Agrarpolitik : Jenseits des Hickhacks

Nr. 44 –

Als grüne Nationalrätin hat Meret Schneider die Agrarpolitik eigenwillig mitgeprägt. Nun wurde sie abgewählt. Ihre Fragen bleiben aktuell – und sie dem Thema verbunden.

Meret Schneider steht bei einer Kuh in einem Kuhstall
Meret Schneider besuchte Bauern auf ihren Höfen, wann immer sie konnte: «Am Schluss waren wir uns immer einiger, als sie erwartet hatten.» Foto: «Bauernzeitung», Jasmine Baumann

Linke Agrarpolitik in der Schweiz – gibt es das? Auch wenn jede Juso-Generation neu entdeckt, wie eng Ernährung, Landbesitz und globale Gerechtigkeit zusammenhängen – in der SP-Fraktion beschränkt sich die Expertise zum Thema seit Jahrzehnten auf ein, zwei Vertreter:innen. Bei den Grünen sieht es besser aus. 2019 wurden gleich drei grüne Agrarpolitiker:innen neu in den Nationalrat gewählt: Christine Badertscher und Kilian Baumann für Bern, Meret Schneider für Zürich (siehe WOZ Nr. 8/20).

Während die beiden Berner:innen wiedergewählt wurden, verlor Schneider am 22. Oktober ihren Nationalratssitz. Ein Grund, zurück- und nach vorne zu schauen: Was könnte links-grüne Agrarpolitik heute bedeuten? Schneider hat auf diese Frage eigenwillige Antworten gefunden.

Während Biobauer Baumann auf Konfrontation mit dem Schweizer Bauernverband (SBV) ging, versuchte Agronomin Badertscher, die vier Jahre bei ebendiesem Verband gearbeitet hatte, Brücken zu bauen. Und Tierrechtsaktivistin Schneider? Sie lancierte nicht nur – wie zu erwarten – Vorstösse gegen den Froschschenkelimport, gegen Primatenversuche oder Tierquälerei im Pferdesport, sondern arbeitete sich breit in die Agrarpolitik ein. Und sie besuchte Landwirt:innen, wann immer sie konnte: «Manche wollten mir einfach den Hof zeigen und mit mir diskutieren. Am Schluss waren wir uns immer einiger, als sie erwartet hatten.»

Für eine andere Milchpolitik

Ein Resultat dieser intensiven Auseinandersetzung waren mehrere Vorstösse zum Milchmarkt. Dort gebe es viele Fehlanreize, sagt Schneider. «Zum Beispiel Butterimporte, die den Schweizer Milchpreis unter Druck setzen.» Der Kostendruck führe dazu, dass sich die Milchproduktion immer mehr ins Flachland verlagere, weil sie dort günstiger sei. «Wenn man solche Fehlanreize korrigieren würde, würde man das Bauernhofsterben wenigstens nicht noch befeuern. Wir sollten das Flachland lieber für den Ackerbau nutzen und Wiederkäuer dort halten, wo kein Ackerbau möglich ist: im Hügel- und Berggebiet.»

Der Milchmarkt ist so komplex, dass vielen Parlamentarier:innen das Fachwissen fehlt – sogar in der eigenen Fraktion habe sie bei ihren Vorstössen teils Unverständnis gespürt, sagt Schneider. Doch wenn es darum geht, sich auf Komplexität einzulassen, scheint sie unbeirrbar. Sie sucht nicht nach Schuldigen, sondern hinterfragt Strukturen. Und sie versucht, eine Ernährungspolitik mitzuentwickeln, die Ökologie, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit verbindet.

Agrarpolitisch war die Legislatur turbulent: emotionale Abstimmungskämpfe um die Trinkwasser-, die Pestizid- und die Massentierhaltungsinitiative, während das Parlament die nächste agrarpolitische Reformetappe aufschob. Und während sich der SBV in der vorletzten Legislatur, zur Zeit der Fairfood-Initiative, für Fragen rund um Ökologie und fairen Handel zu öffnen begann, haben sich die Fronten seither verhärtet. Anfang dieses Jahres riefen SBV und Wirtschaftsverbände ihre neue Allianz aus (siehe WOZ Nr. 2/23).

Persönlich verstehe sie sich gut mit bäuerlichen Politikern wie SBV-Präsident Markus Ritter oder dem Zürcher SVP-Nationalrat Martin Haab, sagt Schneider. Aber politisch hätten sich die Differenzen «seit dem Schulterschluss mit Economiesuisse» akzentuiert. «Der SBV sagt, ein Problem seien die vielen Importe, die das Schweizer Fleisch konkurrieren. Aber wenn ich einen Vorstoss mache, dass die Importe Schweizer Standards genügen müssten, sind die meisten bäuerlichen Vertreter doch dagegen.» Im Rat betrieben die meisten von ihnen eine Wirtschaftspolitik, die nicht im Interesse der Landwirtschaft sei.

«Der Staat soll den Leuten nicht vorschreiben, was sie essen dürfen»: Diesen Satz wiederholen SBV-Vertreter:innen wie ein Mantra. Schneider kontert: «Man beeinflusst Kaufentscheidungen immer, auch wenn man die wahren Kosten nicht einberechnet.» Dann setze man einfach einen Anreiz, Billigprodukte zu konsumieren. «Die Frage ist nicht, ob wir den Leuten dreinreden – sondern in welche Richtung. Setzen wir den Anreiz doch so, dass Schweizer Produkte nicht teurer sind als importierte Tierquälprodukte.»

Freude an der Praxis

Schneider empfindet die Agrarpolitik als festgefahren: «Die eine Seite lanciert eine Initiative nach der anderen, die andere will einen Status quo bewahren, mit dem de facto niemand zufrieden ist. Ist überhaupt der Wille da, Lösungen zu finden? Oder geht es bloss um rhetorisches Klingenwetzen zur Befriedigung der eigenen Klientel?» Nur die Umweltprobleme der Branche anzuprangern, sei ihr zu einfach.

Schneider hatte – schon vor ihrer Wahl – die Massentierhaltungsinitiative mitlanciert. Nach der Abstimmungsniederlage im Herbst 2022 lud sie Landwirt:innen zu einem runden Tisch ein. Sie wollte deren Anliegen und Sorgen noch genauer verstehen. Was in der Praxis läuft, motiviert sie: «Ich treffe viele Landwirt:innen, die tierfreundlicher werden, neue Nutzpflanzen ausprobieren. Jenseits des politischen Hickhacks ist viel los.» Sie freut sich auf Hummus aus Ustermer Kichererbsen. Und möchte beruflich beim Thema bleiben.