Oskar Negt (1934–2024): Arbeit und menschliche Würde

Nr. 6 –

Ihnen gehe es ums «geschichtliche Arbeitsvermögen», haben Oskar Negt und Alexander Kluge ihr monumentales Buch «Geschichte und Eigensinn» (1981) eingeleitet, darum, wie Menschen mit der und durch die Arbeit leben. Das dokumentierten sie als Panoptikum auf beinahe 1300 Seiten mit Geschichten, Bildern, Analysen aus vielen Jahrhunderten.

Die «Zentralsonne» der Arbeit war für den 1934 geborenen Sozialphilosophen Oskar Negt auch zuvor und danach das brennendste Thema. Sie interessierte ihn als etwas ganz Handfestes, Konkretes und zugleich als soziales Verhältnis, das unsere Gesellschaft strukturiert. Dabei ging es um Trennungen und Verbindungen: Hand- und Kopfarbeit, Vereinzelte oder Kollektive. Aber auch: Unternehmer:innen versus Lohnabhängige, Ausbeutung oder Widerstand.

Negt war einer, der ganz praktisch zu verbinden suchte. Schon in der 68er-Bewegung wollte er mit dem «Sozialistischen Büro» nicht die «richtige Lehre» vertreten, sondern die linken Fraktionen zusammenbringen. Als Assistent von Jürgen Habermas übernahm er von diesem die Bedeutung von Öffentlichkeit und Kommunikation, radikalisierte dessen Thesen aber bald und plädierte entschieden für eine Bildung aller als eine lebendige Praxis. Entsprechend war er oft in der Gewerkschaftsarbeit involviert, bis hin zur kurzen Beratertätigkeit für den damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Als ein gewerkschaftliches Hauptanliegen betonte Negt den Kampf um die Zeit, darum, wie man das Leben zwischen Arbeitszeit und Freizeit organisiere. Aber er ging darüber hinaus. «Arbeit und menschliche Würde» (2001) heisst eines seiner wichtigsten Bücher. Eine gerechtere Organisation der gesellschaftlichen Arbeit werde verkümmerte Fähigkeiten der Menschen freisetzen und sie in ihrer Einmaligkeit anerkennen.

Als grösste Bedrohung erkannte er den Verlust der Gesellschaftlichkeit. Diese zersetze sich unter dem zunehmenden Druck neoliberaler Markt- und Machtbeziehungen und in der wirtschaftlich angeleiteten sozialen Vereinzelung. Dagegen müssten die Menschen als politische Subjekte mobilisiert werden. Oskar Negt begriff die Demokratie als Lebensform. Es galt, sie zu lernen und auszubauen. Am 2. Februar ist dieser unerschütterliche Aufklärer im Alter von 89 Jahren verstorben.