beteiligt ist, an denen auch Simone de Beauvoir teilnimmt. Oder ihre Kampagne von 1971 für legale und sichere Abtreibungen, für die Schwarzer 374 Frauen zusammenbringt, die auf dem «Stern»-Cover proklamieren: «Wir haben abgetrieben!»

Keine einzige Gegenstimme

Das ist gut gemacht. Derf‌linger schneidet ihr Material zu unterhaltsamen anderthalb Stunden zusammen. Doch leider ist ihr Film auch komplett unkritisch; ein Dokumentarfilm nicht nur über, sondern für Alice Schwarzer, deren Leben als kontinuierlicher und hehrer Kampf dargestellt wird, bis heute. Dass es jetzt weniger die mächtigen Männer, sondern vor allem marginalisierte Gruppen wie trans Menschen oder Sexarbeiter:innen sind, die sie mit ihren Positionen angreift und von denen sie deswegen kritisiert wird, scheint Schwarzer nicht zu stören.

Sie engagiert sich für ein Kopftuchverbot und gegen Sexarbeit – im Film bezeichnet sie etwa den Staat als «Kozuhälter», weil er Sexarbeit als geregelte Arbeit anerkennt und die Sexarbeiter:innen deswegen Steuern zahlen müssen. Klar: Schwarzer weiss immer ganz genau, was für die Frauen gut ist. Und wenn diese etwas anderes meinen oder wollen, etwa ein Kopftuch tragen oder Sexarbeiterin sein, dann kann das eben nicht selbstbestimmt sein und sollte am besten verboten werden. Sehr schade also, dass sich Derf‌linger nicht die Mühe macht, Schwarzer mit Kritik zu konfrontieren. Es gibt im Film nicht eine einzige ernst zu nehmende Gegenstimme, und sowieso ist es immer Schwarzer, die das letzte Wort hat.

Nach unten treten

Schwarzer ist nach wie vor eine Meisterin darin, sich in die Schlagzeilen zu hieven. Sei das jüngst mit ihrem offenen Brief in der «Emma», man solle der Ukraine keine Waffen liefern und auf einen Kompromiss mit Russland hinarbeiten, sei es mit dem kürzlich erschienenen Buch «Transsexualität. Eine Streitschrift», das sie gemeinsam mit «Emma»-Mitstreiterin Chantal Louis veröffentlicht hat. Darin präsentieren die beiden ihre kruden Thesen zur sogenannten Trans-Ideologie und prophezeien das baldige «Verschwinden der Frauen», sollte es damit so weitergehen. Die Möglichkeit, selber zu definieren, welchem Geschlecht man angehören möchte, sei eine ganz konkrete Bedrohung für Frauen: Es würde «sexuell übergriffigen Männern» ermöglichen, in geschützte Frauenräume wie Umkleidekabinen einzudringen. Das ist lächerlich, vor allem aber ist es transfeindlich, also wiederum Politik auf dem Rücken einer sowieso schon diskriminierten Minderheit.

Nach unten treten statt nach oben – damit hat sich Schwarzer zuletzt einige zweifelhafte Freund:innen gemacht. Hierzulande etwa Roger Köppel, der sie kürzlich auf «Weltwoche daily» für ihre Position zum Krieg gegen die Ukraine lobte und ihr attestierte, sich «mutig der Tsunami-Welle der Gleichförmigkeit» entgegenzustellen. Es ist die gleiche Rhetorik, die sie selber gerne bemüht: «Man soll nicht mehr die Wahrheit sagen dürfen», sagt sie an einer Stelle im Film. Da geht es um die Silvesternacht in Köln 2015, als zahlreiche Frauen von Männern, die meisten davon Migranten, begrapscht wurden. Ein Ereignis, dem man mit komplexeren Antworten beikommen könnte als Schwarzer, die sich die Sache bloss mit «dieser Sorte von Mann» erklärt. Auch da inszeniert sie sich als Kämpferin gegen einen behaupteten Mainstream.

Alice Schwarzer rückt seit Jahren immer weiter nach rechts. Es wäre also ein guter Moment gewesen, mit einem Film nach den Gründen dafür zu suchen. Ihre Erfolge anzuerkennen, gewisse Positionen aber zu hinterfragen oder auch anhand ihrer Biografie das Spannungsfeld zwischen dem Feminismus der zweiten und der dritten Welle auszuleuchten. In Derf‌lingers Film wird leider vor allem deutlich, welche Mühe die einst so flexible Schwarzer heute hat, neue emanzipatorische Bewegungen ernst- und anzunehmen. 1984 meinte Alice Schwarzer im Westdeutschen Fernsehen mit einem Lächeln zu Rudolf Augstein, Gründer und langjähriger Herausgeber des «Spiegels»: «Privilegien abgeben ist immer schwer.» Ja, genau.

Jetzt im Kino.

Alice Schwarzer. Regie: Sabine Derflinger. Deutschland 2022