Standpunkt von Peter Frei: «Das Gericht muss ständigem Druck von rechts standhalten»

Nr. 40 –

Das Bundesverwaltungsgericht feiert sein zehnjähriges Bestehen. Seit seiner Gründung ist es auch höchste Instanz im Asylrecht. Eine kritische Bilanz.

Peter Frei

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Im Rahmen der Justizreform des Bundes konstituiert, umfasst das BVGer sechs Abteilungen – eine davon ist die höchste Instanz im Asylrecht. Das Bundesverwaltungsgericht löste die Asylrekurskommision (ARK) ab, die ihrerseits 1992 aus dem sogenannten Asylkompromiss entstanden war: Ende der achtziger Jahre einigten sich die BefürworterInnen eines verschärften Asylgesetzes mit den GegnerInnen auf die Schaffung von wenigstens einer gerichtlichen Instanz im Asylverfahren. Vor diesem Hintergrund war die Bildung der Asylrekurskommission ein rechtsstaatlicher Lichtblick, der im allgemeinen Trend zum Ausbau einer Verwaltungsgerichtsbarkeit lag.

Die RichterInnen der ARK wurden vom Bundesrat gewählt. Zu AsylrichterInnen wurden JuristInnen, die mehrheitlich eine langjährige Erfahrung im Asylrecht hatten: frühere Beamte des Rechtsdienstes des Justizdepartements, JuristInnen von NGOs wie der Caritas, der Flüchtlingshilfe und von Amnesty International. Im Asylrecht konnte man (schon damals) kaum eine fulminante Karriere machen. Und die Parteien verfügten schlechthin über zu wenige fähige KandidatInnen, zumal das Asylrecht noch am Anfang seiner späteren «Karriere» als Motor von SVP und Konsorten stand. Viele der RichterInnen kamen aus der Verwaltung, sie kannten daher die Abläufe bestens. Die Nähe zur Verwaltung hatte aber den Nachteil, dass die RichterInnen den reibungslosen Verwaltungsablauf eher höher gewichteten als den Schutz der Asylsuchenden. Wer erwartet hatte, die ARK verstünde sich als Anwalt der Flüchtlinge, sah sich getäuscht. Vielleicht gerade wegen der «unpolitischen» Wahlform war die Asylrekurskommission steter Kritik von Vertretern einer harten Gangart im Asylwesen ausgesetzt. Die RichterInnen brauchten eine entsprechend dicke Haut.

Wechsel zum Proporzsystem

Die ARK hat gleichwohl eine unabhängige und ideenreiche juristische Praxis entwickelt. Jedoch wurde sie nie zum Hort einer besonders liberalen oder weitsichtigen Asylpraxis. In materiell-rechtlicher Hinsicht hielt sie sich (meistens) an die menschenrechtlichen und grundrechtlichen Standards und an die Leitlinien der Uno-Flüchtlingskonvention, fällte ab und zu markante Leitentscheide, hinkte aber oftmals anderen europäischen Asylgerichten hinterher. Systemimmanent war schon der ARK, dass sie als einzige und zugleich als höchste Instanz über gewichtige Rechtsgüter entscheiden musste. Die dafür erforderliche Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit bestimmte ihren Kurs. Korrekturen aus Strassburg gab es äusserst selten.

Die Wahlen ins Bundesverwaltungsgericht wurden von Anfang an durch das Parlament nach dem Parteienproporz abgewickelt. Bei der Konstitution war die Frage der Parteizugehörigkeit noch zweitrangig. Die SVP war damals noch nicht in der Lage, ihren Anspruch für die Asylabteilungen zu decken und die entsprechende Zahl von KandidatInnen zu stellen. Deshalb wurden bei der ersten Wahl in die Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts auch einige Parteilose gewählt. Erst im Verlauf der vergangenen Jahre konnte die SVP ihren Rückstand aufholen und auch dem Asylgericht ihren politischen Stempel aufdrücken, der im Kern die Abschaffung des Asylrechts zum Ziel hat.

