Velos: Die kritische Masse rollt weiter

Nr. 31 –

Am Freitag versuchte die Zürcher Polizei, die monatliche Critical-Mass-Fahrt zu verhindern – mit mässigem Erfolg.

Die Stadtzürcher FDP hat ein wichtiges Thema entdeckt. Seit 1997 fährt jeweils am letzten Freitag des Monats ein Pulk von Velofahrer:innen durch die Stadt, nachdem sie sich zuvor am Bürkliplatz besammelt haben. Critical Mass nennt sich das. Diese Form des gemeinsamen Ausfahrens – entstanden in San Francisco – gibt es in Dutzenden Städten rund um den Globus.

Waren in Zürich jahrelang einige Dutzend bis wenige Hundert unterwegs, hat das spontane Herumfahren in den letzten Jahren auch schon mehrere Tausend angezogen. Die Folge: Autos, Busse und Trams mussten bis zu eine halbe Stunde wegen der vorüberziehenden Velos warten. Sie konnten dabei eine kreative friedliche Menge beobachten, mit viel Musik. Ganze Bands sind schon auf bunt geschmückten Anhängern mitgefahren, trommelnd, Gitarre spielend, Trompete blasend. In den Wohnquartieren stösst der Zug jeweils auf viel Freude, vor allem bei Kindern. Rufen sie «Hallooo!», hallt es vom Pulk «Velooo!» zurück.

Keine Flugblätter, keine Parolen

So etwas Lustiges geht natürlich nicht ohne Bewilligung. Darum hatten die FDP-Gemeinderäte Përparim Avdili und Alexander Brunner im Herbst eine Beschwerde beim Zürcher Statthalteramt eingereicht, nachdem sie im Gemeinderat abgeblitzt waren: Die Veranstalter:innen hätten eine Demonstrationsbewilligung einzureichen – ansonsten sei der Anlass zu verbieten. Statthalter Mathis Kläntschi (Grüne) gab den beiden Freisinnigen Anfang Juli recht. Die Critical Mass sei tatsächlich eine Demonstration, stellt er «messerscharf und konzis» (NZZ) fest; auch wenn es keine Organisator:innen gibt, keine Transparente mitgeführt werden, niemand Flugblätter verteilt oder Parolen ruft und danach auch kein Communiqué verschickt wird.

Am Freitag nun fand erneut eine Critical Mass statt, und erwartungsgemäss fehlte ein Bewilligungsgesuch. So kam es, wie es in Zürich kommen muss – ein grosses Polizeiaufgebot am Besammlungsort und entsprechende Androhungen: Wer mitfahre, werde gebüsst.

Acht Einsatzwagen gegen Musik

Doch fuhr die Critical Mass dann doch. Wie will man auch Velos aufhalten, wenn gleichzeitig die Autos fahren dürfen? Erst Dutzende, dann Hunderte vereinigten sich und strampelten durch die Stadt. Wegen der Sommerferien war der sonstige Verkehr bescheiden, die Wartezeiten hielten sich in Grenzen. Auffällig viele ältere Semester gehörten diesmal zur kritischen Masse, so auch Expolizeivorsteher Richard Wolff (AL). Selbst die Hardbrücke, eine autobahnähnliche Stadttraverse, wurde abgefahren – wie praktisch jeden Monat.

Allerdings: So sicher wie sonst war die Fahrt nicht. Die Polizei versuchte mit ihren Einsatzwagen immer wieder, einen Keil zwischen die Velofahrenden zu treiben. Alle Teilnehmenden wurden von Polizeikräften extensiv gefilmt und fotografiert. «Die Aufnahmen werden nach hundert Tagen wieder gelöscht», sagt Polizeisprecher Pascal Siegenthaler. Spezifische Auswertungen werde es keine geben. Die Polizei hielt über fünfzig Velofahrer:innen an, kontrollierte sie und sprach Wegweisungen aus. Sie werden wegen der Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration verzeigt. Beim Sechseläutenplatz beschlagnahmte die Polizei die tragbare Musikanlage einer Velofahrerin: Dazu wurden insgesamt acht Einsatzwagen benötigt, von denen einige mit Sirenen und Blaulicht über den Platz brausten.

Normalerweise sorgen bei den Critical-Mass-Fahrten die Teilnehmenden für einen sicheren Ablauf. So werden Einfahrtsstrassen blockiert («korken» heisst das unter Velofahrer:innen), damit nicht plötzlich Autos Velofahrende bedrängen. Diesmal konnte wegen der drohenden Polizeirepression nicht überall gekorkt werden. So fuhren immer wieder Autofahrer:innen zwischen den vielen Velos. Dennoch blieb die Critical Mass unfallfrei.