Argentiniens Schuldenkrise: Die Geier wollen ihre Beute

Nr. 27 –

Argentiniens Regierung sieht sich im Würgegriff internationaler Hedgefonds. Von Erpressung sprach die argentinische Präsidentin, und sie warnte vor Zahlungsunfähigkeit. Was eine Staatspleite bedeutet, bekam die Bevölkerung vor zwölf Jahren zu spüren.

Ein Vogelmensch ziert gegenwärtig die Fassade der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Buenos Aires: Er hat den Leib eines Geiers und den Kopf eines Menschen. Der Kopf stammt von US-Richter Thomas Griesa. Mitte Juni lehnte der oberste Gerichtshof der USA einen Berufungsantrag der argentinischen Regierung im Verfahren um einen Teil noch ausstehender Auslandsschulden ab. Damit bestätigte das oberste Gericht das Urteil von US-Richter Thomas Griesa, das Argentinien zur Zahlung von 1,5 Milliarden US-Dollar an Hedgefonds verpflichtet (siehe WOZ Nr. 26/2014 ).

Private Schulden verstaatlicht

Seither ist Griesa Argentiniens Buhmann Nummer eins. «Der hat doch am wenigsten Schuld am Ganzen», sagt Roberto Maure und schüttelt den Kopf. Der Wirtschaftsstudent ist auf dem Weg zum Schuldenmuseum, das in der Fakultät untergebracht ist. «Der da hat richtig Dreck am Stecken.» Maure deutet mit dem Finger auf Domingo Cavallo, dessen Konterfei auf einer Infotafel im Museum prangt. «Cavallo hat während der Militärdiktatur als Zentralbankchef Milliarden von privaten Dollarschulden einfach verstaatlicht.» In den Jahren der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 machte die Staatsschuld einen gewaltigen Sprung von 8,3 Milliarden auf 45 Milliarden US-Dollar.

«Das ist noch nicht alles», sagt Maure und geht weiter zur Tafel «Megacanje» (Mega­umtausch): Zwanzig Jahre später hatte Cavallo als Wirtschaftsminister mithilfe von sieben Banken, darunter die CS, einen spektakulären Umtausch von Schuldentiteln organisiert: 46 alte Schuldentitel wurden in 5 neue zusammengefasst. Das bedeutete mehr Tilgungszahlungen für den Staat, dafür längere Laufzeiten. «Vor dem Megaumtausch hatten wir 159 Milliarden Dollar Staatsschulden, danach 214 Milliarden. Aber das Sahnehäubchen sind die 147,5 Millionen Dollar Kommission, die die beteiligten Banken kassiert haben.» Bis heute sei niemand dafür zur Rechenschaft gezogen worden, sagt Maure.

Nur wenige Monate später brach das Land unter der Schuldenlast zusammen, fror die Sparguthaben seiner BürgerInnen ein, jagte den Präsidenten aus dem Amt, hob die US-Dollar-Peso-Bindung auf, erlebte eine drastische Abwertung des Peso, erklärte sich Anfang 2002 für zahlungsunfähig und stellte seine Schuldentilgungen ein.

Acht Prozent machten nicht mit

Mit dem Angebot, den Schuldendienst wieder aufzunehmen, wenn die Gläubiger auf einen erheblichen Teil ihrer Forderungen verzichten, wurden 2005 und 2010 unter der Regierung von Präsident Néstor Kirchner zwei Umstrukturierungsprogramme aufgelegt, an denen sich 92 Prozent der Gläubiger beteiligten. Acht Prozent lehnten das Angebot ab. Ihnen hat Argentinien bis heute nichts gezahlt. Die Tilgungssumme beläuft sich inzwischen auf rund 15 Milliarden Dollar. Dazu gehören auch die besagten 1,5 Milliarden Dollar: Schuldentitel, die sich grösstenteils im Besitz von US-Hedgefonds befinden. Nach dem Staatsbankrott 2002 hatten diese die Titel auf dem Kapitalmarkt für einen Preis weit unter dem Nominalwert erstanden und klagten seitdem in den USA durch nunmehr alle Instanzen auf eine vollständige Bedienung seitens Argentiniens.

Argentinien schimpft sie «Geierfonds», «Leichenfledderer», die sich auf wehrlose Opfer stürzten, und Leute wie Griesa seien ihre willfährigen Helfer. Moralisch mag deren Handeln verwerflich sein, juristisch hingegen ist es korrekt. Die Schuldentitel unterliegen der US-Gerichtsbarkeit, sind ordentlich von Argentinien ausgestellt und legal von den Hedgefonds erworben worden.

