Wagner-Gruppe in Afrika: Kopflos in die Zukunft

Nr. 35 –

Von Libyen bis nach Mali: In den letzten Jahren hat die russische Militärfirma Wagner ihren Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent stark ausgebaut. Jewgeni Prigoschins Imperium dürfte auch nach dessen Tod fortbestehen – doch in welcher Form?

Zwei Tage vor seinem mutmasslichen Tod trat Jewgeni Prigoschin das letzte Mal in einem Video in Erscheinung. Die Aufnahme – dem Anschein nach in Mali entstanden – zeigt den Chef der Gruppe Wagner in Tarnkleidung, ein Gewehr in der Hand, inmitten einer dürren Landschaft. Im Hintergrund ein Pick-up-Truck und bewaffnete Männer. Er werde Russland «noch grösser machen, auf jedem Kontinent, und Afrika noch freier», kündigte Prigoschin an.

Der Absturz seines Privatjets, in dem sich auch weitere hochrangige Wagner-Kommandanten befanden, setzte diesen Ambitionen am 23. August ein jähes Ende. Wie es mit Wagner weitergeht, war bereits fraglich, seit Prigoschin Ende Juni eine kurze Meuterei gegen den Kreml angezettelt hatte; nun ist die Zukunft der skrupellosen Militärfirma ungewisser denn je.

Das gilt auch für eine Reihe von Ländern in Afrika, in denen die Organisation ihren Einfluss in den vergangenen Jahren stark ausgebaut hat, militärische Partnerschaften mit Regierungen eingegangen ist, ein umfassendes Geschäftsnetzwerk betreibt – und dabei zu einem wichtigen Pfeiler für Russlands aussenpolitische Agenda wurde.

Seit 2017 sollen Kämpfer der Wagner-Gruppe in Afrika präsent sein. Insgesamt agierten sie dort ganz im Sinne des Kreml, wie es der britische Autor Samuel Ramani in seinem jüngst erschienenen Buch «Russia in Africa» beschreibt. Das Ziel von Präsident Wladimir Putin: wirtschaftliche Zugänge etwa im Rohstoff- und Mineraliensektor zu erschliessen, gleichzeitig autokratischen Partnerregimes den Machterhalt zu sichern – und so Russlands geopolitische Konkurrenz in die Schranken zu weisen. Neben sicherheitspolitischen Offensiven setzt der Kreml auch auf gezielte Medien- und Desinformationskampagnen.

Glaubhafte Abstreitbarkeit

Der Einsatz von privaten Militär- und Sicherheitsfirmen bietet Russland dabei den Vorteil der «glaubhaften Abstreitbarkeit», wie eine alte, auf der ganzen Welt angewandte Verschleierungstaktik genannt wird: Die staatliche Einflussnahme lässt sich so zumindest vordergründig leugnen. Die ukrainische Rechercheplattform Molfar zählt 37 russische Militärfirmen, die in 35 afrikanischen Ländern aktiv waren oder sind.

Doch keine ist so wichtig und mächtig wie Wagner.

Die Afrikapräsenz von Prigoschins Männern begann im Sudan, wo einige Hundert «Ausbildner» und «Berater» die Armee von Diktator Umar al-Baschir stärkten. Seither folgten belegbare Engagements in fünf weiteren Staaten – aber nicht alle verliefen erfolgreich: In Madagaskar scheiterte 2018 der Versuch, dem damaligen Präsidenten die Wiederwahl zu sichern; in Moçambique wurde im Jahr darauf ein Einsatz gegen islamistische Aufständische nach kurzer Zeit und personellen Verlusten abgebrochen. Andernorts aber hat die Gruppe längerfristig Fuss gefasst. In Libyen sind Wagner-Kämpfer seit 2018 auf der Seite des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar im Einsatz, der den Osten des Landes kontrolliert. Zwar blieb Haftars militärischer Durchbruch gegen die international anerkannte Einheitsregierung aus, Wagner ist aber weiter präsent – genau wie mutmasslich auch im Sudan.

