Sachbuch: Sibel Schick räumt auf

Nr. 2 –

Buchcover von «Weissen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss»
Sibel Schick: «Weissen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss». S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2023. 256 Seiten. 39 Franken.

Der Titel ist eine Provokation, jedes einzelne Wort: «Weissen Feminismus canceln». Das sei eher ein Witz gewesen, verrät die Autorin Sibel Schick an anderer Stelle, sie hätte nie gedacht, dass sie damit beim Verlag durchkäme. Nun heisst das Buch tatsächlich so, ist im Gegensatz zum Titel jedoch geradezu unaufgeregt.

Schick, Journalistin und Podcasterin, nimmt darin die wichtigsten feministischen Debatten in Deutschland auseinander, sucht Quellen zusammen und korrigiert falsche Aussagen, kurz: Sie räumt auf. Ihr Ausgangspunkt ist «weisser Feminismus», sonst auch als «lean in feminism» oder «liberal-meritokratischer Feminismus» bezeichnet – also Bestrebungen gegen gläserne Decken oder Gender-Pay-Gaps. Schick nennt das «Süsswassermassnahmen» und ist überzeugt, dass solche Ansätze in isolierter Form Ungerechtigkeiten nicht aufheben, sondern nur verschieben.

Manchmal wird das gar langfädig, wenn sie sich seitenlang an Statements von Reizfiguren wie Alice Schwarzer oder Sophie Passmann abarbeitet. Aber in den besten Momenten generiert das Buch neue Erkenntnisse über alte Diskussionen, etwa um kopftuchtragende Frauen, trans Menschen, Polizeigewalt oder auch Arbeit aller Art: Lohnarbeit, Care-Arbeit, Sexarbeit. So zeigt Schick, dass ein Feminismus aus intersektionaler Perspektive nicht mehr Polizeipräsenz fordern kann, ohne gleichzeitig eine unabhängige Ombudsstelle für Polizeigewalt oder die Entkoppelung des Aufenthaltsrechts migrantischer Frauen von dem ihrer Ehemänner zu fordern. Die Polizei stelle nämlich für alle nicht weiss gelesenen Menschen mehr Bedrohung denn Schutz dar.

Schick schliesst lakonisch: «Die Unterdrückung von A nach B zu schieben ist keine Gerechtigkeit, sondern Eigennutz.» Dies ist das fast mantraartig wiederholte Fazit des Buches: Feminismus müsse die Befreiung aller Menschen von patriarchalen Strukturen anstreben; alles andere führe zu mehr Opfern. Deshalb ist Feminismus nicht einfach sexy, sondern lebenslange Arbeit, vor der sich nur die drücken können, für die sie freiwillig ist.