Vor der Abstimmung: Mit der grossen Kelle gegen sozialen Fortschritt

Nr. 4 –

Die Kampagne gegen die 13. AHV-Rente rollt an. Die bürgerlichen Gegner:innen bieten zum Auftakt gerade alles auf: Milliardär Christoph Blocher, Finanzministerin Karin Keller-Sutter oder Christoph Eymann, den Präsidenten der Sozialhilfekonferenz. Ein erster Einblick.

Gemäss einer Tamedia-Umfrage wollen 71 Prozent der Schweizer:innen am 3. März eine 13. AHV-Rente annehmen. Selbst bei den Jungen bis 34 Jahre ergibt die Umfrage gut sechs Wochen vor der Abstimmung ein knappes Ja, beim SVP-Elektorat ist die Zustimmung hoch.

Leicht wird es dennoch nicht, es braucht auch das Ständemehr. Und die Gegner:innen unter dem Lead der SVP und der Wirtschaftsverbände sind finanzkräftig, sie buttern laut der Eidgenössischen Finanzkontrolle rund 3,6 Millionen Franken in ihre Kampagne. Die Linke unter Federführung des Gewerkschaftsbunds hat gerade mal 1,5 Millionen Franken zur Verfügung. Der Einfluss der Bürgerlichen auf die grossen Medien ist zudem ungleich grösser. Vor allem in der NZZ rollt die Gegenkampagne an. Denn eine Annahme wäre für die Schweiz sozialpolitisch ein historisches Momentum – und ein Desaster für die bisherige Rentenabbaupolitik der Bürgerlichen.

Der scheinheilige Milliardär

Geäussert hat sich aus der bürgerlichen ­«Classe politique» als einer der Ersten der Milliardär Christoph Blocher. Mitte Januar signalisierte er in den Tamedia-Zeitungen scheinheilig Verständnis: «Ich wäre grundsätzlich für eine 13. AHV-Rente, sogar für eine 14.» Dann dramatisierte er: «Aber wir haben keine Finanzierung dafür. Das ist verantwortungslos. Wird die Initiative angenommen, geht entweder die AHV zugrunde oder man muss die Mehrwertsteuer und/oder die Lohnabzüge erhöhen.»

Tatsache ist: Die 13. AHV-Rente würde zunächst rund vier Milliarden Franken pro Jahr kosten, sie liesse sich mit zusätzlichen 0,8 Lohnprozenten finanzieren (je hälftig zulasten von Betrieb und Angestellten). Bei einem Monatslohn von 4500 Franken wären das 18 Franken weniger in der Tasche eines Angestellten, pro Tag etwa 60 Rappen. Daraus zog Christoph Eymann, Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, am vergangenen Wochenende in der «SonntagsZeitung» folgenden Schluss: «Es besteht die Gefahr, dass die 13. AHV-Rente zu mehr Sozialfällen führt.» Der ehemalige FDP-Nationalrat und einstige Regierungsrat von Basel-Stadt sagte weiter, bei Geringverdiener:innen komme es auf jeden dieser 18 Franken an. Da hat er einen Punkt. Was aber hindert ihn daran, sein liberales Netzwerk zu aktivieren und sich – zum Beispiel – für eine minimale Erhöhung bei tiefen Löhnen einzusetzen?

Am vergangenen Samstag beschloss die Delegiertenversammlung der FDP zudem ein «wuchtiges Nein» zur Initiative der Gewerkschaften. Tags darauf warnte ihre Bundesrätin Karin Keller-Sutter in der «NZZ am Sonntag» sogleich, die zunehmenden Staatsschulden seien eine Gefahr für die Welt. Die Liebhaberin der Schuldenbremse befürchtet deswegen soziale Unruhen. Und selbstverständlich äussert sie sich in diesem Kontext beiläufig zur 13. AHV-Rente. Das Anliegen der Linken sei unsozial, weil das Geld mit der Giesskanne über alle Rentner:innen ausgegossen werde – auch über diejenigen, die es nicht nötig hätten. Und überhaupt: Für die armen Rentner:innen gebe es ja Ergänzungsleistungen (EL).

Rund 219 000 Rentner:innen beziehen heute diese steuerfinanzierten Leistungen – 12,3 Prozent der Pensionierten. Die EL sind von 2013 bis 2022 von 2,6 auf 3,1 Milliarden Franken angestiegen. Als sie Ende der sechziger Jahre eingeführt wurden, waren sie als Übergangslösung gedacht – bis die Renten auf ein Niveau angehoben wären, das zum Leben ausreicht, wie es die Verfassung ja vorsieht. Das über fünfzigjährige Provisorium ist ein Symptom dafür, dass die AHV-Renten zu tief sind. Apropos Schulden: Die Schweiz ist kerngesund, sie hat eine der tiefsten Schuldenquoten. Gemäss Berechnungen von Keller-Sutters Finanzdepartement wird die Quote weiter sinken. Wenn nun nach einer Einführung der 13. AHV-Rente auch die Beiträge aus dem allgemeinen Bundeshaushalt steigen würden (um rund 800 Millionen Franken), wäre das eine lösbare Angelegenheit.

Die hohle Hand?

Zu Wort kam gleich nach dem Wochenende in der NZZ auch der libertäre Ökonom Christoph Schaltegger. Er liess sich darüber aus, dass sich die Schweiz einen «teuren Staat» leiste und wieder sparen lernen müsse. Auch wies er darauf hin, dass sich die Ausgaben für soziale Wohlfahrt seit 1995 «real» verfünffacht hätten. Das Framing auch hier: Wir können uns eine 13. AHV-Rente nicht leisten.

Schliesslich begleitete das liberale Medienhaus den Kampagnenstart mit mehreren von Moralismus durchtränkten Kommentaren. In einem heisst es im Stil einer Publikumsbeschimpfung, die derzeitige Rentendebatte stehe als Sinnbild für einen Mentalitätswandel: Die Frage, was man für sein Land tun könne, kümmere immer weniger Bürger:innen. Stattdessen greife eine fatale Anspruchshaltung um sich. Ungeniert mache man die hohle Hand beim Staat.

Die hohle Hand? Die AHV ist eine Versicherung: Wer einzahlt – und das tun alle, die arbeiten –, erwirbt einen Rentenanspruch. Richtig ist: Der Bund bezahlt rund zwanzig Prozent einer Jahresrente in die AHV-Kasse ein, das sind zehn von fünfzig Milliarden Franken. Viel Geld, allerdings volkswirtschaftlich gut angelegtes Geld. Es belebt die Wirtschaft.