Unvergleichliche Machtfülle

Besonders erfolgreich hat sich Wagner in den letzten Jahren in zwei Ländern etabliert: in Mali und der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). In Mali wurde die Organisation seit dem letzten Putsch von 2021 zum wichtigen Verbündeten der Militärregierung, die die westlichen Partner mittlerweile aus dem Land gedrängt hat. Die antifranzösische und antiwestliche Stimmung im Sahel hat die Firma nicht nur zu nutzen gewusst – sondern auch gezielt mitgeschürt. Prigoschins Propagandaunternehmen Internet Research Agency (IRA) soll zu diesem Zweck eigene «Trollfarmen» in Nigeria und Ghana betrieben haben.

Eine beinahe unvergleichliche Machtfülle erlangte Wagner in der ZAR. Die Zusammenarbeit begann 2018, um Präsident Faustin-Archange Touadéra im seit zwanzig Jahren anhaltenden Bürgerkrieg zu stützen. Bald übernahmen Prigoschin und andere Wagner-Exponenten zentrale Rollen im Friedensprozess: Sie brachten vierzehn bewaffnete Rebellengruppen mit der Regierung an den Tisch, 2019 wurde ein Friedensvertrag unterschrieben. Zwar wurde dieser bald gebrochen – doch war es ein diplomatischer Vorzeigeerfolg.

Im Jahr darauf gelang der Gruppe ein weiterer wichtiger Schritt, als eine Rebellenallianz auf die Hauptstadt Bangui marschierte. Im Gegenzug für die erfolgreiche Gegenoffensive sicherte sich die Militärfirma nicht nur reiche Rohstoffvorkommen im ganzen Land, sondern auch Mitsprache im innersten Machtzirkel. Zwölf neue Armeeeinheiten wurden aufgebaut, über manche davon soll Wagner alleinige Befehlsgewalt bekommen haben. Prigoschin weitete sein Firmengeflecht aus, um Gold, Diamanten und Tropenholz auf undurchsichtigen Wegen aus dem Land zu exportieren.

Gleichzeitig setzten Moskau und Wagner auf Soft Power: Die Wahl zur «Miss Bangui» wurde von einer kremlnahen Firma finanziert, russische Diplomaten sassen bei der dazugehörigen Show in der ersten Reihe. Ein Radiosender wurde gegründet, Kulturveranstaltungen abgehalten, ein Kinderfussballprogramm lanciert. 2021 schauten im Nationalstadion 10 000 Menschen die Premiere von «Tourist», einem Actionfilm, der Wagners heroische Verteidigung der ZAR gegen regierungsfeindliche Milizen zeigen soll.

Heroisch war das Vorgehen der Gruppe aber höchstens im Film. Tatsächlich gingen ihre Einsätze mit Menschenrechtsverbrechen einher. Wagner setze «Terror als Kriegswaffe» ein, beschreibt es die US-amerikanische NGO The Sentry in einem Bericht von vergangenem Juni. Um politische Gegner:innen einzuschüchtern, würden die Armeeeinheiten des jeweiligen Landes und eigene Kämpfer instruiert, schlimme Massaker zu verüben – mit Massentötungen, Vergewaltigungen, Folter und Plünderungen. Wo Rohstoffe auszubeuten sind, wurden demnach ganze Dorfgemeinschaften vertrieben oder ausgelöscht. Im Mai hat die Uno einen Bericht zu einem Massaker vom März 2022 in Mali veröffentlicht. Neben malischen Soldaten waren gemäss Augenzeug:innenberichten mutmasslich auch Wagner-Leute beteiligt, als im Dorf Moura 500 Menschen brutal ermordet wurden.

Kampf um Putins Gunst

Dass sich Wagners Zukunft in Afrika seit zwei Monaten in der Schwebe befindet, hat allein mit den Machtquerelen in Russland zu tun. Nachdem Prigoschins Meuterei gegen Putin gescheitert war, wirkte es zunächst, als werde der Wagner-Chef weiter toleriert. Womöglich auch wegen seiner guten Beziehungen in ganz Afrika.

