Durch den Monat mit Angelika Hilbeck (Teil 2): Können Laien entscheiden?

Nr. 45 –

Angelika Hilbeck: «Ökologen werden als Dissidenten hingestellt. Das ist Stra­tegie.»

WOZ: Die Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) hat in den Abstimmungskampf um das Gentech-Moratorium eingegriffen.
Angelika Hilbeck: Ja, das hat mich erstaunt.

Die KOF sagt, das Moratorium schade der Biotech-Industrie und gefährde Arbeitsplätze. Prominente VertreterInnen der Wissenschaft sagen, das Moratorium schade der Forschung – obwohl es nur für landwirtschaftliche Anwendung gilt. Können Sie sich die grosse Angst vor dieser Initiative erklären?
Ich teile die Meinung nicht, dass die Forschung leiden würde. Manche, die mit einem Forschungsbereich sehr verbunden sind, tendieren dazu, zu denken: Wenn mein Forschungsgebiet untergeht, geht der gesamte Forschungsplatz Schweiz unter. Ich bin überrascht und irritiert, dass man keinerlei Chancen darin sieht, Spitzenforschung beispielsweise auf dem Bereich der Biosicherheitsforschung zu betreiben. Ich muss ständig Studenten abweisen, weil mir die Mittel fehlen, und unser Bereich nicht ordentlich in Lehre und Forschung der ETH etabliert ist. Die Studenten, die das studieren wollen, gelten von vornherein nicht als Spitzenforscher, denn damit kann man ja keine Nobelpreise gewinnen. Diese Sichtweise finde ich ausgesprochen einseitig. Ich hätte gehofft, dass wir mehr aus den Folgen einseitiger Forschung im 20. Jahrhundert gelernt hätten. Damals trieben vor allem die Chemie und die Physik ihre Anwendungen voran, ohne rechts und links zu schauen – um dann zu sehen, wies rauskommt. Heute haben wir die Unschuld verloren und können nicht mehr einfach sagen: Ojeh, das habe ich aber nicht gewollt.

Man hört und liest oft, «die» Forschung sei gegen das Moratorium. Da müssen Sie als Forscherin, die das Moratorium befürwortet, sich etwas ausgeschlossen fühlen.
Ja, natürlich. Aber wenn man Milliarden in einen Forschungsbereich investiert und andere Bereiche wie die Biosicherheitsforschung kaum fördert, dann sind Experten in diesem Fach natürlich in der Minderzahl. Die werden dann als Dissidenten hingestellt. Das ist Strategie.

Ebenfalls oft hört und liest man: Je besser die Leute die Gentechnologie verstünden, desto weniger Angst hätten sie davor.
Diese These ist ja widerlegt. Für mich ist es ein positives Zeichen, dass so breit diskutiert wird. Das zeigt, dass die Menschen in den vergangenen dreissig, vierzig Jahren realisiert haben, dass jede Technik neben ihren guten Seiten ihre Grenzen und Gefahren hat und dass der Preis des technischen Fortschritts oft sehr hoch war. Umweltzusammenhänge werden heute Gott sei Dank ja auch in den Schulen unterrichtet. Dazu kommt die ethische Frage: Was dürfen wir? Das sind alles sehr intelligente Diskussionen.

Viele BiologInnen beklagen sich, die Leute verstünden fast nichts von Biologie.
Natürlich werden Sie nie erreichen, dass alle Spezialisten sind, aber wir sind so gut gebildet, wie das in der Geschichte noch nie der Fall war. Die Menschen wissen viel – und vieles wissen sie nicht, aber das wissen sie auch –, und sie nehmen sich das Recht, mitzureden. Das ist doch wunderbar.

Können denn Laien solche Fragen demokratisch entscheiden?
Die Frage, ob die Leute das können, stellt sich für mich gar nicht. Sie tun es, sie haben das Recht dazu, und es steht uns nicht zu, das infrage zu stellen. Alles andere wäre eine Entdemokratisierung.

Sind nicht manche Leute, die die Gentechnik ablehnen, einfach wissenschaftsfeindlich?
Angenommen, Sie sind ein Experte. Sie widmen Ihr ganzes Leben, all Ihre Energie einem Thema – völlig egal, was. Dann bieten Sie das der Gesellschaft an, und die sagt: Das wollen wir aber nicht. Oder sie stellt Fragen, die Sie dumm finden. Da fühlen Sie sich persönlich infrage gestellt. Diesen Kurzschluss beobachte ich sehr häufig. So kommt für mich der Begriff «Wissenschaftsfeindlichkeit» zustande. Auch ich werde von Gentech-Gegnern angegriffen. An einer Veranstaltung sagte man mir jüngst: «Was forscht ihr eigentlich an dem Blödsinn? Ihr tragt dazu bei, dass diese Entwicklung vorangeht.» Denn wir erarbeiten ja Verfahren, wie man diese Pflanzen sicher anwenden kann; das ist nur in einigen Kreisen noch nicht durchgedrungen. Mit solchen Angriffen lebe ich, es ist jedermanns gutes Recht, meine Arbeit zu hinterfragen. Dem muss ich mich stellen. Das heisst nicht, dass diese Leute feindlich sind. Sie sind nur wissenschaftskritisch, sie möchten mitreden, wie die Wissenschaft gestaltet wird, denn sie zahlen ja auch mit.

Angelika Hilbeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geobotanischen Institut der ETH und Mitglied der Eidg. Kommission für Biosicherheit.

Nachtrag: Siehe auch das Interview in WOZ Nr. 9/15.