Energiepolitik: Schweizer Gaspipelines als Goldesel

Nr. 34 –

Der Bundesrat will für den Notfall Gaskraftwerke bauen. Die Investmentgesellschaft Energy Infrastructure Partners hofft auf Geschäfte mit Geldern der zweiten Säule.

Stollen mit Gaspipeline bei Innertkirchen im Berner Oberland
Alpentransit: Stollen mit Gaspipeline bei Innertkirchen im Berner Oberland. Foto: Peter Schneider, Keystone

Soll die Schweiz neue Gaskraftwerke bauen? Eigentlich erstaunlich, dass man sich überhaupt mit dieser Frage beschäftigt. Wird doch der Welt gerade vor Augen geführt, wie abhängig Europa von Gas aus Russland ist, das der Kreml für seine Machtspiele missbraucht. Ausserdem ist das Verbrennen von Gas schwer klimaschädlich.

Dennoch: Weil der Bundesrat von einem möglichen Blackout im kommenden Winter ausgeht, hat er vergangene Woche angekündigt, dass rechtzeitig ein oder mehrere Gaskraftwerke mit einer Leistung von 300 Megawatt in Betrieb genommen werden sollen, um «im Falle einer schweren Mangellage» Strom zu produzieren. Falls es an Gas fehlt, soll auch Heizöl verbrannt werden.

Darüber hinaus will der Bundesrat in den kommenden Jahren zwei bis drei grössere Gaskraftwerke mit einer Leistung von zusammen rund 1000 Megawatt bauen lassen, die «bei Bedarf Reserveenergie produzieren», weil die EU ab 2025 voraussichtlich weniger Energie in die Schweiz exportieren wird.

«Völliger Nonsens»

Die Pläne lösen beim privaten Unternehmen Energy Infrastructure Partners (EIP) Freude aus: Der Geschäftsführer, Roland Dörig, weibelt schon länger für Gaskraftwerke sowie einen Gasspeicher. Es brauche «eine steuerbare Winterproduktion», was «kurzfristig nur über Gaskraftwerke möglich ist», sagte er kürzlich in der «SonntagsZeitung».

Für Patrick Hofstetter, Energie- und Klimaexperte beim WWF, ist dagegen «das Gerede um den Bau von Gaskraftwerken völliger Nonsens». Diese wären nicht kurzfristig verfügbar, und für die Zeit nach 2025 gebe es bessere Alternativen. Zentral sei es, zwischen Leistung und Energie zu unterscheiden. In der Schweiz sei dank der Wasserkraftwerke immer genügend Stromleistung vorhanden. Wenn im Winter zu Spitzenzeiten sehr viel Strom gebraucht werde, so lieferten die Speicherseen quasi auf Knopfdruck die nötige Energie. «Wir brauchen also kurzfristig kein zuschaltbares Spitzenlastkraftwerk.» Dagegen müsse sichergestellt werden, dass in den kommenden Monaten genügend Wasser in den Speicherseen zurückbehalten werde, statt zu Spitzenzeiten unnötig viel Strom zu produzieren, den man dann teuer verkaufe. «Die mit Abstand grösste Entlastung am Strommarkt lässt sich erzielen, wenn wir ab sofort weniger Energie verschwenden.»

Und auch die zwei bis drei Gaskraftwerke, die mittelfristig zusätzlich Energie produzieren sollen, seien «schlicht Geldverschwendung», sagt Hofstetter. Es sei viel günstiger und klüger, in Solarstrom- und Windanlagen zu investieren. «Diese liefern zuverlässig in jedem Winter zusätzlichen Strom.»

Bereits fünf Milliarden investiert

Anders als der WWF hat Energy Infrastructure Partners grosses Interesse an Gaskraftwerken. Die Gesellschaft ist schon heute an gewichtigen Gasinfrastrukturanlagen in der Schweiz beteiligt. Das Unternehmen, das ursprünglich von der Credit Suisse gegründet wurde und seit 2020 selbstständig ist, hat das Ziel, Gelder der Pensionskassen in die Schweizer Energiewirtschaft zu investieren. EIP ist gut vernetzt: So gehört etwa Caterina Mattle, die zuvor Generalsekretärin der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren war, zum Team. Als Berater fungieren mit Walter Steinmann der ehemalige Direktor des Bundesamts für Energie sowie mit Kurt Lüscher der frühere Direktor des Stadtzürcher Gasunternehmens Energie 360°.

