Quantenphysik: Forscher am Rande des Wahnsinns

Nr. 5 –

Die prägenden Köpfe der frühen Quantenmechanik geistern derzeit durch Literatur und Film. Gerade Christopher Nolans «Oppenheimer» weist dabei eine auffällige Leerstelle auf.

Filmstill aus «Die Theorie von allem»: Jan Bülow als Johannes Leinert
Auf der Spur der Wellenfunktion: Johannes Leinert (Jan Bülow) in «Die Theorie von allem» von Timm Kröger. Still: Filmcoopi Zürich

«Nun bin ich der Tod geworden, der Welten Zerstörer!» Die Worte aus der Hinduschrift Bhagavad Gita sind sprichwörtlich geworden, seit J. Robert Oppenheimer den Spruch auf sich und seine Rolle bei der Entwicklung der Atombombe bezog – als tragische Erkenntnis des Physikers, der erschrickt über das, was er ins Werk gesetzt hat, indem er seinen Forschungsdrang in den Dienst einer militärischen Kriegsmacht stellte. Der Satz war unvermeidlich im Film «Oppenheimer», der ja auch eine Tragödie über entgrenztes Wissen im 20. Jahrhundert ist.

Jetzt, in «Die Theorie von allem», fällt der ominöse Satz schon wieder, diesmal als Farce. Im Film von Timm Kröger kommt es einmal zum Disput zwischen zwei älteren Physikern aus Deutschland: Der eine stellt seinen Kollegen bloss, weil er als Jude unter den Nazis mitgeholfen habe, die Wissenschaften von «hebräischen Strömungen» zu säubern. Dieser kontert, indem er seinen Kollegen sarkastisch als «frischgebackenen Judenfreund» tituliert. Der Jude ist es dann auch, der Oppenheimers Satz wie ein tragischer Clown in den Saal schleudert: «Ich bin der Tod geworden, Zertrümmerer der Welten!» Die Farce verweist also auch auf eine Tragödie: auf den tiefen Fall eines Wissenschaftlers, der sich am Holocaust mitschuldig gemacht hat.

Hundert Jahre nach ihren Anfängen erlebt die moderne Quantenmechanik derzeit eine auffällige Wiederkehr – in der Kultur. Gerade Oppenheimer sei ein dankbares Sujet, sagt Timm Kröger: «Wir alle verstehen, was eine Atombombe ungefähr ist. Bei moderner Physik, auch jenseits der Quantenphysik, gilt ja das alte Wort, dass vielleicht fünf Leute auf der Welt verstehen, wovon geredet wird.» Und alle anderen? Halten sich an populärwissenschaftliche Verkürzungen, die «mehr oder weniger unzulässigerweise alles auf menschliche Biografien übertragen», wie Kröger sagt.

Filmstill aus «Oppenheimer»: Cillian Murphy als  J. Robert Oppenheimer
Der Weltenzerstörer: J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) im Film von Christopher Nolan. Still: Universal Pictures

Heisenberg auf Helgoland

Tatsächlich ist es nicht in erster Linie die Quantenmechanik selber, die durch Literatur und Film geistert. Es sind vor allem die prägenden Köpfe ihrer Frühzeit, wie eben in Christopher Nolans «Oppenheimer», der nun für dreizehn Oscars nominiert ist. Die Faszination dieser Geschichte ist für Kröger nicht nur mit der Bombe zu erklären: «Das war die letzte Zeit vor dem grossen Computerwissen. Diese Physik wurde kriegstreibend betrieben, war aber auch davon abhängig, dass man die richtigen Leute am richtigen Ort miteinander versammelt. All dieses Wissen, all dieses Denken steckte vor allem in den Köpfen.»

Phasenweise wirkt «Oppenheimer» denn auch wie eine atemlose Revue der Gründerväter: von Niels Bohr über Werner Heisenberg bis, ganz kurz nur, Kurt Gödel. Einer von diesen dreien ist, noch vor dem Hollywoodfilm, auch in die Schweizer Literatur eingegangen: «Sich lichtende Nebel» (2023), die Novelle von Christian Haller, die letzten Herbst mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurde, begleitet den jungen Heisenberg auf die Insel Helgoland, wo er sich im Jahr 1925 von einem schlimmen Heufieber erholen will (siehe WOZ Nr. 22/23). Der geplagte Quantenphysiker, der von Pollen, diesen winzigen Partikeln, an den Rand des Wahnsinns gebracht wird: Klingt das, obwohl verbürgt, nicht bereits wie ein literarisches Motiv, das sich jemand ausgedacht hat?

Die Episode auf Helgoland, wo Heisenberg der Legende nach nicht nur Linderung, sondern auch seinen theoretischen Durchbruch fand, hat zuvor schon der chilenische Schriftsteller Benjamín Labatut verarbeitet, in der längsten Erzählung in seinem Buch «Das blinde Licht» (2021). Wobei Labatut, anders als Haller, gerne plakativ auf den Effekt hin erzählt: Gleich im ersten Satz ist Heisenberg hier «zu einem Monster geworden», und seine Lippen sehen dann aus «wie ein verfaulter Pfirsich».

Labatuts Genre ist die fiktionalisierte Biografie, wobei nicht ersichtlich wird, wo bei ihm die Grenze zwischen biografischer Wahrheit und literarischer Fantasie verläuft. Seine Bücher kreisen um reale Grössen aus der Physik und der Mathematik des 20. Jahrhunderts, und sie zielen geradezu obsessiv auf die Dialektik einer entgrenzten Vernunft in der Moderne. Labatut erzählt mit Vorliebe von Forschern auf der Schwelle zum Irrsinn, er sucht immer nach dem Kipppunkt, wo ein absoluter Wille zum Wissen in Wahn umschlägt. Typische Kapitelüberschrift: «Die Wahnträume der Vernunft». Klar geht es hier immer um Männer, und auch wenn das prekäre Genies sind: Letztlich bleibt es doch Geniekult, was hier zelebriert wird.

