Auf allen Kanälen: Der Coup von Warschau

Nr. 3 –

In einem rabiaten Schachzug hat die neue Regierung in Polen den Rechten den staatlichen Rundfunk entrissen. Doch war das überhaupt legal?

Ausschnitt aus dem stilisierten TVP1-Logo

Die Hauptnachrichten bei TVP1, dem wichtigsten Fernsehsender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Polen, heissen jetzt «19.30». Die reichweitenstarke Newssendung hat seit dem 21. Dezember nicht nur einen neuen Namen, sondern berichtet erstmals seit vielen Jahren wieder halbwegs ausgewogen. Bei strittigen innenpolitischen Themen kommen Regierung und Opposition gleichermassen zu Wort, die Moderator:innen kommentieren nicht oder kaum, von einem klaren Narrativ pro Regierung kann bislang keine Rede sein.

Das verwundert kaum. Denn die neue Regierung unter Premierminister Donald Tusk hat das staatliche Radio (PR) und Fernsehen (TVP) sowie die Nachrichtenagentur PAP mit ziemlich rabiaten Massnahmen der Kontrolle ihrer Vorgängerin, der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), entrissen. Umso wichtiger ist, dass nun im de facto staatlichen Rundfunk wieder höhere journalistische Standards Einzug halten.

Händel vor der Sendezentrale

Die Vorgänge am 20. Dezember glichen einem Umsturz: Die neu berufenen Vorstände und Aufsichtsräte marschierten in die TV-Sendezentrale in Warschau und übernahmen dort die Posten von den bisherigen Amtsinhaber:innen, die Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz kurzerhand entlassen hatte. Es kam zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten, die Polizei musste eingreifen. Politiker:innen der PiS protestierten vor dem Gebäude, Expremier Mateusz Morawiecki sprach von einem «Anschlag auf die Demokratie». Das Gros der bisherigen Journalist:innen wurde mit sofortiger Wirkung entlassen, der Nachrichtenkanal TVP Info samt Website abgeschaltet, die Abendnachrichten «Wiadomości» auf TVP1 fielen aus, stattdessen wurde für den Folgetag ein neues Format angekündigt.

Die von Tusks liberaler Bürgerkoalition geführte Regierung begründete ihr Vorgehen damit, die «verfassungsmässige Ordnung» wiederherzustellen, die die PiS bei den staatlichen Sendern zerstört habe. Sienkiewicz sei als Chef von TVP, PR und PAP, die allesamt als Unternehmen organisiert sind, aber zu hundert Prozent dem Staat gehören, zu den Eingriffen befugt. Die PiS konterte, die Ein- und Abberufung des Führungspersonals dieser Medien obliege allein dem von ihr 2016 per Gesetz eingerichteten Rat für Nationale Medien – in dem die PiS weiterhin die Mehrheit stellt. Die Parteien der Regierung Tusk wiederum werten diesen als nicht verfassungskonform, weil die PiS damit dem in der Verfassung verankerten Landesrat für Fernsehen und Rundfunk Kompetenzen entzogen habe.

Veto von Duda

Je nachdem, wo man das Ohr hinhält, bewerten Jurist:innen die Lage unterschiedlich. Klar ist: Das Vorgehen ist rechtlich umstritten. Klar ist aber auch: So, wie die Nachrichtenformate der zuletzt nur dem Namen nach «öffentlich-rechtlichen» Medien in den vergangenen Jahren berichteten, mutet die Bezeichnung «Propaganda» fast schon milde an. Indes hätte die Tusk-Regierung die notwendige Reform der Medien mit einem neuen Rundfunkgesetz angehen können. Sie wählte stattdessen den Parlamentsbeschluss und die Ministerweisung, weil sie wusste, dass der der PiS verbundene Staatspräsident Andrzej Duda gegen jedes Gesetz sein Veto einlegen kann.

Duda beeilte sich denn auch, die Vorgänge als «Anarchie und Verfassungsbruch» zu bezeichnen. Wenige Tage später legte er tatsächlich sein Veto gegen ein Gesetz der Regierung ein, das Mittel für den Rundfunk vorsah. Die Regierung konterte, indem sie die öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen in den rechtlichen «Zustand der Liquidierung» versetzte. Damit sollen diese jedoch nicht abgewickelt, sondern organisatorisch und finanziell neu strukturiert werden.

Auch wenn er anderes behauptet: Tusk weiss, dass das Vorgehen rechtlich unsauber ist. Inzwischen hat die Regierung zwar ein neues Mediengesetz angekündigt, doch Inhalt und Umsetzung sind bislang unklar. Die PiS versucht derweil, die «Medienübernahme» zu nutzen, um sich nach der verlorenen Wahl zu konsolidieren. Zu einer Grossdemo der Partei am 11. Januar vor dem Parlament kamen 30 000 bis 100 000 Menschen. Derweil scharen sich PiS-Getreue um den Privatsender TV Republika. Dort sieht man viele alte Gesichter, die noch vor kurzem mit Steuergeldern vor allem für Propaganda sorgten.