Durch den Monat mit Hannes Rudolph (Teil 1): Sprechen Sie auch mit «Gender­kritiker:innen»?

Nr. 35 –

Diesen Monat feiert die HAZ – Queer Zürich, hervorgegangen aus den 1972 gegründeten Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich, ihren 50. Geburtstag. Ihr heutiger Geschäftsführer, der Psychologe und Theaterregisseur Hannes Rudolph, war 1972 noch gar nicht auf der Welt.

Hannes Rudolph
«Unsere Gesellschaft tut immer noch so, als müsste, wer mit einer Vulva zur Welt kommt, den ganzen Tag mit Barbies spielen»: Hannes Rudolph.

WOZ: Herr Rudolph, Sie haben uns per Mail einen Vorschlag für dieses Gespräch gemacht …

Hannes Rudolph: Ja, ich habe «Durch den Monat mit …» oft und gern gelesen und ein wenig damit geliebäugelt, in diesem Zusammenhang zu erscheinen.

Dass sich jemand selbst dafür vorschlägt, ist für uns eine Premiere.

Unter normalen Umständen hätte ich das nie gemacht. Eigentlicher Anlass ist, dass diesen Monat die HAZ – Queer Zürich ihren 50. Geburtstag feiert. Und Medienarbeit für die queere Community ist nicht einfach, weil wir sehr begrenzte Ressourcen haben.

1972, da waren sie …

… minus fünf. Ich kam 1977 in Leipzig auf die Welt.

45 Jahre später sind Sie Geschäftsführer der HAZ – Queer in Zürich. Wie kam es dazu?

In den frühen nuller Jahren war ich Regieassistent am Schauspielhaus Bochum. Als der dortige Intendant Matthias Hartmann 2005 zum Direktor des Zürcher Schauspielhauses gewählt wurde, fragte er mich, ob ich mitkäme. Nach Assistenzen und zwei eige­nen Inszenierungen am Schauspielhaus arbeitete ich einige Jahre als freischaffender Regisseur. Etwa 2007 ist mir auch endgültig klar geworden, dass ich keine Jungregisseurin, sondern ein Jungregisseur bin. So begann ich mich für die trans Community zu engagieren. 2012 konnte ich dann die Leitung der Fachstelle des Transgender Network übernehmen.

Was hat sich seither in der Community getan?

Für die ganze Queer-Community engagiere ich mich erst seit 2014, als ich die Geschäftsführung der HAZ übernahm. Insgesamt lässt sich aber sagen: Einerseits geht es wahnsinnig langsam voran. Nur so als Beispiel: Vom Partnerschaftsgesetz 2003 bis zur «Ehe für alle», die jetzt endlich in Kraft getreten ist, dauerte es fast zwanzig Jahre.

Und andererseits?

Die Tatsache etwa, dass heute im Pride-Monat die Logos globaler Firmen in Regen­bogenfarben leuchten, zeigt, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für queere Themen gewachsen ist. Überraschend wenig hat das aber mit queeren Menschen selbst und ­ihrem Gefühl von Sicherheit und Akzeptanz gemacht. Aus der Beratung weiss ich, dass es immer noch sehr viele Jugendliche und auch Erwachsene gibt, die Riesenprobleme mit dem Coming-out haben – und die Selbsterkenntnis, queer zu sein, ganz schrecklich finden. Der Kontrollblick, bevor man sich küsst, ist immer noch verbreitet. Ebenso wie die Angst, dass jemand kommt und sagt: «Das ist nicht natürlich, ihr seid alle krank.» Und dann ist da dieser Backlash – im Moment ganz heftig gegenüber trans Menschen.

Sprechen Sie da auch mit der Gegenseite?

Die kommen natürlich nicht unbedingt zu uns. Es kommen vor allem Partner:innen von trans Menschen – oder Eltern, die sich damit auseinandersetzen müssen, ob eine Transition erwogen werden soll, wenn sich ein Kind als trans outet. Auch aus solchen Gesprächen hört man oft heraus: Das Geschlechterbild, das immer noch vorherrscht, sieht trans Menschen nicht vor. Wir gehen als Gesellschaft immer noch davon aus, dass wir bei der Geburt auf das Genital schauen und dann wissen, was das für eine Person ist und wie sie sich entwickeln wird. Auch trans Personen sind von diesem Denken beeinflusst. Dabei wird das ja auch cis Menschen nicht gerecht. Trotzdem tut unsere Gesellschaft so, als müsste, wer mit einer Vulva zur Welt kommt, den ganzen Tag mit Barbies spielen, Mutter werden und keine Karriere machen. Da braucht es noch sehr viel Arbeit.

Nun also das Jubiläum. Was ist da geplant?

Natürlich haben wir uns gefragt: Was brauchen queere Menschen jetzt gerade? So gibt es eine Diskussion dazu, wie man rechtspopulistischer Politik begegnet. Ein Hauptakzent liegt auf Themen, die in der Community noch nicht so viel Beachtung finden. So gibt es Workshops zu Intergeschlechtlichkeit, Asexualität oder Aromantik – in der Hoffnung, dabei auch besorgte Fragen beantworten zu können. In der Regel sind die «genderkritischen» Angriffe auf unsere Community ja denkbar uninformiert. Aber natürlich wollen wir auch feiern: Speziell freue ich mich auf die Queer-Poetry-Slam-Show im Zollhaus-Theater. Und noch etwas liegt uns am Herzen.

Was?

Dass wir als Community insbesondere auch für Leute etwas tun, die nicht nur queer sind, sondern es auch noch aus anderen Gründen schwer haben, zur Gesellschaft zu gehören. So finden auch Austauschworkshops für queere Menschen statt, die eine Behinderung haben, Rassismus erfahren oder deren Eltern in die Schweiz eingewandert sind. Es geht auch darum, Leute individuell zu stärken. Da kann ich den Bogen fünfzig Jahre zurückschlagen, als sich die HAZ noch als Organisation von und für Homosexuelle begriff: Auch da ging es in einer ihrer ersten Publikationen zunächst darum, das Selbstbewusstsein homo­sexueller Männer und Frauen zu stärken.

Hannes Rudolph (45) ist Psychologe und Theaterregisseur, war Gründungsmitglied des Transgender Network Switzerland und bis Mai Leiter der Fachstelle für trans Menschen im Checkpoint Zürich. Bis 11. September gibt es rund um das Zürcher Regenbogenhaus an der Zollstrasse 117 ein vielfältiges Programm zum 50. Geburtstag des LGBTQ-Vereins.