Regierungskrise in Italien: Es droht der Triumph der Rechten

Nr. 31 –

Mario Draghi ist als Regierungschef zurückgetreten. Wer kann die Postfaschistin Giorgia Meloni auf ihrem Weg zur Macht noch stoppen?

Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia
Besonders aggressiv tönt sie bei ihren öffentlichen Auftritten: Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia. FOTO: MARIO CINQUETTI, ALAMY

Enrico Letta brauchte nur drei kurze Sätze, um Gut und Böse zu sortieren: «Italien wurde verraten. Die Demokratische Partei verteidigt das Land. Bist du auch dabei?», twitterte der Generalsekretär des Partito Democratico (PD) am Tag nach Mario Draghis Rücktritt. Namen musste er nicht nennen – die Adressat:innen seines Tweets wussten auch so, wer mit «Verräter» gemeint war: vor allem Expremier Giuseppe Conte, seit einem Jahr Chef der Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle / M5S). Bis vor kurzem galt die von Beppe Grillo gegründete Antipartei noch als bevorzugte Bündnispartnerin des PD in einem «breiten Feld» progressiver Kräfte, mit dem man dem Rechtsblock entgegentreten wollte. Ist Contes «Verrat» schuld, wenn das nicht gelingt?

Bei nüchterner Betrachtung verwundert es eher, dass die von dem parteilosen Exbanker Draghi geführte Koalition der «nationalen Einheit» mehr als 500 Tage gehalten hat. Getragen wurde sie von den Rechtsparteien Lega und Forza Italia, mehreren Gruppierungen der bürgerlichen Mitte, M5S und dem Partito Democratico. Mit Gesundheitsminister Roberto Speranza war auch die linke Bündnisliste der Freien und Gleichen (Liberi e Uguali / LeU) im Kabinett vertreten. Allerdings wechselten die LeU-Parlamentarier:innen mit Draghis Amtsantritt im Februar 2021 in die Opposition. Wahrgenommen wurden sie kaum, im Unterschied zu Giorgia Melonis postfaschistischen Brüdern Italiens (Fratelli d’Italia / FdI), die sich als einzige Alternative inszenierten und von einer Umfrage zur nächsten zulegen konnten.

Luxus und Elend

Für die Cinque Stelle, vor vier Jahren noch mit Abstand stärkste Partei, galt das Gegenteil. Nach diversen Abspaltungen, dem Austritt von Aussenminister Luigi Di Maio und angesichts desaströser Umfrageergebnisse versuchte Conte, der Partei ein neues Profil zu verleihen. Zu diesem Zweck sandte er Draghi am 6. Juli in einem offenen Brief ein Neun-Punkte-Programm für die weitere gemeinsame Regierungsarbeit. Ausgangspunkt seiner Argumentation waren die durch die Pandemie und die Inflation verschärften sozialen Gegensätze, wörtlich: «die zunehmende Distanz zwischen Privileg und Mangel, zwischen Luxus und Elend». Nötig sei ein «starkes Signal der Diskontinuität», die Ausweitung des Bürgergeldes für die Armen, ein gesetzlicher Mindestlohn, die Umwandlung prekärer in unbefristete Arbeitsverhältnisse, Steuererleichterungen für niedrige und mittlere Einkommen sowie massive Investitionen in erneuerbare Energien. Insgesamt waren Contes neun Punkte eher ein Appell als ein Ultimatum. Sein «Verrat»: Er wollte einen moderaten Kurswechsel vorantreiben und hatte angetönt, sich aus der Regierung zurückzuziehen – nicht aber die Koalition aufzukündigen.

