Von oben herab: Schnaps ist Schnaps

Nr. 45 –

Stefan Gärtner über sechzig Appenzeller

Gestern lieben Besuch gehabt, und von den vier Erwachsenen, die am Tisch sassen, sind zwei im Service public; in Deutschland sagt man «öffentlicher Dienst» dazu. Sie kriegen ihr Geld vom Staat, und das ist verlässlich für einen Witz gut, der immer dann passt, wenn von irgendeiner (und seis noch so kleinen) Unregelmässigkeit die Rede ist: «Und das von meinen Steuern!» Denn auf dem Rücken der Steuerzahler, das weiss man, wird grundsätzlich alles ausgetragen, und das Scherzlein ironisiert nicht nur die unironische Verteidigung der Steuerzahlerin durch den Zeitungsboulevard, sondern mich selbst gleich mit, dessen Einkünfte, trotz eminent grosszügiger Überweisungen aus dem helvetischen Ausland, für übertriebene Steuerzahlungen gar nicht taugen.

Für acht Schnäpse würde sich Infantino nicht mal im Bett umdrehen.

Der Schaffhauser Grosse Stadtrat hat jetzt einen Ausflug gemacht und dabei sechzig Appenzeller getrunken, die er nicht privat bezahlen wollte. Auf Kosten der Steuerzahlerinnen Schnäpse zu bestellen, sei aber kein Kavaliersdelikt, hat die Schaffhauser Ratspräsidentin Zumstein (laut «Blick») hernach im Rat kritisiert, sondern «eine unanständige Überheblichkeit gegenüber dem Steuerzahler». Sie vermisse Kinderstube. Es sei dies «gschämig».

Ich war ja eben erst beim Unterleibsarzt und wurde auf dem Anamnesebogen gefragt, wie oft ich Alkohol trinke: nie, selten, gelegentlich, häufig, und ich habe, nach einer sentimentalen Bedenksekunde, «selten» angekreuzt. Wann sollen wir geplagten Familienväter denn bitte noch Alkohol trinken? Mein Winterthurer Freund Ruedi ist ja eh schon ein nüchterner Typ, und dass er sich, auf Besuch bei mir, im Klo eingeschlossen hat, um abzuwarten, was Bier und Rauschkraut mit ihm machen, ist gut und gerne zwanzig Jahre her. Sechzig Schnäpse, das würden wir gar nicht mehr schaffen und wären also Idealkandidaten für den Schaffhauser Grossen Stadtrat. Aber vermutlich ist Ruedi zu klein (1,64 m), und ich (1,90 m) bin zu deutsch …

Vom «Dämon Alkohol» ist ja gern die Rede, aber teuflisch ist vor allem der Schnaps, wie wir aus Udo Jürgens’ Schlager wissen, in dem das lyrische Ich in der Kneipe sitzt und mit einem Mädchen von der Heilsarmee (!) flirtet: «Sie war so fromm, sie war so lieb / Und sie gefiel mir gut / Und freundlich hab’ ich ihr erklärt / Dass mir der Schnaps nichts tut / Schon leerte ich das nächste Glas / Sie sprach: Du tust mir leid / Denn mancher, der so säuft wie du / Hats später dann bereut», und als, damit das Lied zur Pointe findet, Säufer und Heilsarmee-Mädchen miteinander ins Bett gehen, passiert nichts mehr, denn «Wer zu viel trinkt, ist leider oft / Nur noch ein halber Mann». In diesem Sinne gehen die sechzig Schaffhauser Schnäpse auf Staatskosten schon wieder in Ordnung, denn die bekannt toxische Männlichkeit einmal halbiert zu haben, ist den kleinen Einsatz doch wert, falls hier kein generisches Maskulinum vorliegt, wenn der «Blick» von «einigen Politikern» schreibt. Bei Schnaps glaubt der genderverbogene Mensch ja gleich, dass das Männer gewesen sein müssen, aber wenn ich da an die Damenkränzchen meiner Mutter selig denke, deren Freundin Uschi das Auto beim Eintreffen immer gleich in Heimfahrrichtung abstellte, um beim Schnapsvoll-nach-Hause-Gurken eine Komplikation weniger zu haben!

Ich glaube, Uschi hätte eine sehr gute Schaffhauser Stadträtin abgegeben, der nach dem vierten Schnaps völlig wurscht gewesen wäre, wer das am Ende zahlt. Deswegen trinkt man ihn doch überhaupt. Vielleicht hätte sie auch gedacht: Eine Zugstunde von hier sitzt die Fifa, und ich mache mir ins Hemd, weil ich die Öffentlichkeit acht Schnäpse bezahlen lasse. Tatsächlich würde sich Fifa-Boss Infantino, diese Galionsfigur des Service privé, für acht Schnäpse nicht einmal im Bett umdrehen, und wo ichs hinschreibe, dreht sich mir schon wieder der Magen um, ganz ohne Schnaps.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

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