Es liegt auf der Hand, dass das Bundesverwaltungsgericht ständigem politischem Druck von rechter Seite standhalten muss. Von rechts gefordert wird nicht nur die Aufweichung grundrechtlicher Ansprüche, sondern auch eine immer höhere Erledigungsquote. Heute, nach zwanzig Jahren politischer Bearbeitung des Migrationsthemas unter dem Takt der SVP, ist der Druck auf die Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts noch grösser als zu Zeiten der ARK, zumal dieser auch noch medial geschürt wird.

Spannungen im Gremium

Die AsylrichterInnen, die von der ARK kamen, werden heute intern zudem von jüngeren RichterInnen mit politischer Agenda herausgefordert, die der SVP angehören oder der Partei nahestehen. Diese reden nun bei der Entwicklung der Gerichtspraxis mit und bilden innerhalb des Gerichts eine Fraktion. Ob sie – an sich verbotene – Instruktionen von ihrer Partei erhalten, kann nicht bewiesen werden. Das ist aber angesichts der von ihnen vertretenen harten Linien eine überflüssige Frage. Von aussen sichtbar ist, dass sie ihre Machtstellung ausreizen. Zum Beispiel verlangen sie von den – in aller Regel mittellosen – Asylsuchenden Kostenvorschüsse, auch in Fällen, bei denen die Rechtsvertretung von einer Erfolgsaussicht ausgeht. Kann der Vorschuss nicht geleistet werden, wird das Verfahren abgeschrieben und beendet – als Pluspunkt in der Erledigungsstatistik.

Das Asylgericht muss heute auch (noch) grösseren Aufwand betreiben, um interne Spannungen im Rahmen von langwierigen Koordinationsverhandlungen des RichterInnenplenums aufzulösen. Aus diesem Grund dauern Entscheide über manche Leitfälle monate- bis jahrelang. Man denke nur an den Entscheid über die fast achtzehn Monate blockierten Ungarn-Dublin-Fälle, an den letztjährigen Slalomlauf zu den Dublin-Wegweisungen nach Italien oder an die Praxisänderungen zu Sri Lanka und Eritrea. Angesichts des Beschleunigungsgebots belastet die lange Verfahrensdauer die Betroffenen zusehends.

Weil die rechte Parlamentsmehrheit die Asylrechtsprechung nicht unmittelbar und direkt in die gewünschten Bahnen lenken kann, richten sich ihre Gesetzesentwürfe oftmals direkt gegen Leitentscheide der AsylrichterInnen. Das hat zu zahlreichen Verschärfungen geführt. Vor diesem Hintergrund haben manche Asylsuchende den Gang zum Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg oder zum Uno-Anti-Folter-Komitee in Genf an die Hand genommen. Einige hatten damit auch Erfolg.

Aus rechtsstaatlicher Sicht war die Einführung einer gerichtlichen Instanz im Asylverfahren auf jeden Fall ein Fortschritt. Der Rechtsschutz, den die Schweizer Asylgesetzgebung kennt, ist aber nach wie vor minimal und ungenügend, obwohl es im Asylrecht um den Schutz höchster Rechtsgüter wie Leib und Leben und persönliche Freiheit geht. Wer heute aber laut über die Einführung einer zweiten gerichtlichen Instanz nachdenkt (die in andern Ländern selbstverständlich ist) oder mehr Ressourcen für das Asylgericht fordert, macht sich angesichts der politischen Mehrheiten zum Narren. Daneben ist die Rechtskultur im schweizerischen Verwaltungsverfahrensrecht noch immer stark vom Gedanken geprägt, dass das reibungslose Verfahren und das schnelle Erledigen wichtiger seien als eine sorgfältige, vorbehaltlose Prüfung der zu entscheidenden Rechtsfrage und der grosszügige Schutz der Rechtsunterworfenen. Es ist Aufgabe jener, die sich dem Rechtsstaat verpflichtet fühlen, diesen Mängeln abzuhelfen.

Peter Frei ist Mitglied der Demokratischen JuristInnen Schweiz. Der Anwalt ist auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisiert und für das Advokaturbüro Kernstrasse tätig.