Lange konnte Argentiniens Regierung die Gläubiger dieser nicht restrukturierten Schuldentitel, die sogenannten «holdouts», einfach ignorieren. Nach der Staatspleite und dem drastischen Schuldenschnitt erhielt der argentinische Staat auf dem internationalen Kapitalmarkt zwar keine neuen Kredite, doch eine positive Handelsbilanz machte das erträglich. Die notwendigen US-Dollar kamen aus den Exporterlösen von Rohstoffen wie Metallen, Erzen oder Soja und daraus hergestellten Produkten sowie von den Energieträgern Öl und Gas ins Land. Seit 2009 ist damit Schluss. Die Öl- und Gasförderung ging so weit zurück, dass Argentinien unter dem Strich jährlich immer mehr Öl und Gas einführen muss. Die Handelsbilanz schlug ins Negative um. Der US-Dollar wurde zu einem knappen Gut.

Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner will an ihrer Ausgabenpolitik jedoch nichts ändern und weigert sich, die staatlichen Subventionen für Öl und Gas von bis zu achtzig Prozent abzubauen. Ende 2015 läuft ihre zweite Amtszeit aus. Eine erneute Kandidatur verbietet die Verfassung. Dann enden zwölf Jahre Regierungszeit der Kirchner-Familie. Mit dem Tod ihres Ehemanns Néstor im Oktober 2010 fiel die Option der innerehelichen Amtsübergabe weg. Die Ära soll als «gewonnenes Jahrzehnt» in die Geschichtsbücher Eintrag finden: Drastische Sparprogramme, Subventionsabbau und soziale Einsparungen soll es unter den Kirchners nicht gegeben haben.

«Argentinien hat heute kein Schuldenproblem», sagt auch der renommierte argentinische Wirtschaftsanalyst Dante Sica und verweist auf die Schuldenquote. Diese misst die Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Lag der Wert auf dem Höhepunkt der Krise 2002 bei 166 Prozent, so betrug er 2013 45 Prozent, so Sica. Selbst die jetzige Tilgungssumme von fünfzehn Milliarden US-Dollar würde die Quote nicht wesentlich verändern. Zum Vergleich: Im Nachbarland Brasilien lag sie 2013 bei 66 Prozent und im Industrieland Japan gar bei 243 Prozent.

Doch um an die für ihre Politik notwendigen US-Dollar zu kommen, ist die Regierung jetzt dringend auf den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten angewiesen. Deshalb wurde in den vergangenen drei Jahren ernsthaft versucht, jene Hindernisse zu beseitigen, die Argentiniens Kreditwürdigkeit bei den Ratingagenturen noch im Wege stehen: die Regelung der beim Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) anhängigen Beschwerden, die Entschädigung der spanischen Ölfirma Repsol für die Enteignung der argentinischen Tochterfirma YPF und die Einigung auf eine Schuldentilgung beim Pariser Club. Der Pariser Club ist ein informelles Gremium, in dem Gläubiger mit einem Schuldnerland zusammenkommen, um über eine Umschuldung zu verhandeln.

Die Regierung spielt auf Zeit

Was jetzt noch aussteht, ist die Einigung mit den Holdouts, jenen acht Prozent der Gläubiger, die sich nicht auf die Schuldenschnitte von 2005 und 2010 eingelassen hatten. Dass sich die Regierung mit den Hedgefonds einigen will, kann als sicher gelten. Doch dafür muss sie Zeit gewinnen. Die umstrukturierten Kredite sind mit einer Klausel versehen, die Argentinien bis Ende 2014 untersagt, jenen Gläubigern, die nicht an den beiden Umschuldungsprogrammen teilgenommen hatten, bessere Tilgungsbedingungen einzuräumen. Sollte die Regierung in Buenos Aires es dennoch tun müssen, fürchtet sie eine Flut von Nachforderungen in bis zu dreistelliger Milliardenhöhe. Argentiniens Versuch, mit dem Berufungsantrag übers Jahr zu kommen, ist mit der höchstrichterlichen Ablehnung noch schwieriger geworden. Hatte Präsidentin Kirchner die Entscheidung der US-RichterInnen zunächst als Erpressung bezeichnet, der ihre Regierung nicht nachgeben werde, vollzog sie nur wenig später eine Kehrtwende, als sie erklärte, die Forderungen aller Gläubiger erfüllen zu wollen. Aber wie?

Die Zeittafel im Schuldenmuseum endet im Jahr 2007. Auch wenn die Ratingagenturen Argentinien als zahlungsunfähig einstufen sollten, werde sich ein Zusammenbruch wie 2001/02 nicht wiederholen, ist sich Roberto Maure sicher. An den neuen Infotafeln wird jedoch schon längst gearbeitet. Dass Griesa darauf als Vogelmensch erscheint, glaubt er nicht. Aber auf jeden Fall wird Domingo Cavallo darauf einen prominenten Platz einnehmen. Denn er steht seit Ende Juni wegen Unregelmässigkeiten und Vorteilsgewährung beim Megaumtausch vor Gericht.