EIP hat bereits rund fünf Milliarden Franken an Pensionskassengeldern im In- und Ausland investiert. Damit wurde unter anderem ein Drittel des Energiekonzerns Alpiq gekauft, der im Strom- und Gashandel aktiv ist, in der Schweiz Anteile an Wasserkraftwerken und AKWs hält sowie Gaskraftwerke in Ungarn, Italien und Spanien mit besitzt. Ausserdem hat sich EIP auch mit Hunderten Millionen Franken in die Infrastruktur der Schweizer Gasversorgung eingekauft. So ist die Gesellschaft am Unternehmen Fluxswiss beteiligt. Dieses betreibt die Pipeline Transitgas, die von der deutschen Grenze nach Italien führt.

Doch EIP ist auch an Verteilnetzen in den Regionen beteiligt: So hält das Unternehmen einen Anteil an Holdigaz, das im Wallis, in der Waadt und in Freiburg ein 1700 Kilometer langes Gasnetz betreibt. Ein gewichtiges Engagement ist zudem eine 33-Prozent-Beteiligung am Unternehmen Energie Zürichsee Linth, das über 350 Kilometer Gasleitungen verfügt.

Léonore Hälg von der Schweizerischen Energie-Stiftung bezeichnet Gasleitungen als «Goldesel». «Eine solche Leitung ist ein Monopol und garantiert stabile Einnahmen.» Deshalb würden sich die Besitzer:innen, meist Gemeinden, aber eben auch Private, schwertun, aus Klimaschutzgründen aus dem Geschäft auszusteigen.

Energie Zürichsee Linth zeigt beispielhaft, wie Erdgasanwendungen schöngeredet werden: Auf der Website werden nach wie vor Anschlüsse von neuen Gasheizungen propagiert, während andere staatliche Anbieter längst davon abraten. Auch wird behauptet, dass das Erdgas schon bald durch Biogas ersetzt werden könne.

Jürg Rohrer, Professor für erneuerbare Energien an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, hält das für Augenwischerei. «Die Gasindustrie suggeriert, dass Gas eine ökologische Sache und es nur eine Frage der Zeit sei, bis Erdgas durch Biogas abgelöst wird. Doch nur schon das theoretische Potenzial ist viel zu klein, vom realistischen Potenzial gar nicht zu reden.»

Zwar könne die Produktion von Biogas noch ausgebaut werden, doch genüge dies längst nicht, um Erdgas zu ersetzen. Ausserdem werde derzeit das meiste Biogas direkt verstromt, so Rohrer. Gasleitungen hin zu Biogasanlagen fehlten oftmals. Erdgas künstlich und klimaneutral herzustellen, sei in der Schweiz zudem auch nur sehr begrenzt möglich, weil es an den nötigen Energiemengen fehle.

Rückbau wird verzögert

In einigen Gemeinden und Städten bestehen inzwischen Pläne zum Rückbau des Gasnetzes. Für Rohrer gehen diese Rückbaupläne aber in den meisten Fällen viel zu wenig weit. «Bei der Gebäudewärme müssen wir völlig wegkommen von Erd- und Biogas», sagt er. Wer dagegen heute noch in Erdgasleitungen investiere, begebe sich in eine Art Gefangenschaft: «Solche Investitionen führen zu einem grossen Druck, weiter Gas zu verfeuern.»

EIP will von Rückbau allerdings nichts wissen: Die Gasinfrastruktur sei «während Jahrzehnten» von der Schweizer Bevölkerung finanziert worden, schreibt das Unternehmen auf Anfrage. Statt Erdgas könne in Zukunft «emissionsfreier grüner Wasserstoff» durch die Leitungen fliessen. Und den möglichen Bau neuer Gaskraftwerke sowie eines Gasspeichers sieht man bei EIP als «Ergänzung zur Wasserkraft». Man wolle durch die Finanzierung dieser Anlagen den «Schweizer Arbeitnehmenden und Pensionierten die Gelegenheit geben, in die eigene Versorgungssicherheit zu investieren».