Auf allen Kanälen: Kein Spatz, sondern die Queen

Nr. 15 –

Weil die frankomalische Sängerin Aya Nakamura für die Olympischen Spiele Edith Piaf singen soll, schürt Frankreichs Rechte Hass im Netz.

stilisiertes Foto der Sängerin Aya Nakamura

Eigentlich liest sich die Geschichte von Aya Nakamura wie ein modernes Märchen: jenes vom Einwander:innenmädchen aus der berüchtigten Banlieue, das es bis in den Pophimmel geschafft hat. Als Kind kam Aya Nakamura mit ihren Eltern und vier Geschwistern aus Mali in die Megaüberbauung «Cité des 3000» in Aulnay-sous-Bois nahe Paris: ein «sozialer Brennpunkt», der eher mit Kleinkriminalität und Gewalt in die Schlagzeilen kommt als mit Erfolgsgeschichten. Heute trägt die 28-jährige zweifache Mutter den Spitznamen «Queen»: Mit neun Millionen monatlichen Hörer:innen auf Spotify, vier Alben und zahlreichen Preisen ist sie die derzeit erfolgreichste frankofone Musikerin weltweit.

«Kein Französisch»

Ihren Künstlerinnennamen Nakamura hat Aya Danioko aus der amerikanischen Actionserie «Heroes», ihre Musik, die Texte und Videos tragen die typischen Marker amerikanischer Hip-Hop- und R-’n’-B-Kultur: Sie mischt englische und französische Jugendsprache, sie kürzt ab, vertauscht Silben, erfindet Wörter und Wortspiele. Sie inszeniert sich zwischen leicht bekleideten, sexy tanzenden Frauen auf teuren Luxusautos, in Pelzmänteln und unter flatternden Dollarscheinen. Selbstbewusst und sexy, mal Divalook, mal Schlabberjeans. Für viele Fans gehören Songs wie «Djadja» oder «Pookie» zu den «classiques», die auf keiner Party fehlen dürfen.

Als kürzlich bekannt wurde, dass Nakamura auf der Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele in Paris singen soll, und dazu ausgerechnet ein Lied von Edith Piaf, dem «Spatz von Paris», liessen die Reaktionen von rechts nicht lange auf sich warten. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour und Marion Maréchal, eine Nichte von Marine Le Pen, die heute die Partei Reconquête (Wiedereroberung) anführen, brachten in Fernsehshows das Argument vor, Nakamuras Sprache sei schlicht kein Französisch.

Der konservativ-republikanische Präsident des Senats, Gérard Larcher, monierte, in Nakamuras Songtexten gehe es unter anderem um Stellungen beim Geschlechtsverkehr. Dass französische Sänger:innen explizit über Sex singen, ist nichts Neues: Der grosse Chansonnier Serge Gainsbourg zum Beispiel schickte im Jahr 1966 die damals neunzehnjährige France Gall mit dem Lied «Les sucettes» (Die Lutscherinnen) auf die Bühne, ein Loblied auf die Fellatio (was der Sängerin selber jedoch nicht bewusst war). Drei Jahre später stöhnte er mit Jane Birkin den Song «Je t’aime ... moi non plus». Allerdings werden die weisse Libertinage, Flirt und Erotik häufig als Teil der kulturellen Identität Frankreichs betrachtet, während Nakamura von Kritiker:innen mit rassistischem Unterton als vulgär und primitiv dargestellt wird.

Es folgte eine Welle von rassistischen, hasserfüllten Nachrichten in den sozialen Netzwerken. Die ultrarechte Pariser Jugendorganisation Les Natifs verbreitete ein Foto vor pittoresker Seine-Kulisse mit dem Transparent: «Nichts ist, Aya. Wir sind hier in Paris, nicht auf einem Markt in Bamako». Auf X warf die Gruppe Präsident Macron vor, er verachte das französische Volk und dessen Kultur, er wolle die französische Eleganz durch Vulgarität ersetzen, das französische Chanson afrikanisieren und die einheimische Bevölkerung zugunsten einer aussereuropäischen Einwanderung verdrängen. Inzwischen hat die Organisation SOS Racisme gegen Les Natifs Anzeige wegen Aufruf zu Rassenhass und Cybergewalt erstattet, und zahlreiche politische und künstlerische Stimmen haben sich für Nakamura starkgemacht.

Macron mischt sich ein

Umso näher die olympische Flamme rückt, desto heisser wird die Debatte um Frankreichs kulturelle Identität geführt. Nun hat sich Emmanuel Macron geäussert und unterstrich Ende letzter Woche: «Die Spiele und die Zeremonien müssen uns entsprechen. […] Die Künstler:innen repräsentieren Frankreichs Diversität, Strahlkraft, seine Künste und seine Grossartigkeit.» Und Aya Nakamura sei Teil der französischen Kultur, betonte der Präsident. Der künstlerische Direktor der Eröffnungs- und Schlusszeremonie der Spiele, Thomas Jolly, hat übrigens angekündigt: «Es wird Überraschungen geben, die noch stärker und radikaler sind als der Auftritt von Aya Nakamura.» Paris 2024 verspricht feurig zu werden – und die Queen wird auf dem Treppchen stehen.