Fussball und andere Randsportarten: Spielbericht aus der Pampa

Nr. 16 –

Pedro Lenz auf den Spuren eines Emmentaler Auswanderers

Es ist Sonntagnachmittag in Romang, einem Dorf in der argentinischen Provinz Santa Fé. Eine Viertelstunde vor Spielschluss steht es in einem hart umkämpften Spiel 1:1 unentschieden. Die Sonne brennt gnadenlos, und die Fussballer sind am Ende ihrer Kräfte. Von aussen deutet alles darauf hin, dass beide Teams mit diesem 1:1 zufrieden sind.

Da wird ein Spieler von Atlético y Tiro Reconquista für ein ziemlich rüdes Foul vom Platz gestellt. Von der kleinen Stehrampe, die von zwanzig oder dreissig Fans des Heimklubs Atlético Matienzo bevölkert wird, bekommt der Fehlbare allerhand obszöne Anspielungen auf seine Familie und auf die ihm zugeordnete sexuelle Orientierung zu hören. Demütig schleicht der so beschimpfte Sünder vom Rasen. Er dürfte froh sein, dass das Spielfeld des Club Atlético Matienzo von einem hohen Drahtzaun eingegrenzt wird.

Fans und Autos stehen zwischen diesem Drahtzaun und einer Aussenmauer der Anlage. Wer also zum Spiel will, bezahlt seinen Eintritt am Aussentor und kann dann zu Fuss, per Fahrrad, Motorrad oder Automobil ins Stadion gelangen. Gleich unmittelbar neben dem Sportplatz des Club Atlético Matienzo befindet sich die Anlage des Lokalrivalen FC Romang, dessen Klubfarben Rot und Weiss daran erinnern, dass er vor bald hundert Jahren als Unterabteilung eines Schweizer Turnvereins gegründet wurde.

Die Ortschaft Romang liegt ungefähr 260 Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Santa Fé, im Verwaltungsbezirk San Javier, unweit des grossen Flusses Paraná. Romang zählt knapp 10 000  EinwohnerInnen. Benannt ist der Ort nach seinem Gründer, Dr. Teófilo Romang, einem ehemaligen Uhrmacher aus dem emmentalischen Trubschachen. Dieser Romang hiess eigentlich Peter Wingeyer. Als er aber in der alten Heimat ernsthafte Probleme auf sich zukommen sah, wanderte er 1860 nach Argentinien aus. Auf der Überfahrt von Antwerpen nach Buenos Aires soll er dann der Witwe eines Arztes aus Langnau im Emmental die Papiere ihres verstorbenen Mannes abgekauft haben.

Es gibt auch böse Zungen, die behaupten, Wingeyer habe die neuen Papiere so dringend gebraucht, dass er den Doktor eigenhändig über Bord geworfen habe. Jedenfalls lebte Wingeyer fortan mit neuer Identität als praktizierender Arzt in verschiedenen Ortschaften der Provinz Santa Fé. Der Legende nach soll der neue Romang als selbst ernannter Arzt recht erfolgreich gewesen sein. Ausserdem war er ein Siedlungspionier, der mehrere Dörfer aufbauen half. 1873 liess er sich definitiv in der Ortschaft nieder, die bis heute seinen Namen trägt.

Wingeyer/Romang, der Jahre zuvor im Trubschachen die ihm anvertrauten Gelder einer Mündelkasse veruntreut hatte, starb 1889 als angesehener und reicher Mann. Sein Grab hat auf dem Friedhof in Romang einen Ehrenplatz, und bis heute wird er jedes Jahr am Gründungsfest besungen und geehrt.

Da die ersten SiedlerInnen in Romang aus der Schweiz kamen, sind die ältesten Sportklubs im Dorf der Schützenverein (Sociedad de Tiro) und der Turnverein (Sociedad Gymnástica Suiza). Turnvereinsmitglieder gründeten bald einen Fussballklub, und weil es langweilig war, immer untereinander zu spielen, animierten sie andere Zuwanderer, ebenfalls einen Klub zu gründen. So entstand der bereits erwähnte Club Atlético Matienzo. Der FC Romang und der Club Atlético Matienzo spielen in der gleichen Regionalliga und sollen dem Vernehmen nach ungefähr gleich stark sein.

Aber zurück zum Spiel des Club Atlético Matienzo gegen Atlético y Tiro Reconquista. Mit einem Mann mehr auf dem Platz erzielt Matienzo kurz vor Schluss den kaum mehr erhofften Siegestreffer. Die Matienzo-Fans hauen zufrieden auf ihre Pauken und feiern einen Neuling, der auf diese Saison hin vom Lokalrivalen zu ihnen wechselte: Er heisst Ramseyer, genannt «El Rubio».

Pedro Lenz, 47, ist Schriftsteller und lebt in Olten. Zurzeit recherchiert er in Argentinien für ein Bühnenprojekt.