Das Ultimatum kam dann von Draghi: Er werde nur gemeinsam mit dem M5S weiterregieren; die von Conte in Aussicht gestellte Unterstützung seiner Regierung von aussen lehnte er ab. Auf Draghis Ultimatum folgte ein Veto von Silvio Berlusconi (Forza Italia) und Matteo Salvini (Lega): Eine Zusammenarbeit mit Contes Partei sei nicht länger möglich. Damit war das Ende der extrabreiten Koalition der «nationalen Einheit» besiegelt. Eine Debatte über Contes Sozialprogramm fand nicht statt. Draghis Abschiedsrede im Senat enthielt neben allgemeinen Floskeln vor allem Selbstlob sowie Kritik an zentralen Anliegen der Cinque Stelle: Das Bürgergeld sei zwar notwendig, es wirke sich aber auch negativ auf den Arbeitsmarkt aus. Statt sich klar zum Mindestlohn zu bekennen, sprach Draghi vage von «würdigen» Einkommen und Wirtschaftswachstum, von dem auch die Armen profitieren würden.

Faschistische Idole

Verglichen mit solchen allgemeinen Absichtserklärungen erscheinen die Versprechen der rechten Parteien handfester. Besserverdienende hoffen auf weitere Entlastung durch eine Steuerreform, die Salvini und Berlusconi seit langem fordern. Letzterer versprach zusätzlich eine Mindestrente von dreizehn mal tausend Euro, auch für nicht erwerbstätige Mütter. Meloni, die dritte und derzeit populärste der rechten Führungsfiguren, äusserte Bedenken wegen der Finanzierbarkeit solcher Wohltaten. Kurz vor den Neuwahlen, die am 25. September stattfinden, versucht sie nun, sich als moderate konservative Politikerin zu inszenieren, der es einzig und allein um die Anliegen «der Italiener» gehe. In zwei von drei Interviews werde sie aber nicht darüber befragt, lamentierte sie, sondern über ihr Verhältnis zum historischen Faschismus. Das hat Gründe, die in ihrer 2021 veröffentlichten Autobiografie «Io sono Giorgia» nachzulesen sind (siehe WOZ Nr. 26/21 ). Alte Kämpfer von Diktator Benito Mussolinis Sozialrepublik der Jahre 1943 bis 1945 gehören zu Melonis Idolen, allen voran Giorgio Almirante (1914–1988), 1944 Kabinettschef im Propagandaministerium, erklärter Rassist und Antisemit, 1946 Mitgründer der neofaschistischen Partei MSI und lebenslang Bewunderer von Militärdiktaturen.

Besonders aggressiv tönt Meloni bei ihren öffentlichen Auftritten. Mitte Juni hielt sie im andalusischen Marbella eine Rede, die ihre Gastgeber:innen von der spanischen Rechtspartei Vox begeisterte. In demagogischen Gegenüberstellungen listete sie ihre reaktionären Bekenntnisse auf: «Ja zur natürlichen Familie, nein zur LGBT-Lobby, nein zur Genderideologie. Ja zu sicheren Grenzen, nein zur massenhaften Einwanderung, nein zur islamistischen Gewalt. Ja zur Souveränität des Volkes, nein zu den Brüsseler Bürokraten. Ja zur Arbeit für unsere Staatsbürger, nein zur internationalen Hochfinanz. Ja zu unserer Zivilisation, nein zu denen, die sie zerstören wollen.»

In Italien riefen ihre Tiraden eine Welle der Kritik hervor. Dennoch spricht weiterhin alles für einen Sieg des Rechtsblocks – mit Meloni als künftiger Regierungschefin. Das geltende Wahlrecht begünstigt Bündnisse, die sich – wie die drei Rechtsparteien – verbindlich auf die Aufteilung der Wahlkreise verständigen. Wahlforscher:innen haben errechnet, dass dem Rechtsblock 40 bis 45 Prozent der Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit in Abgeordnetenkammer und Senat reichen würden. Damit könnte er dann auch die Verfassung ändern und ein autoritäres Präsidialsystem einführen. Nur ein breites Wahlbündnis, das von ganz links bis weit in die bürgerliche Mitte reicht, scheint derzeit in der Lage, diese Gefahr noch abzuwenden.