Yves Saint Laurent: Das Gemälde als Cocktailkleid

Nr. 10 –

Konfrontatives Experiment in der Welthauptstadt der Mode: Mehrere Pariser Museen spiegeln Kreationen des Couturiers Yves Saint Laurent an Kunstwerken aus ihren Beständen.

Gut angezogen mit Picasso: «Portrait de Nusch Éluard» und Yves Saint Laurents «Hommage à Pablo Picasso». Fotos: Adrien Didierjean © RMN-Grand Palais; Nicolas Mathéus © Yves Saint Laurent

Das hat man in Paris noch nie erlebt: Fünf der grössten öffentlichen Kunsttempel spannen mit einem Privatmuseum zusammen, um eine auf sechs Standorte verteilte Ausstellungsreihe auszurichten. «Yves Saint Laurent aux musées» ist diese eher programmatisch als originell betitelt. Ihr Grundansatz: die Gegenüberstellung von Kreationen des 2008 verstorbenen Couturiers und ausgewählten Kunstwerken innerhalb des regulären Museumsparcours. Die durch die «Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent» getragene Veranstaltung feiert den 60. Jahrestag jenes Montags im Jahr 1962, als der blutjunge Modeschöpfer seine erste Kollektion unter eigenem Namen präsentierte.

Aperçus von deren Vorbereitung geben im Musée Yves Saint Laurent Paris eine Handvoll Schwarzweissfotos. Sie zeigen den 25-Jährigen mit seinem charakteristischen Outfit aus weissem Kittel und Schildpattbrille unter Mitarbeiter:innen. Es folgen 300 Zeichnungen aus vier Jahrzehnten, die der Couturier 2002 für seine Lebensretrospektive im Pariser Centre Pompidou ausgewählt hatte. In den folgenden Sälen bestaunt man dann Serien von Schnittmustern, hölzernen Schuhformen, Halstuchmodellen auf Löschpapier und lebensgrossen Büsten von Kundinnen. Das Ganze evoziert eine Mischung aus riesigem Reliquienschrein und Insektensammlung. Sieht man diese – eine Spur zu anekdotische – Schau nicht als ein geschlossenes Ganzes an, sondern lediglich als das Präludium einer sechssätzigen Suite, erfüllt sie den Zweck eines solchen Vorspiels: den Grundton setzen und Lust auf mehr machen.

Meditative Umgebung

Der zweite Satz dieser Suite hat ein majestätisches Interieur zum Schauplatz, die Galerie d’Apollon des Louvre. Wir möchten ihn eine «Courante» nennen, weil man den Prunksaal im Laufschritt durchmessen kann – er zeigt lediglich vier Damenwesten. Diese freilich haben es in sich: Ihr Gold- und Brillantfunkeln löscht schier den Glanz der gleich daneben präsentierten Kronjuwelen, derweil die vegetabilischen Arabesken ihrer Stickereidekors die Pflanzenmotive der umgebenden Holztäfelungen welk aussehen lassen.

Der dritte Satz unserer postmodern eklektischen Suite evoziert eine «Quadrille». Abermals ist der Schauplatz von hohem Reiz: Im Salon de l’horloge des Musée d’Orsay zeichnen sich vor dem Hintergrund eines auf die Seine hinausblickenden raumhohen Uhrwerks die Silhouetten von fünf Damensmokings und zwei Ballroben ab. Letztere wurden für den «Bal Proust» geschaffen, der 1971 in einem Schloss bei Paris ausgerichtet worden war. In einem zweiten Saal treten Saint Laurents Kostümentwürfe für dieses Fest und Cecil Beatons historisierende Schnappschüsse von Gästen wie den Schauspielerinnen Marisa Berenson und Jane Birkin in beziehungsreichen Dialog mit Nadars Fotos von Schönheiten aus den mondänen Jahren des 1922 verstorbenen Romanciers Marcel Proust.

Auf ein Intermezzo im Picasso-Museum – drei Westen und ein Abendkleid neben Werken des Andalusiers, die augenscheinlich Pate gestanden haben – folgt im Musée d’art moderne de Paris der langsame Satz unserer Suite: Drei Riesensäle mit jeweils nur einem grossformatigen Wandbild laden zur vertieften Betrachtung ein. Die 600 Quadratmeter von Raoul Dufys farbig geschwungenem Monumentaldekor «La Fée Électricité» bilden eine traumhafte Kulisse für drei Modelle aus Saint Laurents Spätzeit: Ein schier spirituelles Erlebnis, wie die Vermählung von Goldbronze und Smaragd, Limette und Fuchsie, Narzisse und Absinth dieser Satinensembles in dieser meditativen Umgebung sanft zu leuchten beginnt.

Orange Sonnen

Im Centre Pompidou laden zum grossen Finale der Yves-Saint-Laurent-Suite nicht weniger als dreizehn Gegenüberstellungen zum Vergleich ein. Einige von ihnen basieren auf rein formalen Ähnlichkeiten, so jene eines Raphiamantels aus der «afrikanischen» Kollektion von 1967 mit André Bretons von sogenannter Stammeskunst überquellendem Atelier oder jene der «Robe Hommage au pop art» von 1966 mit vier kleinen Ölbildern der libanesischen Malerin Etel Adnan, die genau dieselbe orangefarbene Sonne zeigen. Manchmal lässt sich eine Verwandtschaft auf der Ebene der Intention erkennen. Doch in vielen Fällen ging der Modeschöpfer noch weiter, bis hin zur offenen Imitation von Gemälden von Georges Braque, Fernand Léger, Pablo Picasso und natürlich Piet Mondrian mit den legendär gewordenen Cocktailkleidern von 1965.

«Yves Saint Laurent aux musées» ist eine beispiellose Veranstaltung. Besucher:innengerecht mag man ihr versprengtes Format indes nicht nennen. Wer sich in Paris und in den betreffenden Museen auskennt, kann die sechs Standorte in vier Stunden abhaken: Zu Fuss sind das gut zehn Kilometer. Mangels eines gemeinsamen Tickets muss man fünfmal Eintritt zahlen (jener des Musée d’art moderne de Paris ist frei). Hätte man eine klassische Ausstellung an einem Ort ausgerichtet, wären wohl nicht nur gezielt am Thema «Saint Laurent und die Kunst» interessierte Besucher:innen in grösserer Zahl gekommen. Das erprobte Format hätte auch engere Verknüpfungen und eine stringentere Gesamtkonzeption ermöglicht. Aber vielleicht liefert ja der – für April in Aussicht gestellte – Katalog noch eine fulminante Synthese nach.

Der Parcours «Yves Saint Laurent aux musées» endet gestaffelt zwischen dem 15. April und dem 18. September 2022: www.museeyslparis.com.