Grosse Veränderungen bei Wagners Afrikaaktivitäten konnten Expert:innen in diesen zwei Monaten nicht erkennen. «Es gab vielmehr eine Art Kontinuität», sagt der unabhängige Forscher John Lechner, der gerade ein Buch über die Privatarmee schreibt. Das bestätigt auch Dimitri Zufferey vom internationalen Kollektiv «All Eyes on Wagner», das das Vorgehen der Privatarmee online eng verfolgt: In Mali hätten sich die gemeinsamen Einsätze von Wagner-Personal und der nationalen Armee gegen die Dschihadisten im Land zuletzt gar intensiviert.

Prigoschin trat am Rand des Russland-Afrika-Gipfels auf, den Putin Ende Juli in St. Petersburg abhielt. Ein Foto zeigt ihn etwa mit einem Touadéra-Berater im Hotel Trezzini Palace. Als zeitgleich im Sahelstaat Niger Putschisten die Macht übernahmen, begrüsste der 62-Jährige dies öffentlich. Auch der Kreml signalisierte den afrikanischen Regierungen, es gebe keinen Grund zur Beunruhigung: Mehrere Hundert russische «Ausbildner» würden ihre Arbeit in der ZAR und in Mali fortsetzen, sagte Aussenminister Sergei Lawrow gegenüber dem Staatssender RT.

Prigoschin, der sich nach der gescheiterten Meuterei mit Putin darauf geeinigt hatte, seine Truppen nach Belarus zu verlegen, schien sich weiter stark auf Afrika konzentrieren zu wollen. «Er sah das wohl auch als Gelegenheit, wichtige Erfolge für Russland in Afrika zu erzielen und so vielleicht letztlich Putins Gunst zurückzugewinnen», sagt Lechner.

Offenbar verfolgte der Kreml aber andere Pläne. Einiges deutet darauf hin, dass hinter den Kulissen versucht wurde, die Kontrolle über die Wagner-Gruppe in Afrika zu übernehmen und diese mit konkurrierenden Militärfirmen aus ihren Einflussgebieten zu verdrängen. Berichten zufolge sollen zwei Kommandanten etwa zur Militärfirma Redut gewechselt und versucht haben, Kämpfer abzuwerben. Nur Stunden vor Prigoschins Flugzeugabsturz reiste eine russische Delegation mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Junus-bek Jewkurow nach Libyen, um dort General Haftar zu treffen. Unter anderem sollen sie besprochen haben, dass der dortige Wagner-Kommandant vor Ort durch jemanden von einer anderen Militärfirma ersetzt werde.

War Prigoschins letzte Afrikareise dessen Versuch, solchen Bemühungen vorzugreifen? Das viel beachtete Video aus Mali soll er gemäss Medienberichten bei einem Zwischenstopp auf dem Rückweg aus der ZAR aufgenommen haben. In Bangui habe Prigoschin einen Ausbau seiner Geschäftsbeziehungen angestrebt, schreibt Nathalia Dukhan von der NGO The Sentry auf Anfrage. Gemäss Informationen, die Dukhan vorliegen, soll Prigoschin in Bangui versucht haben, neue Verträge zur Sicherung der Landesgrenzen abzuschliessen und potenzielle Investoren in einer Reihe von Wirtschaftssektoren zu gewinnen.

«Dann eben Beethoven»

Wie aber geht es nun, nach Prigoschins mutmasslichem Tod, mit Wagner in Afrika weiter? John Lechner geht davon aus, dass sich in naher Zukunft wenig ändern dürfte. «Wagner in Afrika ist das Resultat der mangelnden Fähigkeit und des mangelnden Willens Moskaus, offizielle Truppen hinzuschicken», so der Experte. Für ihn ist so gut wie sicher, dass Russland für seine Präsenz auf dem Kontinent auch weiter auf private Sicherheitsfirmen setzen werde.

