Abstimmungskommentar: Der Kampf beginnt von vorne

Mit der Altersvorsorge 2020 ist die wichtigste sozialpolitische Vorlage der letzten Jahrzehnte gescheitert. Eine Neuauflage dürfte so bald nicht kommen: Links- und Rechtsaussen, die heute noch zusammen jubeln, werden sich bald wieder aufs Heftigste bekämpfen. Auf Dauer führt ein Reformaufschub zum Sozialabbau.

Die oft als Symbol bemühte RentnerInnenbank nach der Abstimmung. Foto: Alamy

Zunächst sah es nach einer Zitterpartie aus, nach einem knappen Ausgang der Abstimmung über die Altersvorsorge 2020. Am Ende resultierte ein Nein. Wie es zu interpretieren ist, ist alles andere als klar. Linksaussen ergriff in der Westschweiz erfolgreich das Referendum gegen die Altersreform und wurde von den Jusos unterstützt. Für die linken GegnerInnen war die Vorlage vor allem wegen der Rentenaltererhöhung für die Frauen und der Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau inakzeptabel.

Die Rechtsbürgerlichen, allen voran die kampagnenführende FDP, lehnten die Reform insgesamt ab. Ihre Kampagne konstruierte einen unsolidarischen Gegensatz zwischen Jung und Alt. Die Reform sei eine Scheinreform und belaste vor allem die nachkommenden Generationen. Die Frauen und die Jungen scheinen am Ende zwar den Ausschlag gegen die Vorlage von Bundesrat Alain Berset gegeben zu haben. Beinahe die Hälfte der StimmbürgerInnen sagte dennoch Ja zur Altersreform, noch knapper fiel der Entscheid bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer aus.

Glatt wird das nicht gehen

So uneindeutig wie das Resultat ist, so unklar ist die Frage, wie es nun politisch weitergeht. Die Rechtsbürgerlichen haben vor der Abstimmung behauptet, nach einem Nein könne eine neue Reform der Altersvorsorge rasch aufgegleist werden, sie sprachen von einem Plan B: Sie wollen die Reform der AHV und der zweiten Säule separat angehen. Die Finanzierung der AHV-Renten sei durch eine Mehrwertsteuererhöhung zu sichern. Ihre Pläne für die Pensionskassenrente: Umwandlungssatz senken und dies mit massiv höheren Lohnabzügen kompensieren.

Dass sie damit nun glatt durchkommen, ist kaum zu erwarten. An der eben gescheiterten Vorlage haben Bundesrat und Parlament sieben Jahre gearbeitet. Das Parlament ist in dieser Frage völlig zerstritten, eine rasche Umsetzung neuer Reformen scheint unrealistisch. Zumal die Westschweizer Linke, die gegen Bersets Vorlage angetreten ist, innerhalb des linken Lagers an Gewicht gewonnen hat. SP, Gewerkschaften und Grüne werden das nicht ignorieren können. Der Fight um eine Lösung beginnt von vorne. Am Ende müssen erneut die StimmbürgerInnen überzeugt werden.

Blockade nützt den Rechten

Weil es die Rechtsbürgerlichen sind, die bei der Altersvorsorge stets zum Alarmismus neigen, spielt ihnen ein Aufschub von Reformen in die Hände. Finanzierungslücken in der AHV und bei den Pensionskassen werden ihnen dann Argumente für die Erhöhung des Rentenalters und die Senkung der Renten liefern. Das ist das nicht offen deklarierte Ziel. Die AHV, das stärkste Bollwerk des Schweizer Sozialstaats, wäre dann in Gefahr. Auf lange Sicht ist die rechte Agenda klar: die Zerschlagung des Sozialstaats in der heutigen Form. Das lässt sich auch daran festmachen, dass sich die Konzernwirtschaft und Teile der KMU bei den Reformen der Sozialversicherungen ihrer sozialen Verantwortung entledigt haben.

Der Schweizer Sozialstaat steht im internationalen Vergleich insgesamt noch gut da. Allerdings ist er mit seinen Sozialversicherungen und der Sozialhilfe horizontal und vertikal fragmentiert. Werden die Leistungen einer Sozialversicherung beschnitten, wirkt sich das auf die anderen Sozialversicherungen und die Sozialhilfe negativ aus. Diesen Umstand werden die SozialabbauerInnen für ihr Powerplay nutzen.

Die Ironie der Geschichte

Die Ablehnung der Reform der Altersvorsorge 2020 ist für Bundesrat Alain Berset gewiss eine schwere Niederlage, für SP, Gewerkschaftsbund, Grüne und die moderaten Bürgerlichen ist es zwar eine Niederlage, aber keine endgültige. Eine Niederlage mussten sie zumindest bedenken: Man darf gespannt sein, ob sie einen überzeugenden Plan B aus der Schublade ziehen. Ebenso, ob die Forderung von Linksaussen nach einem Rückbau der Pensionskassen überhaupt diskutiert wird. Eine fortschrittliche Reform der Altersvorsorge ist immer noch möglich. Die Ironie könnte darin liegen, dass sie am Ende der Debatte ziemlich gleich aussieht wie der Kompromiss, der heute bachab geschickt wurde.