Wahlen in Frankreich: Nach dem Scheitern bündelt die Linke ihre Kräfte

Nr. 16 –

Warum ist es den Linken nicht gelungen, den Einzug der Rechtsextremen Marine Le Pen in den zweiten Wahlgang zu verhindern? Und schaffen sie es zumindest jetzt, ihr politisches Profil zu schärfen?

Wieder hat die Linke die Stichwahl um das Präsidentenamt verpasst. Wie schon 2017 müssen sich die Französinnen und Franzosen zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen entscheiden. Eine Wahl zwischen dem umstrittenen amtierenden Präsidenten und der Leitfigur der extremen Rechten. Warum aber ist die Linke erneut gescheitert? Und kann in diesem Scheitern noch eine Chance liegen?

Seit der fünfjährigen Amtszeit von François Hollande liegt die Linke am Boden. Die einst grosse Sozialistische Partei (PS), die für Frankreich mal so bedeutend war, ist geradezu implodiert. Benoît Hamon, der 2017 Hollande beerben wollte, erreichte historisch schlechte 6,3 Prozent. Dieses Mal unterbot die Kandidatin Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, diesen traurigen Rekord sogar noch – mit 1,7 Prozent der Stimmen. Der PS ist klinisch tot. Doch auch die Grünen kamen gerade mal auf 5 Prozent und die Kommunistische Partei auf knapp 2 Prozent.

Während die Linken einst durch Allianzen die Mehrheit stellen und damit Ministerposten besetzen konnten, zahlen sie nun den Preis für eine «linke» Politik, die sich eigentlich schämen müsste, als solche bezeichnet zu werden. Unter Hollande wurde eine Politik auf den Weg gebracht, die sich stark auf das «deutsche Modell» bezog und bis auf einige gesellschaftspolitisch progressive Projekte – wie die «Ehe für alle» – alles andere als linke Akzente setzte. Im Gegenteil: Hollande holte mit Emmanuel Macron einen jungen, ambitionierten Wirtschaftsminister in seine Regierung, der bereits damals anschob, was er fünf Jahre später als Präsident fortsetzen sollte: eine neoliberale, rechte Politik, die vor allem den Wohlhabenden zugutekommt.

Die Dynamik von der Strasse

Die Reform des Arbeitsgesetzes unter Hollande 2016 trug bereits Macrons Handschrift: Die Rechte der Arbeiter:innen wurden abgebaut, der «Pakt zur Wettbewerbsfähigkeit» mit grossen Steuererleichterungen für Unternehmen eingeführt – was mit vierzig Milliarden Euro Verlust für den Staat zu Buche schlug.

Als Macron 2017 antrat und ankündigte, er wolle die Spaltung in links und rechts überwinden, hatte er in dieser Hinsicht eigentlich gar nichts mehr zu tun. Die Linke war sowieso schon nach rechts gerückt. Eine Spaltung gab es womöglich noch in Fernsehdebatten und Leitartikeln, nicht aber in den politischen Lösungen – insbesondere nicht in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wenn die Politik aber rechts und links gleich aussieht, dann kann man die Menschen, die gar nicht mehr zur Wahl gehen oder sich vermeintlich einfachen, radikalen Lösungen zuwenden, durchaus verstehen.

Längst sind neue soziale Kämpfe ausgebrochen, bei denen die Bipolarität zwischen links und rechts keine entscheidende Rolle mehr spielt, wie etwa bei den Gelbwesten. Die Linke hätte in diesem gesellschaftlichen Aufbegehren eine neue Chance wittern können. Doch der traditionelle linke, klassenkämpferische Diskurs konnte sich nicht in der Bewegung verankern. An den Wahlurnen münzte sich die Dynamik der Strasse nicht in Stimmen für die Linke um. Nur einem Kandidaten ist es gelungen, zumindest ein Programm vorzuschlagen, das diese Idee aufgreift: Jean-Luc Mélenchon (La France insoumise) hat wie schon 2017 eine «Volksunion» vorgeschlagen und holte in den letzten Wochen des Wahlkampfs über 10 Prozentpunkte auf und landete mit 22 Prozent der Stimmen überraschend auf dem dritten Platz, nur 420 000 Stimmen trennten ihn am Ende von Marine Le Pen. Mélenchon schlägt eine Sechste Republik vor, eine Neuordnung der Institutionen mit mehr direktdemokratischer Repräsentation. Darüber hinaus plädiert er für den Ausstieg aus der Atomkraft, die Rente mit sechzig und neue Steuern auf sehr hohe Einkommen. Er will mehr Investitionen ins Gesundheitswesen und in die Infrastruktur des Landes.

