Atomschrott: Nukleares Papageiengeplapper

Am Wochenende wird wieder einmal radioaktiver Müll vom französischen La Hague ins deutsche Gorleben transportiert. Nicht alle wollen tatenlos zuschauen.

Es ist November, und wieder einmal rollt Atommüll durch halb Europa. Am kommenden Wochenende wird ein Transport mit zwölf Castorbehältern in der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague starten. Der hochradioaktive Schrott ist für das Atommüllzwischenlager im norddeutschen Gorleben bestimmt. Wie in den vergangenen Jahren haben die Behörden Demonstrationen entlang der Transportroute verboten. Wie in den vergangenen Jahren bietet die Polizei tausende Beamte zum Schutz der strahlenden Fracht auf. Und wie in den vergangenen Jahren lassen sich die AtomgegnerInnen im Wendland davon nicht sonderlich beeindrucken. Sie haben Kundgebungen, Laternenumzüge sowie Blockaden auf Strassen und Schienen angekündigt, um die Castoren zu stoppen.

Alles wie gehabt also? Nicht ganz. Denn dieses Mal steht die Antiatombewegung vor zusätzlichen Herausforderungen. Der Castortransport ist in eine grosse Propagandaoffensive der Atomlobby eingebettet; allenthalben ist von einer Renaissance der Kernkraft die Rede. In Finnland und Frankreich soll der Europäische Druckwasser-Reaktor (EPR) gebaut werden. Ein Ungetüm mit 1600 Megawatt Leistung, das durch doppelte Ummantelung und eine Keramikwanne unter dem Reaktorkern noch viel sicherer sei als die ohnehin schon als absolut sicher verkauften AKW in Westeuropa (siehe WOZ Nr. 39/04).

In Deutschland reden alle vom Ausstieg – vom Ausstieg aus dem Atomausstieg. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) war der Erste, der unter dem Eindruck kletternder Ölpreise eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke und den Bau weiterer Meiler ins Gespräch brachte. Wie die Papageien plapperten es ihm die konservativen Granden nach. Zeitschriften wie «Stern» und «Zeit» widmeten dem möglichen Ende des Atomausstiegs zuletzt Titelgeschichten. Dabei ging unter, dass der angebliche Atomausstieg eigentlich gar keiner ist. «Umfassend und unumkehrbar» sollte er sein, hatte die rot-grüne Regierungskoalition bei ihrem ersten Wahlsieg 1998 versprochen. Nach langem Gezerre kam dann im Jahr 2000 der so genannte Atomkonsens zustande – ein Abkommen zwischen Stromkonzernen und Bundesregierung, das den Neubau von AKW verbietet, den Weiterbetrieb bestehender Reaktoren jedoch für lange Zeit garantiert. Der letzte Meiler könnte frühestens im Jahr 2021 abgeschaltet werden. Aber auch das wäre nicht gewiss. Eine CDU-geführte Bundesregierung könnte den Konsens für null und nichtig erklären und das Atomgesetz wieder ändern.

Unbestreitbar ist, dass sich die deutschen Energieversorger nichts sehnlicher wünschen als noch längere Laufzeiten für ihre äusserst rentablen Atomkraftwerke. Anders verhält es sich beim Neubau von AKW. Noch ist unklar, mit welcher Energieart sich künftig das meiste Geld verdienen lässt, von daher scheuen die Strombosse weitere Milliardeninvestitionen. Für die EPR-Prototypen in Frankreich und Finnland haben die Hersteller jetzt Fixpreise von drei Milliarden Euro garantiert. Tatsächlich dürfte der Superreaktor aber deutlich teurer sein – die Hersteller wollen die Kostenüberschreitung selbst übernehmen. Neue Meiler wollen die Stromkonzerne in Deutschland deshalb nur bauen, wenn zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten dafür sind. Eine solche Mehrheit ist derzeit nicht in Sicht.

Stimmungen können sich allerdings schnell ändern – und geändert werden. Vor allem wenn nicht nur hartgesottene Atomlobbyisten die Atomkraft preisen, sondern auch Leute mit gutem Ruf in der Ökoszene für verlängerte Laufzeiten der AKW plädieren. Fritz Vahrenholt etwa, ehemaliger Umweltsenator in Hamburg und Chef einer Windkraftfirma, begründet die Forderung damit, dass in den nächsten zwanzig Jahren viele alte Kohlekraftwerke abgeschaltet werden müssen. Da die wünschenswerten Alternativen – emissionsfreie Kohlekraftwerke und regenerative Energien – so rasch nicht bereitstünden, sollten die AKW noch ein paar Jahre länger laufen.

Sollte der Ölpreis hoch bleiben, wird auch die vermeintliche Versorgungssicherheit der AKW als Argument grösseres Gewicht bekommen. Zwar ist auch Uran nur begrenzt auf der Erde verfügbar, doch lagern die grossen Vorräte in «stabilen» Ländern wie Kanada oder Australien. Und auch mit dem Verweis auf den Klimaschutz sind manche Menschen zu beeindrucken. AKW stossen schliesslich kein CO2 aus, wenn auch die radioaktiven Stoffe bei weitem gefährlicher sind. Für die Antiatombewegung sind mit der konzertierten Pro-Kernkraft-Kampagne schwere Zeiten angebrochen. «Sollen wir uns nun etwa stark machen für den Atomausstieg von Rot-Grün, den wir bisher bekämpft haben?», fragt Widerstandsveteran Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative in Gorleben. «Ob Rot-Grün oder Schwarz-Gelb und Deregulierung der Laufzeiten – unsere Antwort kann nur heissen: Schluss mit dem atomaren Abenteuer.» Und damit diese Parole nicht ungehört verhallt, werden am Wochenende wieder viele entlang der Strecke nach Gorleben auf den Beinen sein.