Durch den Monat mit Brühlmann und Locher (Teil 3): Wie steht es um die Konkurrenz unter euch?

Nr. 46 –

Eminem statt Hitchcock und Kevin Costner in Brienz: Lisa Brühlmann und Dominik Locher über die Filme ihrer Kindheit und die Bedeutung subventionierter Krippenplätze für das Schweizer Filmschaffen.

Dominik Locher: «Ich weiss nicht, was es für die Beziehung bedeuten würde, wenn der eine Film es nach Venedig schaffen und der andere nirgends laufen und nur verrissen werden würde.»

WOZ: Wie seid ihr beide zum Film gekommen? Gibts da jeweils ein filmisches Erweckungserlebnis, das euch auf den Weg gebracht hat?
Lisa Brühlmann: Für mich hat es diesen Beruf ganz lang gar nicht gegeben. In meinem Universum war es eher so, dass man etwas «Richtiges» macht. Wenn ich aber zurückschaue, hat mich das Geschichtenerzählen von Anfang an begleitet. Über das Kinder- und Jugendtheater Metzenthin hier in Zürich bin ich zum Schauspiel gekommen. Und durch das Spielen selber, auf dem Filmset oder auf der Bühne, habe ich dann gemerkt: Ich muss das ausprobieren, ich will selber meine eigenen Geschichten erzählen. Ich habe mich dann gleich an der Filmschule beworben.

Dominik Locher: Ich komme auch aus einem Arbeitermilieu und hätte mir gar nie zugetraut, Regisseur zu werden. Es war erst mal einfach toll, dass ich studieren konnte. Ich habe dann Germanistik studiert und wohnte damals im besetzten Haus am Rigiblick. Dort machten wir jeweils Tramtheater, später kamen dann erste Inszenierungen in der Binz dazu. Das Geschichtenerzählen hat mich ja eigentlich schon beschäftigt, seit ich Eminem oder die Toten Hosen hörte. Das sind auf ihre Art ja auch Geschichtenerzähler. Übers Schreiben habe ich dann das Theater entdeckt und übers Theater das Filmemachen. Aber ich habe nicht als Kind hundertmal Hitchcock geschaut. Ich habe eher hundertmal «Slim Shady» von Eminem gehört.

Brühlmann: Ich habe als Kind sehr viel ferngesehen, und ich habe diese Welten geliebt. Ich war ein Schlüsselkind, meine Mutter war alleinerziehend und hat viel gearbeitet.

Locher: Ich konnte mit meinem Papa die Western schauen, die er sich abends im Fernsehen anschaute. Der erste Film für Grosse, den ich mit meiner Mama im Kino sah, war «Waterworld» mit Kevin Costner. Das war halt das, was in Brienz im Kino lief, und meine Mama stand, glaube ich, damals auf den Costner.

Wie steht es denn um euren Filmgeschmack: Gibt es da grosse Differenzen, oder seid ihr euch meist weitgehend einig?
Locher: Es gibt schon Leute, die für uns beide gleich prägend sind: die britische Regisseurin Andrea Arnold zum Beispiel oder dieser Franzose … wie heisst der schon wieder?

Brühlmann: Jacques Audiard.

Locher: Genau. Die Gebrüder Dardenne oder Ken Loach sind dann wieder mehr für mich wichtig.

Brühlmann: Ja, die inspirieren mich weniger. Da ist mir Jane Campion oder Sofia Coppola näher.

Wenn ihr jetzt beide freischaffend Filme schreibt und dreht: Macht das die Organisation in der Familie einfacher, oder macht es sie komplizierter?
Brühlmann: Vom finanziellen Aspekt her ist es sicher schwieriger. Für Leute wie uns wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen gut. Aber in der Organisation des Alltags sind wir beide sehr flexibel.

Locher: Wir haben eine grosse Freiheit, uns selber zu organisieren, und können aufeinander Rücksicht nehmen. Und wenn man mal eine Woche lang ganz weg ist, kann der andere sieben Tage lang 24 Stunden zu den Kindern schauen. Aber das ist auch nur möglich, weil manchmal ihre Mutter, meine Schwestern oder mein Vater zu den Kindern schauen können. Und ohne subventionierte Krippenplätze hätte es vermutlich beide Filme nicht gegeben.

Und während der Dreharbeiten?
Brühlmann: Der Dreh selber ist sowieso ein Ausnahmezustand. Man geht kurz schlafen, aber abgesehen davon ist man permanent am Arbeiten.

Locher: Und du musst immer Stärke zeigen und Vertrauen geben auf dem Set. In dieser Zeit ist es sehr wichtig, dass man jemanden hat, bei dem man auch mal schwach sein und abladen kann.

Brühlmann: Klar, abladen tut man schon, ja.

Nicht nur jetzt, wo eure Filme «Goliath» und «Blue My Mind» praktisch gleichzeitig um Publikum buhlen: Wie steht es um die Konkurrenz unter euch?
Locher: In dem Moment, wo man anfängt, sich zu vergleichen, kann es schon kompliziert sein. Aber das sollte man sowieso nicht tun. Man kann Filme ja nicht vergleichen wie bei einem Hundertmeterlauf. Wir hatten auch Glück, dass beide Filme so tolle Starts bekommen haben, mit Premieren in Locarno und San Sebastián. Ich weiss nicht, was es für die Beziehung bedeuten würde, wenn der eine Film es nach Venedig schaffen und der andere nirgends laufen und nur verrissen werden würde. Das wäre sicher eine Herausforderung. Aber das ist auch nicht anders in einer Beziehung, wo beide sechzig Prozent arbeiten, und plötzlich arbeitet der eine viel mehr, und der andere verliert seinen Job.

Testen wir das mal mit dem partnerschaftlichen Konkurrenzdruck: Wenn es nur einer von euren Filmen zum Schweizer Filmpreis schaffen könnte, welchen würdet ihr nominieren?
Locher: Das wäre natürlich an und für sich schon fantastisch, wenn es einer von uns schaffen würde! Aber wenn wir selber entscheiden müssten? Dann würden wir würfeln.

Fragt man Lisa Brühlmann (36) und Dominik Locher (35) nach Filmen, die besonders prägend waren für sie, antworten beide mit Kindern: Für sie ist es «Kids» von Larry Clark, für ihn «L’Enfant» der Gebrüder Dardenne.