Auf allen Kanälen: Alles Egoisten ausser ich

Nr. 11 –

Nach dem Ja zur 13. AHV-Rente ist das bürgerliche Lager in der Trotzphase.

stilisiertes Foto von Menschen die applaudieren

Mit allen Mitteln hat die bürgerliche Schweiz versucht, das Ja zur 13. AHV-Rente zu verhindern. Genützt hat weder die millionenschwere Plakatkampagne noch das Herumreiten auf der Finanzierungsfrage. Auch der stets bemühte Populismusvorwurf gegen links lief ins Leere. Zum Glück also eilten gleich ganze Redaktionen mehr oder weniger bereitwillig zu Hilfe.

Letzteres erreichte mit dem Leitartikel der «Tages-Anzeiger»-Chefredaktorin Raphaela Birrer seinen Höhepunkt: «Statt Zustupf für alle braucht es jetzt echte Lösungen. Deshalb sagt unsere Redaktion Nein.» Man müsse weg «von Ideologie und egoistischer Perspektive», schrieb Birrer – im Namen ihrer Mitarbeiter:innen, sicher aber auch zur Freude der TX-Verlegerfamilie, deren Vermögen mehr als eine Milliarde Franken beträgt.

Für die Erzählung der angeblich «egoistischen Rentner» mussten im Vorfeld die pensionierten Auslandschweizer:innen herhalten: «Auslandschweizer sind die grössten Egoisten, die es gibt», simplifizierte Markus Somm in seinem Podcast «Bern einfach» und setzte damit den Rahmen für das, was nun auch nach der Abstimmung das trötzelnde Narrativ der Verlierer:innen ist.

Der Vorwurf des Egoismus ist deswegen so absurd, weil er so ziemlich alle Fakten verdreht, die es zu verdrehen gibt: Wie kann ein kollektiv beschlossener Ausbau einer auf dem Solidaritätsprinzip beruhenden Sozialversicherung egoistisch sein? Das exakte Gegenteil ist der Fall: Von der 13. AHV-Rente profitieren wir früher oder später alle. Sie als eine Umverteilung von Jung zu Alt zu bezeichnen, stimmt nur in einer kurzfristigen Perspektive. Vielmehr ist die AHV eine Umverteilung von oben nach unten. Von wegen Eigennutz: Nein gestimmt haben gemäss den Resultaten vor allem die Einwohner:innen der reichen Gemeinden, die nun am meisten bezahlen werden.

Übeltäter und Überväter

Doch die Verlierer:innen wirken nicht nur diesbezüglich frustriert und orientierungslos. Eine Woche nach ihrer historischen Niederlage will die bürgerliche Sonntagspresse den alleinigen Verantwortlichen für die Schmach ausgemacht haben: Pierre-Yves Maillard heisst der Übeltäter. Im konstruierten Duell der Überväter läutet die «NZZ am Sonntag» das Ende von Christoph Blochers «Wilhelm-Tell-Schweiz» ein und zeichnet das Schreckensbild einer «Robin-Hood-Schweiz». In der Person Maillards würden solche Vorstösse langfristig den Wohlstand des Landes gefährden. «Stehen wir nach jahrelanger Dominanz von Christoph Blocher vor Maillard-Jahren?», fragt der Artikel denn auch sorgenvoll. «Der Griff nach der 13. AHV-Rente könnte erst der Anfang sein.»

Doch immerhin: Alles andere als woke sei dieser Maillard, er würde «ein Stück weit mit der modernen Sozialdemokratie fremdeln», sei eben noch «ein Gewerkschafter von altem Schrot und Korn». Im «SonntagsBlick» ist Maillard dann auch «Vater Courage», die gewonnene AHV-Abstimmung sein ganz «persönlicher Erfolg». Padre mío.

It’s a man’s world

Den wahren Verlierer – wir haben nur darauf gewartet – macht dann Frank A. Meyer in seiner SoBli-Kolumne aus: Es sind nicht etwa Economiesuisse und Arbeitgeberverband, Marco Chiesa oder Thierry Burkart. Es ist der im Gegensatz zu Maillard verdächtig woke Cédric Wermuth, der sich in einer politischen Auszeit befand. O-Ton Meyer aus Berlin, wie immer triefend vor Pathos: «Die Auszeit vom Wähler, vom Volk, vom Mandat, vom Verfassungsauftrag fiel leider, leider, in die Zeit des Abstimmungskampfes. Der Genossenpräsident weilte in der weiten Welt.»

Abgesehen davon, dass es bürgerlichen Medien offenbar nicht möglich ist, kollektive Erfolge auch als Erfolge von Kollektiven zu beschreiben, fällt vor allem eines auf: dass bei der plumpen Konstruktion des Gegensatzes zwischen Maillard und Wermuth, zwischen Gewerkschaften und Genderpolitik, die Frauen verschwinden. Für alle, die aufgepasst haben, waren es in der Deutschschweiz beispielsweise SP-Kopräsidentin Mattea Meyer, Kofraktionsvorsitzende Samira Marti, Unia-Chefin Vania Alleva und SGB-Zentralsekretärin Gabriela Medici, die vehement für ein Ja kämpften. Aber was zählt das schon in der medialen Männerwelt?