Neuer Fichenskandal: «Wef, wollte an Demo»

Die Bündner Polizei hat wahllos Wef-GegnerInnen registriert und Daten mit anderen Polizeidiensten ausgetauscht.

Beim letzten World Economic Forum (Wef) Ende Januar in Davos wurden tausende von DemonstrantInnen in Landquart von einem Grossaufgebot der Polizei abgefangen. Die meisten wurden zurückgeschickt. Zuvor aber wurden Personalien erhoben, Ausweise kopiert, Bilder geschossen. Rund 400 Personen und Organisationen gerieten so in die Wef-Registratur der Bündner Kantonspolizei. Aufgezeichnet sind Name, Vorname, Geburtsdatum, Geschlecht, Zivilstand, Heimatort, Staatsangehörigkeit, ID-Nummer, Adresse, Foto, Vorgang, Personenkontrolle (Ort und Zeit). Dazu gibt es polizeiliche Bemerkungen («Wef, wollte an Demo») sowie ein Verfalldatum (27.1.2003).

Regierung im Regen

Diese Ficheneinträge sind dank einem Rechtsverfahren amtlich dokumentiert. Einige Jugendliche aus dem St. Galler Oberland, die nach Davos wollten, haben nämlich gegen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit und ihre polizeiliche Fichierung beim Bündner Justiz- und Polizeidepartement Beschwerde eingelegt. Das Bündner Polizeikommando musste Anfang Mai dazu Stellung nehmen und die Einträge bestätigen.
Dabei musste Kripo-Chef Martin Accola zugeben, dass die Bündner Kantonspolizei wahllos Daten erhoben und registriert hat. Dies wird damit gerechtfertigt, dass nicht im Voraus identifizierbare gewaltbereite Aktivisten sich angeblich hinter Kollektiven verstecken, «so dass deshalb von einem unbestimmt grossen Personenkreis als potenzielle Aktivisten gegen das Wef ausgegangen werden musste». Wohl habe eine Abgleichung der Daten mit dem Ripol (Straftatbestände) stattgefunden, räumte Accola ein. Doch dann wurde der Polizeiverdacht auf strafbare Handlung – Voraussetzung für eine Fichierung – extrem weit gefasst und nicht nur auf Waffen und gefährliche Gegenstände, sondern auch auf die Mitführung von «Demonstrations- und logistischem Material» bezogen. Für eine Fiche genügt es also nach Bündner Lesart, wenn jemand ein Transparent, ein Flugblatt oder eine kritische Broschüre in der Hand hält. So gerieten auch friedliche DemonstrantInnen in den Polizeicomputer.
Fichiert wurden auch erklärtermassen gewaltfreie Organisationen wie die Erklärung von Bern (EvB). Diese hatte die Wef-Gegenveranstaltung «Public Eye on Davos» organisiert. Als die EvB vorige Woche ihre Fichierung bekannt machte, redete sich Kripo-Chef Accola damit heraus, man benötige die Angaben, um künftig mit der EvB Kontakt aufnehmen zu können – als wäre eine Registratur ein blosses Adressverzeichnis.
Schliesslich stellte sich heraus, dass das Polizeikommando die Bündner Regierung falsch informiert hat. Diese antwortete nämlich auf einen SP-Vorstoss im Grossen Rat, dass die Wef-Einträge gelöscht würden, wenn keine strafbaren Handlungen oder sicherheitspolizeilichen Risiken vorlägen. Der Registratureintrag «Verfalldatum» belegt allerdings das Gegenteil. Man dürfe solche Daten fünf Jahre lang aufbewahren, behauptete Accola unter Berufung auf eine kantonale Verordnung über die Kantonspolizei.
Die Bündner Regierung steht nun mit abgesägten Hosen da. Sie hat eingestehen müssen, dass sie vom Polizeiapparat «unvollständig» informiert wurde. Die politische Verantwortung dafür trägt FDP-Hardliner Peter Aliesch. Um die Glaubwürdigkeit zu retten, hat die Regierung am Montag eilig verfügt, dass die Wef-Datensätze bis Ende Juni unter richterlicher Aufsicht eliminiert werden müssen. Weiterhin im Bündner Polizeicomputer registriert bleiben allerdings auch danach Daten, «die Personen betreffen, denen demonstrationstaugliches Material abgenommen wurde».

Fröhlicher Datenaustausch

Ohnehin nützt die angeordnete Eliminierung der Daten nichts. Denn diese wurden ziemlich sicher schon an andere Kantone weitergegeben: «Die Daten werden dem Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) zur Verfügung gehalten und mit Kantonen ausgetauscht, die ebenfalls mit Ausschreitungen von Anti-WTO-Aktivisten und Globalisierungsgegnern konfrontiert sind», räumt Polizeichef Accola im Beschwerdeverfahren ein. Die Anwälte der Beschwerdeführer, Viktor Györffy und Peter Nideröst, sind überzeugt, dass die Personaldaten bereits auch in den Berner Staatsschutzcomputer und von da ins Ausland gelangt sind. Die Bundespolizei bestreitet dies: «Wir haben die Daten nicht en bloc angefordert, weil wir bei der Einsichtnahme vor Ort gesehen haben, dass die gesetzlichen Bedingungen zur Registrierung nicht in allen Fällen erfüllt waren», sagt der stellvertretende Bupo-Chef Jürg Bühler. Die Bupo, so Bühler, fichiere keine friedlichen Demonstranten und gebe deren Daten daher auch nicht ins Ausland weiter.
Wo die Bupo im Einzelfall die Grenze zwischen friedlichen und nicht so friedlichen Demonstranten zieht, lässt sich nicht eruieren. Das verhindert das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit, das als Gegenvorschlag zu der am 7. Juni 1998 abgelehnten Initiative «Schweiz ohne Schnüffelpolizei» in Kraft trat. Dieser Staatsschutzerlass erlaubt den Betroffenen auf Bundesebene keine direkte Einsicht mehr. Lediglich der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte kann einen Eintrag bestätigen oder bei festgestellter fehlerhafter Bearbeitung eine Korrekturempfehlung ans Bundesamt abgeben. «Unrechtmässige Daten können auf diese Weise kaum mehr eliminiert werden», kritisiert Anwalt Györffy. Er kündigt an, auch in anderen Kantonen, namentlich Zürich und Genf, Einsicht in Wef-Polizeidaten zu verlangen.