Das gilt auch für Labatuts neues Buch, das den Wahn gleich im Titel trägt: «Maniac». So lautet die Abkürzung für eine 450 Kilo schwere Rechenmaschine von 1952, aber gemeint ist natürlich auch der manische Forscher im Hauptteil des Buchs. Interessant daran: In «Maniac» steht nun genau die historische Figur im Zentrum, die in «Oppenheimer» eine auffällige Leerstelle blieb. So viel historisches Personal hat Christopher Nolan in seinem Film untergebracht, und sei es nur für ein paar Sekunden, wie eben Kurt Gödel – aber ausgerechnet für den Physiker und Mathematiker John von Neumann (1903–1957) war dann trotz drei Stunden Laufzeit kein Platz mehr? Es ist wohl der Preis dafür, dass «Oppenheimer» als Biopic halt doch ganz auf seine Titelfigur ausgerichtet bleibt.

Was dem Film dadurch alles entgeht, kann man in «Maniac» nachlesen. Es ist eine Menge. John von Neumann, von 1923 bis 1926 Student an der ETH Zürich, wo er letzten Sommer mit einem Symposium gewürdigt wurde, war zwar beim Bau der Atombombe in Los Alamos nur sporadisch vor Ort, als externer Berater. Die Arbeit aber, die er zur gleichen Zeit zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Oskar Morgenstern entwickelte, sollte sich als ähnlich prägend erweisen wie Oppenheimers Bombe, und zwar nicht nur für das «Gleichgewicht des Schreckens» im Kalten Krieg: die Spieltheorie.

So hellsichtig, so blind

Mit der nach ihm benannten Computerarchitektur, die er damals auch entwickelte, legte von Neumann zudem die Basis fürs digitale Zeitalter. Seine «fast schon ausserweltliche Fähigkeit, ins Herz der Dinge zu schauen», so heisst es einmal im Buch, sei zugleich der Grund gewesen für seine «fast kindliche moralische Blindheit». Es klingt wie ein Echo aus dem Film von Nolan, wo es über Oppenheimer heisst: «Wie konnte dieser Mann, der so viel sah, so blind sein?»

So, wie ihn Labatut in «Maniac» schildert, durch das vielstimmige Prisma von dessen Weggefährt:innen, war John von Neumann eine mindestens so schillernde, mindestens so ambivalente Figur wie Oppenheimer – nur ganz ohne die ethischen Bedenken, die diesen nachträglich heimsuchten. Und die Welt, in der wir heute leben, so die These von Labatuts Buch, ist noch viel umfassender durch von Neumann strukturiert worden als durch Oppenheimer. Die Bombe für den Krieg, die Spieltheorie für den Kalten Krieg und als ökonomische Doktrin, die Blaupause für die Digitalisierung der Welt: Bei allem hatte John von Neumann seinen Kopf im Spiel.

Benjamín Labatut: «Maniac». Roman. Aus dem Englischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag. Berlin 2023. 395 Seiten. 37 Franken.

«Die Theorie von allem» : Bis der Film kaputtgeht

Der Prolog wirkt täuschend echt wie ein Fund aus dem TV-Archiv. Danach tanzen gleich mal die Partikel vor schwarzem Nichts – aber es sind nur wirbelnde Schneeflocken. Dann: Bergwinter in Schwarzweiss, zwei Kinder im Schnee, dazu eine altertümelnde Filmmusik.

«Die Theorie von allem» simuliert hier ungemein stilecht einen deutschen Heimatfilm, aber der schöne Johannes (Jan Bülow), der nun auftritt, ist zu Höherem berufen. In seiner Dissertation schlägt er eine «Theorie der universalen Wellenfunktion» vor. Sein Doktorvater (diskret genervt: Hanns Zischler) sieht in alldem nur «spekulativen Quatsch», den er seinem Schützling vergeblich auszutreiben versucht. Trotzdem darf Johannes den Professor zu einem internationalen Kongress in den Schweizer Bergen begleiten.

Während der iranische Stargast die versammelte Prominenz warten lässt, findet Johannes im Hotel einen weniger skeptischen Mentor im leider versoffenen Physiker Blumberg (Gottfried Breitfuss vom Zürcher Schauspielhaus). Und als auch noch eine mysteriöse Frau (Olivia Ross) ins Spiel kommt, schraubt sich das, was so trügerisch arglos als Heimatfilm anfing, in immer dunkleren Windungen in ein paranoides Film-noir-Universum hinein. Da dürfen dann auch die ominösen Ermittler im schwarzen Ledermantel nicht fehlen, hier gespielt von David Bennent aus der «Blechtrommel»-Verfilmung und dem Schweizer Philippe Graber.

Auch wenn Regisseur Timm Kröger das im Interview herunterspielt: «Die Theorie von allem» ist eine mit allen Wassern der Postmoderne gewaschene Stilübung – aber auch ein sehr heutiger metaphysischer Thriller, der sich keineswegs in nostalgischen Posen erschöpft. Da tun sich Risse in der Realität auf, einer verliert sich in den Mustern eines Perserteppichs, und im laut flackernden Showdown geht dann förmlich der Film kaputt. So jagen Kröger und sein Drehbuchautor Roderick Warich ihren Protagonisten durch die Schweizer Berge, bis dieser Johannes verschüttet zwischen den Welten zu sich kommt – oder auch nicht.  

«Die Theorie von allem». Regie: Timm Kröger. Deutschland/Österreich/Schweiz 2023. Jetzt im Kino.