Zudem dürfte das Land in seinem Bestreben, geopolitisch nicht allzu isoliert zu wirken, bemüht sein, seine Glaubhaftigkeit gegenüber afrikanischen Partnern aufrechtzuerhalten. «Man wird diese nicht durch abrupte Manöver vor den Kopf stossen wollen», so Lechner.

Auch aus der ZAR kamen gelassene Reaktionen. Präsidentenberater Fidèle Gouandjika sagte gegenüber der Deutschen Welle, für sein Land werde sich nichts ändern. «Wir haben ein Verteidigungsabkommen mit Russland, und ich denke, dass die Paramilitärs, die bei uns sind, ihre Arbeit wie bisher weiterführen werden», so Gouandjika. Schon nach der Meuterei im Juni hatte er den Medien erklärt: «Russland gab uns Wagner, der Rest geht uns nichts an. Wenn es nicht mehr Wagner ist und sie Beethoven oder Mozart schicken, ist es egal, wir nehmen sie.»

Spekulationen dazu, wie die russische Führung nun mit Wagner verfahren wird, gab es in den vergangenen Tagen viele. Etwa, dass die Aktivitäten künftig unter dem Dach anderer Militärfirmen stattfinden sollen. Redut gilt dabei als mögliche Anwärterfirma. Auch wurden verschiedene Personen als mögliche Prigoschin-Nachfolger gehandelt. Und in Syrien, wo die Gruppe ebenfalls präsent ist, sollen Wagner-Kämpfer vor die Wahl gestellt worden sein, sich dem russischen Verteidigungsministerium unterzuordnen oder das Land zu verlassen.

Besonders in Afrika ist es gemäss John Lechner jedoch unwahrscheinlich, dass Wagner innert kurzer Zeit unter die Kontrolle des Verteidigungsministeriums gestellt oder durch eine andere Sicherheitsfirma ersetzt wird. «Diese Firmen sind derzeit nicht auf dem gleichen Level», erklärt Lechner. «Wagner hat Beziehungen, Kontakte und Erfahrung in Tätigkeiten, die anderen Firmen fehlen.» Eine komplette Verselbstständigung der Organisation sieht er aber ebenso wenig. Denn für viele Aktivitäten sei die Gruppe nach wie vor auf den russischen Staat angewiesen. Fällt etwa die logistische Unterstützung durch russische Armeeflugzeuge weg, könnte das die Paramilitärs stark einschränken.

Zwar teilen viele Analyst:innen die Einschätzung, dass Prigoschin als Führungsfigur schwer zu ersetzen sein wird. «Er war charismatisch, ein machiavellistisches Kommunikationsgenie und wie kaum jemand in der Lage, persönliche Beziehungen aufzubauen», sagt Dimitri Zufferey. Die Soft Power, die Wagner unter Prigoschin in diversen Regionen Afrikas entwickelt hat, könnte ohne ihn durchaus geschwächt werden. «Es geht dabei um komplexe illegale Finanzströme, Korruptionsgeschäfte und dergleichen», erklärte Mark Galeotti, Experte für russische Sicherheitspolitik, gegenüber dem «Spiegel». «Ich glaube nicht, dass man einfach irgendeine neue Person ernennen kann, die das übernimmt.»

In den einzelnen afrikanischen Staaten gibt es nach Ansicht des Experten John Lechner aber durchaus Personen, die die nötige Erfahrung und auch die Kontakte hätten, um Wagners Geschäftsmodell vorerst am Laufen zu halten. Er hält es gar für möglich, dass Wagner seine Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten ausweiten und etwa im Niger auftauchen könnte, der seit kurzem von einer Militärjunta regiert wird. Prigoschins Tod stelle dabei kein Hindernis dar: Gerade im von dschihadistischen Organisationen bedrohten Sahel hätten Staatsführungen, die sich von westlichen Partnern distanzieren, oft schlicht keine andere Wahl, als einen Pakt mit Wagner einzugehen, in welcher Form auch immer die Gruppe in Afrika weiteroperieren wird.