Fotografieausstellung: Wie kommt der Protest ins Bild?

Nr. 18 –

Menschenmassen, Megafone und ein Meer aus Fahnen und Transparenten waren auch dieses Jahr verbreitete Fotosujets zum 1. Mai. Eine Ausstellung in Basel demonstriert, wie sich politische Bewegungen und ihre Kämpfe auch anders bebildern lassen.

rotes Kleid an der «Ni una menos»-Kundgebung, Zürich, 11. Dezember 2021
«Ni una menos»-Kundgebung, Zürich, 11. Dezember 2021. Foto: Franziska Willimann

Zeigt man die auf engem Raum zusammengepferchten Schweine – oder die Demonstration gegen Massentierhaltung? Erzählt man die Geschichte vom Arbeitskampf in der Zentralwäscherei Basel anhand der Frauen an den Bügel- und Nähmaschinen oder besser mit gereckten Fäusten und Transparenten, die Lohnkürzungen und schlechte Sozialleistungen anprangern? Jede Bildredaktion steht beinahe täglich vor solchen Fragen. Erschwerend kommt hinzu: Missstände und Unrecht, aber auch der Protest dagegen sind keine einfachen Bildstoffe.

Den Arbeiterinnen in der Basler Zentralwäscherei sieht man die Ausbeutung nicht direkt an. Profitlogik und schlechte Arbeitsbedingungen sind visuell nur schwer einzufangen, wenn es nicht gerade um grobe menschenrechtliche Verfehlungen geht. Und gewiss wirkt ein Protest bewegender und befreiender als das bedrückende Übel, das er im Visier hat, aber Demonstrationszüge gleichen sich oft wie ein Ei dem anderen. Im ästhetischen Einerlei von demonstrierenden Massen, Fahnen und Transparenten schläft nicht nur unsere Aufmerksamkeit ein; die visuelle Gleichförmigkeit droht auch die Energie jeder Bewegung zum Erliegen zu bringen. «Könnten wir nicht ein Protestbild zeigen, um der Geschichte etwas Schubkraft zu geben?», fragt die Journalistin. «Nicht schon wieder ein Demonstrationsfoto!», kontert der Bildredaktor.

Besetzungsversuch der Zufahrtswege zum AKW Gösgen, 26. Juni 1977
Besetzungsversuch der Zufahrtswege zum AKW Gösgen, 26. Juni 1977.  Foto: fotolib Basel

Des Nachbarn Dach brennt

Eine kleine, sorgfältig arrangierte Ausstellung im Basler Fotoraum Bellevue bewegt sich in exakt diesem Spannungsfeld. Historische Protestbilder werden an aktuellen gespiegelt, direkte fotografische Umsetzungen mit Verspieltem und Abstraktem kombiniert, wie Nahaufnahmen von Händen auf Abstimmungsknöpfen im Nationalratssaal oder malerischen Unschärfen im Bild. Wiederkehrende Brennpunkte über die Jahrzehnte: Wohnungsnot, Arbeits- und Klassenkämpfe, Frauenrechte, Kinderrechte, Umweltkrisen, Proteste gegen den Faschismus und für den Frieden. Aufschlussreich sind die Verschiebungen: Die in den 1970er Jahren auch in der Schweizer Bevölkerung breit verankerte Anti-AKW-Bewegung erscheint Seite an Seite mit den Klimademonstrationen von heute, in denen wiederum ganze Familien gegen die Erhitzung des Klimas auf die Strasse gehen; der Impuls scheint hier oft von den Kindern auszugehen.

Früher trug man beim Flyern gegen schlechte Luft zur Effektsteigerung schon mal Gasmasken, heute strecken Zehnjährige selbstgezeichnete Tafeln mit einer schmelzenden Glaceweltkugel und dem Slogan «Scheiss heiss ohne Eis!» in die Luft. Im Schwarzweissbild daneben stecken lateinische Slogans auf den Erdwällen einer geplanten AKW-Baustelle: «Tua res agitur cum tectum proximi ardet!»: Deine Sache steht auf dem Spiel, wenn des Nachbarn Dach brennt.

