«Comme une image»: Der Himmel besserer Zeiten

Nach «Le Gôut des autres» beweist die Regisseurin Agnès Jaoui zum zweiten Mal ihre Qualitäten als humorvolle Analytikerin der französischen Bourgeoisie.

Szene 1 im Taxi: Eine junge Frau sitzt im Fond, sie versucht zu telefonieren. Aber der harte Rap, den der Fahrer hört, lässt sie keine Silbe dessen verstehen, was ihr Gesprächspartner sagt. «Können Sie das Radio bitte leiser stellen?» Keine Reaktion. Später bittet sie ihn: «Können Sie hier warten?» Er muffelt, das käme ihn teuer. Die junge Frau wird abgekanzelt. Szene 2 im gleichen Taxi: Ein älterer Mann und seine junge Gattin sind dazugestiegen. Die Tür sei nicht ganz zu, ranzt der Taxifahrer. «Was haben Sie gesagt?», brüllt der Alte, «reden Sie mit mir? Nicht dieser Ton, nicht mit mir!» Der Taxifahrer kuscht.

Perfektes Gesellschaftsspiel

Es seien diese Treppchen in der sozialen Hackordnung, diese Spielregeln der Unterwerfung, die sie interessierten, hat die französische Filmemacherin Agnès Jaoui bekannt, und «Comme une Image» dreht sich, wie schon seine präzise Eröffnungsszene, um fast nichts anderes. Dabei geht es Jaoui sowohl um das soziale Gefälle wie auch um die Hierarchie, die die Geschlechterdifferenz markiert. Angesiedelt hat sie ihr neues Stück in der Literatenszene von Saint-Germain des Prés, der Alte aus dem Taxi ist Etienne Cassard, ein berühmter Schriftsteller und Verleger, der dort so kaltschnäuzig wie verbissen seine Position behauptet – ein Taxifahrer gehört da noch zu den leichtesten Opfern. Cassards Tochter Lolita hingegen (die wir als junge Frau im Taxifond kennen lernen) hat es schwerer, sie ist dick und obendrein schüchtern. «Ich bin eine Null», heult sie, «ich bin mehr als ne Null!» Aber man sollte sich nicht täuschen, auch sie beherrscht das Gesellschaftsspiel perfekt: Als ihre Gesangslehrerin ein wenig zickig droht, den Extraaufwand für ein studentisches Projekt zu streichen, schiebt sie die Visitenkarte ihres Vaters hinüber: Er begrüsse eine Bekanntschaft mit dem jungen Literaten (mit dem wiederum die Gesangslehrerin verheiratet ist). So wäscht eine Beziehungshand die andere, nun wird gesungen, was das Zeug hält, und der bislang unbekannte Pierre Miller kriegt eine Seite im Feuilleton von «Le Monde».

Das ist teilweise so bösartig gespielt, dass man Agnès Jaoui (sowie ihren Kodrehbuchautor und Exehemann, Jean-Pierre Bacri) für die NachfolgerInnen Claude Chabrols halten mag. Doch Jaoui, die die berühmte Schauspielschule von Patrice Chéreau am Théâtre des Amandiers in Nanterre besuchte, hält es eher mit Alain Resnais, für den sie (ebenfalls schon gemeinsam mit Bacri) Drehbücher schrieb: Das zu «Smoking / No Smoking» und ein zweites zu «On connaît la chanson». Sie mag ihren Figuren nicht kalt und staunend zuschauen wie ein Kind, das Insekten unter einem Glaskasten beobachtet. Denn einerseits verfügt sie über einen grandiosen Humor (denken wir an die wunderbare Szene in «Le Gôut des autres», in der ein Mann sich wegen einer Frau den Schnurrbart abrasiert und sie die Veränderung nicht einmal bemerkt ...). Andererseits kennt sie ihre Figuren von innen. Sie weiss um ihre Wünsche, Träume und Sehnsüchte, um ihre Schwächen und um ihre Bösartigkeit. Und sie gönnt ihnen ihr Quäntchen vom Glück, egal ob es sich recht authentisch entwickelt oder ziemlich aufgesetzt daherkommt. Die Gesellschaft und ihre Konventionen sind ihr nicht das Böse schlechthin, sondern die Form, in der Menschen zusammenleben.

Brav wie ein Bild

Im Zentrum von «Comme une Image» steht nicht zufällig die junge Lolita, die ihrem Namen und dem gesellschaftlichen Bild einer jungen Frau kaum gerecht wird: «Sage comme une image» (brav wie ein Bild), will ein französisches Sprichwort das Mädchen, aber Lolita ist nicht artig, die Klappe will sie auch nicht halten, und die alten Männer finden sie nicht geil – kurz, sie kämpft um ihren Platz in der Gesellschaft, ist gefangen zwischen der hohen Latte, die ihr Vater legt, und dem Sprung, zu dem sie als nicht eben hübsches Mädchen ansetzt. Und während alle Gestalten um sie herum ständig buckeln und sich verbiegen – die (von Jaoui selbst gespielte) Gesanglehrerin weiss den gesellschaftlichen Aufstieg zu schätzen; der Jungliterat liebt plötzlich Kaninchen (ein Gericht, das er bislang verabscheute); der (von Bacri gespielte) Altliterat tut so, als verzichte er freiwillig auf seine Vorrangstellung in der Szene –, findet Lolita schliesslich doch einen aufrechten Weg. Jetzt ist nichts mehr, wie es angefangen hat, und auch diese aufklärerische Hoffnung auf eine Entwicklung der Personen unterscheidet Jaoui von Chabrol.

Im Kino, so behauptet die psychoanalytisch geschulte Regisseurin (ihre Mutter war Psychoanalytikerin), konstituiere der Blick der anderen die Charaktere. Vielleicht konzipiert Jaoui deshalb ihre Drehbücher gemeinsam mit Jean-Pierre Bacri, denn ein zweiter Autor wirft garantiert einen zweiten Blick. Geschrieben und verfilmt sind die Geschichten trotzdem als so therapeutische wie kathartische Absage an das Verdikt, dass es im wahren Leben genauso zu und her geht, der Eindruck der anderen wichtiger ist als die Freiheit des Einzelnen. Dazu tut auch die vorwiegend klassisch tobende Tonspur von «Comme une Image» das ihre, die von einem Lied des Komponisten Franz Schubert gerahmt wird:

«Du holde Kunst, in wie viel grauen Stunden, / Wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt, / Hast du mein Herz zu warmer Lieb entzunden, / Hast mich in eine bessre Welt entrückt! / Oft hat ein Seufzer, deiner Harf entflossen, / Ein süsser, heiliger Akkord von dir / Den Himmel bessrer Zeiten mir erschlossen, / Du holde Kunst, ich danke dir dafür!»

Comme une Image. Regie: Agnès Jaoui. F 2004