Von oben herab: Streetlife

Nr. 15 –

Stefan Gärtner liest News mit PS

Sein Nachteil ist so alt wie das E-Mail selbst: dass man es zu schnell abschicken kann. Hätte ich dem arbeitslosen Kollegen meine wirklich «guten» Ratschläge samt der Einschätzung, wie blöd er gewesen sei, bei seinem letzten Job überhaupt hinzuwerfen, auf Papier geschrieben, hätte ich erst mal keine Briefmarke gehabt und dann zehnmal vergessen, den Brief in den Kasten zu werfen. Und wäre vielleicht rechtzeitig zur Einsicht gelangt, dass generöses Bescheidwissen ja nun das Letzte war, was der Kollege gebrauchen konnte.

Immerhin habe ich ihm versprochen, mich «umzuhören», aber der Branche geht es schlecht, was nicht heisst, dass nicht immer wieder (Online-)Publikationen auftauchen, von denen man noch nie gehört hat: «Streetlife. News mit PS» ist so eine, und «Streetlife. News mit PS» war jetzt lesbar froh, mir mit der Schlagzeile zu kommen: «In der Schweiz ist Autofahren am günstigsten», Hammer! «Für die Studie berücksichtigt wurden diese Angaben: Die Kosten für ein Auto vom Durchschnittslohn abgezogen, der Benzinpreis, die Steuern, die Reparaturkosten, die Parkgebühren, Bussen und die Kosten für die Waschanlage. Zudem flossen der Wertverlust des Autos und die Finanzierung in die Studie mit ein.» Mit solch raffiniert desaströsen Sätzen, Fanale gegen den Wertverlust des Journalismus im Ganzen, sollte sich Chefredaktorin Silvana Guanziroli gut gegen die kommende KI behaupten können. Jedenfalls sind in der «Hochpreisinsel Schweiz» («Streetlife. News mit PS») Benzin, Versicherung und Kfz-Steuer günstig, und der Durchschnittslohn ist so hoch, dass man die Kosten für ein Auto ruhig davon abziehen kann, und es bleibt immer noch genug für einen Cappuccino in der «Kronenhalle» – ein «Witz», der bei der Entscheidung, diese meine Kolumne von KI übernehmen zu lassen, mit Sicherheit (und Recht!) gegen mich verwendet werden wird.

Aber noch darf ich, und das spiele ich natürlich voll aus. Schliesslich ist Zeit Geld, und als Familienkombifahrer sehe ich es mit Entsetzen, dass Deutschland im Wo-ist-brummen-billig-Ranking nicht mal unter den ersten fünf gelandet ist, anders als Irland (Platz zwei), denn «der irländische Auto-Markt ist durch viel Wettbewerb dynamisch, was gemäss Studie für die Kundschaft positiv sei». Das ist noch dann ein Spitzensatz, wenn «irländisch» gemäss Netz-Wörterbuch ein echtes Wort ist («selten»), wie es ebenfalls stimmt, dass der Markt durch viel Wettbewerb dynamisch sein muss, weil anders die liberale Gesellschaft gegen Putin keine Chance hat. Apropos kann man sich den Spass machen und «Putin» in die Suchmaske von «Streetlife. News mit PS» eingeben. Es kommt tatsächlich 1 Ergebnis: «Auto-Batterien, Erdgas, Halbleiter und Antibiotika: Durch die Globalisierung sind wir auf Lieferanten im Ausland angewiesen», und man beachte bitte die Reihenfolge! «Corona und Wladimir Putin zeigten, dass diese Abhängigkeit erpressbar macht. Sollen wir die Produktionen wieder nach Europa zurückholen? Harald Oberhofer, Professor für Empirical Economics an der Wirtschaftsuniversität Wien, hat dazu eine klare Meinung», und die stand schon wieder zuerst in einer Publikation, die mir bis dato völlig unbekannt war: «Der Artikel stammt aus der Feder der ‹Pragmaticus›-Redaktion. Das Magazin mit Sitz im liechtensteinischen Schaan widmet sich den grossen Fragen unserer Zeit.» So wie «Streetlife. News mit PS» eben auch («Kriege ich kurzfristig noch einen Termin? Sieben Fakten zum Reifenwechsel»).

Und da werde ich den Teufel tun und dem Kollegen, an den grossen Fragen der Zeit so interessiert wie ich, ein Mail schreiben des Inhalts, es gebe noch genügend quicklebendigen Journalismus, und wenn man nicht nach Schaan ziehen wolle, dann biete sich jedenfalls Zürich an. Dabei muss eins bei «Streetlife. News mit PS» nicht einmal viel verdienen. Solange man nur Auto fährt.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.