«Feuchtgebiete»: Sperma, Schamhaare, Schweiss und Ausfluss: Gar nicht so eklig

Nr. 34 –

Die Verfilmung von Charlotte Roches «Feuchtgebieten» ist nicht der angekündigte Skandal. Doch der Film setzt sich unterhaltsam mit Sex und Körperflüssigkeiten auseinander – und fordert deswegen gerade Teenager heraus.

Betörender Eigengeruch statt Intimspray-Tristesse: Helen Memel (Carla Juri) überprüft den Geruch ihrer Vagina. Still: Peter Hartwig, Majestic

«Wenn man Schwänze, Sperma und andere Körperflüssigkeiten eklig findet, kann man es mit dem Sex auch direkt bleiben lassen», sagt Helen Memel, die Protagonistin des Films «Feuchtgebiete». Und damit sind wir voll im Thema von David Wnendts Verfilmung von Charlotte Roches 2008 erschienenem gleichnamigem Roman. Es geht um Sex. Aber nicht um sterilen, sauberen, nach Intimspray und Deodorant riechenden Sex. Sondern um Sex, bei dem die Vagina einen Eigengeruch hat, Sex, wo geschwitzt werden darf und wo das Sperma genüsslich gekaut wird.

Bereits der Trailer von «Feuchtgebiete» sorgte für Ärger: Unzumutbar für ein normales Publikum sei er, Facebook sperrte ihn gar wegen «sexuell expliziter und aufreizender Inhalte». Nach der Premiere am Filmfestival Locarno kam dann die Entwarnung. Der Film sei gar nicht so eklig, besser als das Buch und ganz unterhaltsam.

Slipeinlagen – sogar im Tangadesign

Es erstaunt nicht, dass ein Film, der sich explizit mit Körpersäften auseinandersetzt, im Jahr 2013 eine kleine Medienhysterie auslöst. Wir leben zwar in einer Welt, in der Sex und Nacktheit omnipräsent sind: Der «Blick» zeigt auf Seite 1 jeden Tag eine adrette (halb) nackte Frau (häufig noch mit einem Zitat des Models wie: «Ich bin stolz auf meinen Körper und zeige ihn auch gerne»), auf riesigen Werbeplakaten setzen sich hübsche Damen in knappen Bikinis in Pose, in Spielfilmen geht es immer wieder zur Sache, in Musikvideos wackeln sexy Sängerinnen mit ihren knackigen Pos, und in Talkshows wird gern über intime Probleme diskutiert. Ausserdem schwirrt im Netz alles Mögliche an Nacktem als Bild- und Filmmaterial herum.

Und doch: Was wir täglich sehen und womit die heutige Jugend sozialisiert wird, sind überästhetisierte sterile Bilder, die ein eindimensionales Bild von Nacktheit und Sexualität präsentieren.

Genau diese Bilder prägen jedoch das Verhältnis zum eigenen Körper und zur eigenen Sexualität. So präsentieren sich viele Jugendliche in sozialen Netzwerken selbst wie ein Model aus einem Werbeclip. Und auch in der Realität sehen viele Teenager aus, als seien sie mit Photoshop bearbeitet worden: stets frisch geduscht, perfekt frisiert und geschminkt, der Körper glatt rasiert. Ausserdem bietet der Markt viele hilfreiche Produkte, um uns von unseren Körperausscheidungen zu entfremden: Die Slipeinlage – es gibt sie sogar im Tangadesign – erspart dem Höschen die gefürchteten Flecken (das ist auch die grosse Angst von Helen Memels Mutter: dass sie einen Unfall hat und stirbt und dabei kein sauberes Höschen trägt). Der Intimspray nimmt den Genitalien den Eigengeruch. Die Hormonspirale befreit die Frauen vom monatlichen Menstruationsblut.

