Ein Traum der Welt: Baustellen

Nr. 43 –

Annette Hug möchte mehr Brdjanovic und weniger «Büezer»

Auf dem Flug nach Schanghai habe ich in einen chinesischen Spielfilm hineingezappt. Da wird die Erde in eine Rakete verwandelt, um der kollabierenden Sonne zu entkommen. Ein junger Mechaniker stiehlt sich aus der Tiefe an die unbewohnbare Erdoberfläche. Ausgerechnet in dem Moment, in dem er einen riesigen Bagger in Gang bringt, droht die Erde mit Jupiter zu kollidieren.

Der junge Mann fährt dann auch durch Schanghai. Den berühmten Fernsehturm kann man klar erkennen, aber sonst sind die Wolkenkratzer nicht von spitzen, bröckelnden Bergen zu unterscheiden, ihre Fassaden gehen in die aufgerissenen Gräben der ehemaligen U-Bahn über.

Szenen, in denen Bauarbeiter die Welt retten, sind im Kino nicht selten. Unvergessen bleibt eine Crew von Tiefseebohrern, die Bruce Willis zusammenstellt, um auf einem Asteroiden, der die Erde bedroht, eine Bombe zu platzieren. Als ich noch Gewerkschaftssekretärin war, schwebte mir einmal vor, diesen Film für Schulungszwecke einzusetzen. Die Raumfahrtbehörde Nasa unterzieht die Arbeiter nämlich einem psychologischen Aufnahmetest. Und keiner besteht. Der Erste schlägt dem Befrager die Lampe vom Tisch, ein anderer bricht bei der Frage nach seiner Mutter in Tränen aus. Sie sind nicht sozialkompetent. Aber halt doch die besten Tiefseebohrer, also muss die Nasa mit ihnen arbeiten. Diese Szene hätte man zur Auflockerung zeigen können in einem Kurs über das jährliche MitarbeiterInnengespräch, wo Leute teilnehmen, die nervös und wütend über diese viel zu intime Prozedur sind.

Dass «Armageddon» mit Bruce Willis im Rückblick als Hurrastück auf die künftigen Trump-WählerInnen wirkt, wäre ein anderes Thema. Entsetzt bin ich im Moment über einen Film, der wahrscheinlich sozialkritisch gemeint ist und in Schweizer Kinos läuft. «Der Büezer» heisst er, die NZZ sieht in der Geschichte des jungen Sanitärinstallateurs Sigi eine «Reverenz an Kurt Früh» und eine «Hommage an den kleinen Mann und an das einstige Arbeiterquartier Kreis 4».

Der Film ist vor allem eins: vorgestrig. Ein junger Mann ohne Familie verliebt sich in eine Frau, die ihn für eine Freikirche anwerben will, und befreundet sich mit einem Zuhälter. Auf den Baustellen reden andere Männer auf ihn ein, immer über Sex, in einem stereotyp exjugoslawisch intonierten Schweizerdeutsch. Das ist die einzige Rolle, die diese Kollegen zu spielen haben. Zwischen Baustelle und Rotlichtmilieu entpuppt sich der Arbeiter als Tier: Als Sigis Liebe nicht erwidert wird, greift er zur Waffe.

Noch selten habe ich einen Kinosaal derart enttäuscht verlassen. Und gerne wäre ich eine Woche länger in der Schweiz geblieben, um mir das Gegenprogramm anzusehen, das im Konzert-Theater Bern gezeigt wird: «Jemandland» heisst das erste Stück von Ivona Brdjanovic. Eine Dreiecksbeziehung mit zwei Handwerkern, von denen einer schwarzarbeitet, der andere ist sein Vorgesetzter. «Eine Figur redet auch Serbisch. Was toll ist, weil es die Produktion zwingt, einen Schauspieler mit Migrationshintergrund zu engagieren», sagt Brdjanovic im Interview mit dem «Bund». Wer Texte dieser Autorin kennt, kann sich vorstellen, dass es auf der Bühne in Bern Baustellen zu entdecken gibt, auf die noch kein wohlwollend-verächtlicher Blick von oben gefallen ist.

Annette Hug ist Autorin in Zürich, zurzeit in Schanghai. «Jemandland» ist im Konzert-Theater Bern am 30. Oktober 2019 sowie am 13. und 27. November 2019 zu sehen.