Rechtsextrem verkauft sich gut

Trotzdem ist Mélenchon bei vielen Linken als unsympathisch, unverschämt oder arrogant verschrien. Seine Bemerkung «Die Republik bin ich» ist zu einem Bonmot avanciert. Aus rechter und zentralistischer Sicht verkörpert Mélenchon eine Form des Radikalismus, dabei ist sein Programm etwa im Vergleich zu jenem der Kommunist:innen eher sozialdemokratisch. Aber: ein sozialdemokratisches Programm, das dort radikal ist, wo es die grossen europäischen Verträge neu verhandeln will. Denn ohne eine Neuausrichtung der Europäischen Union, so Mélenchon, werde es geradezu unmöglich, eine echte Sozialpolitik umzusetzen.

Wie aber soll man für solche Reformen werben, wenn in den klassischen Medien – wie in den letzten Wochen – mehrheitlich die rechten Marktschreier den Ton angeben? Die Journalist:innen der unabhängigen Beobachtungsstelle Acrimed haben in den vergangenen Monaten die Redezeit der Kandidat:innen gemessen und kamen zu dem Ergebnis, dass linke Kandidat:innen unterrepräsentiert gewesen seien. Vielmehr haben die Medien das Phänomen Éric Zemmour befeuert, dem man schon 17 Prozent der Stimmen voraussagte, als er noch nicht einmal seine offizielle Kandidatur verkündet hatte. Rechtsextrem verkauft sich eben gut. Und der Milliardär und Medienmogul Vincent Bolloré, der an der Spitze der mächtigsten Mediengruppe des Landes steht, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Zemmour für den besten möglichen Präsidenten hält. Er platzierte den Kolumnisten stets zur prominentesten Sendezeit.

Parti socialiste bleibt im Abseits

Mittlerweile haben alle linken Kandidat:innen dazu aufgerufen, für Macron zu stimmen. Einzig bei Mélenchon klang es – wie so oft – etwas anders: «Keine Stimme den Rechtsextremen!», appellierte er; was auch bedeuten kann, nicht zur Wahl zu gehen oder eine ungültige Stimme abzugeben. Aber gerade jene Wähler:innen, die zunächst für Mélenchon gestimmt haben, könnten im zweiten Wahlgang entscheidend sein.

Nach dem Scheitern bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen versucht Mélenchon nun einen solideren linken Block aufzubauen – ein neues, reales Kraftzentrum. Denn schon im Juni stehen die Parlamentswahlen an – und ohne neue Bündnisse mit den Grünen und den Kommunist:innen wird es für die Linke wieder nichts werden. Nun soll sie nur einen einzigen Kandidaten, eine einzige Kandidatin pro Wahlkreis aufstellen, um eine Streuung der Stimmen zu vermeiden. Einzig die Sozialist:innen lässt Mélenchon aussen vor, denn Anne Hidalgo hatte immer wieder gegen ihn gefeuert. Damit bleibt die historisch bedeutendste linke Partei weiter im Abseits stehen. Die meisten ihrer Mitglieder sind ohnehin schon zu Macron oder Mélenchon übergelaufen.

Bis zum Juni bleibt abzuwarten, ob Mélenchon noch einmal wie in den letzten Wochen eine linke Dynamik ins Rollen bringen kann. Wer weiss? Manchmal regt sich in Frankreich ja auch Widerstand und Aufruhr in den Universitäten oder auf der Strasse. Vielleicht wird dann aus einem kleinen Brodeln ein wahrhaftiger linker Vulkanausbruch.