In den sechziger Jahren haben Feministinnen weisse Hosen mit rotem Fleck zwischen den Beinen getragen, um auf die bis dahin in der Öffentlichkeit tabuisierte Menstruation hinzuweisen. Die blutigen Menstruationsschwämme wuschen sie demonstrativ auf öffentlichen Toiletten gemeinsam aus. Davon sind wir wieder weit entfernt. Menstruationsblut sowie Eigengerüche, Schamhaare oder Ausfluss – das alles scheint heute eklig zu sein und wird nicht mehr als Teil unseres Körpers akzeptiert. Sie sind Störfaktoren und ganz sicher nicht erotisch.

Ästhetik eines Videoclips

Und dann kommt eine junge Frau wie Helen Memel (oder wie Charlotte Roche) und sagt, hey, das ist alles gar nicht eklig, sondern sexy! Und das ist eigentlich ganz erfrischend. Die Tessinerin Carla Juri macht dies im Film als Helen Memel sehr charmant und witzig. Wenn ihre Hämorrhoiden sie jucken, dann kratzt sie sich intensiv, auch wenn sie gerade mit dem Skateboard durch die Gegend flitzt. Als im Spital – wo sie wegen einer missratenen Intimrasur gelandet ist – der Pfleger mit einem Blick auf ihre verschmierte Unterhose meint, er könne ihre Wäsche waschen, verneint sie lächelnd und erklärt: «Die kann ich noch eine Woche tragen.» Und immer wieder testet sie im Lauf des Films mit dem Zeigefinger den Geruch ihrer Vagina.

David Wnendt hat sich mit der Verfilmung des «Skandalromans» von Charlotte Roche einiges zugetraut, und das Ergebnis ist geglückt. Der Film ist solides, unterhaltsames Kino. «Feuchtgebiete» kommt in der Ästhetik eines Videoclips daher, mit cooler Musik unterlegt, mit bewegten Kamerafahrten, satten Farben und hübschen ProtagonistInnen. Wnendt nimmt die aktuelle sterile Bildsprache auf und reproduziert diese. Das macht den Film zwar wiederum harmlos, doch dank dieser Art der Inszenierung spricht er ein jugendliches Publikum an – und fordert es inhaltlich heraus. Vielleicht ermöglicht der Film dem einen oder der anderen aber auch einen etwas erweiterten Blick auf die eigene Sexualität.

Die Vagina im Spiegel

1991 erschien Jon Avnets Spielfilm «Fried Green Tomatoes», der in den zwanziger Jahren in den USA spielt. Darin besucht die Protagonistin einen Kurs, der ihr Selbstbewusstsein stärken soll. Die Kursleiterin fordert die Teilnehmerinnen zu unkonventionellen Handlungen auf: «Wir erforschen die Quelle unserer Kraft und unserer Besonderheit: unsere Vagina. Also ziehen Sie jetzt Ihre Slips aus, und setzen Sie sich auf den Spiegel!»

Zwar können wir heute, wo immer wir wollen, Bilder von Vaginas finden, doch das Verhältnis zur eigenen Vagina und zu den Säften, die sie aussondert, ist verkrampfter denn je – daran wird auch «Feuchtgebiete» allein wenig ändern.

Feuchtgebiete. Regie: David Wnendt. Deutschland 2013. Ab 29. August 2013 in den Kinos

Filmpreise in Locarno

Es war wohl Carla Juris schwierigste Filmrolle, und sie meisterte sie mit Bravour. Doch für ihre Darstellung der Helen Memel in David Wnendts «Feuchtgebieten» ging die Tessinerin am Internationalen Filmfestival von Locarno leer aus. Den Preis für die beste Schauspielerin erhielt die US-Amerikanerin Brie Larson für ihre Darstellung in «Short Term 12». Der Preis für den besten Schauspieler ging an den Peruaner Fernando Bacilio für seine Hauptrolle in «El mudo». Den Goldenen Leoparden des 66. Internationalen Filmfestivals Locarno gewann der spanische Wettbewerbsbeitrag «Historia de la meva mort» von Albert Serra, der Spezialpreis der Jury ging an «E agora? Lembra-me» von Joaquim Pinto, und den Preis für die beste Regie erhielt Hong Sang-Soo für «U Ri Sunhi» («Our Sunhi»). Besondere Erwähnung fand mit «Tableau Noir» von Yves Yersin auch ein Schweizer Film.