Viele dieser historischen Aufnahmen sind aus der Mitte der Proteste heraus geschossen. Sie sind anwaltschaftlich, solidarisch: nicht einfach professionelle Pressebilder und sachliche Dokumentationen, sondern engagierte Zeugnisse der Bewegung von innen. Ein Anlass für die Ausstellung ist die Überführung der Fotosammlung des Basler Fotolib-Kollektivs ins Staatsarchiv Basel-Stadt. Die Übergabe ist nicht ohne historische Ironie: War der Antrieb der in den siebziger Jahren gegründeten Agentur doch gerade, die repressive staatliche Gängelung der politischen Proteste selbstbewusst von unten herauszufordern, Polizeifotografien und Überwachung durch den Staatsschutz eine eigene Innensicht entgegenzusetzen. Eine der Urzellen der Fotolib Basel, der Zürcher Industriefotograf Kurt Graf, starb 2017 unerwartet. Sein Nachlass enthält auch das Fotolib-Archiv: 56 000 Aufnahmen verschiedener Fotograf:innen, bestehend aus Schwarzweissnegativen, Farbdias, Postkarten und einer Festplatte.

Besetzung Frauenzentrum Basel, April 1977
Besetzung Frauenzentrum Basel, April 1977. Foto: fotolib Basel
Nationale Klimademo, Bern, 30. September 2023
Nationale Klimademo, Bern, 30. September 2023. Foto: Sabina Bobst

Menschen vor Tafeln

Sicher keine einfache Arbeit, nun die oft unbeschrifteten, unstrukturierten Fotos zu erschliessen und sinnvoll zu gruppieren, damit sie überhaupt ins Staatsarchiv aufgenommen werden können. Eine Begleiterscheinung der primär ehrenamtlichen fotografischen Arbeit im Dienst der guten Sache scheint auch ein eher lockeres Verhältnis zu Beschriftungen, Ortsangaben und anderen Ordnungskriterien zu sein. Dafür zeigt sich diese «photographie engagée» visuell anschlussfähig an heutige Auseinandersetzungen mit Protesten und politischen Bewegungen: ein einzelner Mann, der mitten auf der Strasse auf dem Pflaster kniet, vor sich eine noch weitgehend weisse Tafel, in der gereckten Hand einen dicken Pinsel, mit dem er in perfekter Druckschrift zweimal das Wort «Kundgebung» auf die Tafel malt, beobachtet von auffallend interessiert und freundlich dreinblickenden Passant:innen; ein Kind, das selbstvergessen in einem Stoffzelt auf einem Tablet einen Trickfilm schaut.

Diese beiden – Jahrzehnte auseinanderliegenden – Fotos lassen zwar je eine Geschichte anklingen, doch ist nicht ganz klar, wo sie hinführt. Eine alte Wahrheit zur Fotografie blitzt auf: Ohne Text ist sie oft verloren. Vielleicht sind auch deshalb Transparente mit Slogans anhaltend beliebte Sujets. In Basel wird das Problem der fehlenden Geschichten mit Tonaufnahmen von Interviews gelöst, in denen Gymnasiast:innen politisch Engagierte von damals und heute in ein Gespräch verwickeln. Ein älterer Mann spricht darin nachdrücklich von «Ungehorsam» als Haltung gegen Unrecht; auch für jüngere Bewegte ein Wort mit anarchischer Kraft.

«Lichtblick. Fotografien politischer Bewegungen in den 1970ern und heute». Noch bis 16. Juni im «BelleVue. Ort für Fotografie» an der Breisacherstrasse 50 in Basel. Öffnungszeiten am Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr; im Rahmen von Veranstaltungen auch unter der Woche. www.bellevue-fotografie.ch

Schauspielhaus Basel, 5. Oktober 2019
Schauspielhaus Basel, 5. Oktober 2019. Foto: Basil Huwyler
Universitätsspital Basel, 11. November 2020
Universitätsspital Basel, 11. November 2020. Foto: Fabian Fiechter