Zur Situation der Frauen: «Der Druck muss von aussen kommen»

Nr. 12 –

Sie haben die Revolution getragen, nun schlagen die Militärs umso härter zurück: Für die Frauen im Sudan hat der Krieg besonders verheerende Folgen. Frauenrechtsaktivistin Niemat Ahmadi über Ausweglosigkeit und Hoffnung in einem militarisierten Land.

WOZ: Frau Ahmadi, was macht den Krieg im Sudan für Frauen und Mädchen so besonders gefährlich?

Niemat Ahmadi: Der Sudan ist für Frauen derzeit der vielleicht gefährlichste Ort auf der Welt. Insbesondere in den Gebieten, die von den RSF kontrolliert sind, werden sie Opfer systematischer Vergewaltigungen. Das beweisen Fälle in al-Dschunaina oder Zalingei, in denen Frauen entführt wurden, um sie als Sklavinnen für sexuelle Dienste und Hausarbeit zu missbrauchen. Und die Menschen haben Angst, davon zu berichten, weil sie Vergeltungsmassnahmen vonseiten der Milizen fürchten.

Wenn Sie sagen, dass sexuelle Gewalt in diesem Krieg «systematisch» eingesetzt wird: Was heisst das genau?

Es handelt sich um gezielte Angriffe auf Frauen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Die Milizen haben ganz besonders jene marginalisierten Bevölkerungsgruppen im Visier, die schon vor zwanzig Jahren zum Ziel des Völkermords wurden, als das islamistische Regime Umar al-Baschirs den Aufstand der darfurischen Rebellengruppen niederschlug.

Damals sind Sie selbst aus Darfur geflohen. Hat sich die Situation für die Sudanesinnen seither jemals entscheidend verbessert?

Leider nicht. Es gab eine Verbesserung im Jahr 2019, als die Menschen zusammenkamen, um für ihre Rechte zu kämpfen, und schliesslich Baschir stürzten. Seither sind die Frauen aber noch stärker ins Visier geraten. Denn die Militärs haben erkannt, dass sie in der Revolution zentrale Funktionen eingenommen haben.

Die Frauenrechtlerin

Niemat Ahmadi (53) ist in Norddarfur aufgewachsen und engagierte sich während des Darfur-Konflikts (ab 2003) für Menschen- und Frauenrechte, bis sie 2005 fliehen musste. Seit 2007 engagiert sie sich in den USA. Unter anderem gründete sie die Darfur Women Action Group: Die NGO will den Sudanesinnen international Gehör verschaffen und koordiniert vor Ort ein Aktivist:innen-Netzwerk, das Anlaufstellen für Opfer von Krieg und sexualisierter Gewalt unterhält.

 

Portraitfoto von Niemat Ahmadi

Auch in Darfur?

Gerade in den Lagern für Binnenvertriebene in Darfur nehmen Frauen eminent wichtige Rollen ein. Selbst wenn sie die schrecklichsten Gewalttaten erlebt haben, sind sie Führungspersönlichkeiten und Sprachrohre dieser Gemeinschaften geworden. Als in Khartum die grossen Sitzstreiks abgehalten wurden, führten Frauen unzählige junge Demonstrant:innen aus entfernten Regionen in die Hauptstadt und blieben für Wochen und Monate in den Zeltstädten, bis die nächste Gruppe kam. Bei der Bildung der Übergangsregierung wurden aber jene, die für die Revolution gekämpft hatten, nicht wirklich miteinbezogen, schon gar nicht die Frauen.

Haben Sie die Entwicklungen seither überrascht?

Die RSF wurden 2013 nicht der Armee, sondern den nationalen Sicherheits- und Nachrichtendiensten angegliedert. Es ist ein Rezept für Spaltung und Hochrüstung, zwei konkurrierende militärische Kräfte in einem Land zu haben. Hinzu kommt, dass sich General Hemeti international profilieren konnte: Er schickte Söldner in den Jemen, um gegen die Huthi zu kämpfen – für die Allianz Saudi-Arabiens mit den USA, die keine eigenen Truppen entsenden wollten. Von Europa wurde er zudem für viel Geld in die Migrationsabwehr eingebunden, und die Übergangsregierung hat ihn schliesslich zum Regierungsbeamten gemacht. Seither musste er international nicht mehr durch Hintertüren gehen. Er konnte Geschäfte machen, Gold schmuggeln, die RSF hochrüsten.

Was ist der Ausweg?

Im Moment sehe ich keinen Raum für Kompromisse zwischen Armeegeneral Burhan und General Hemeti. Deren Egos sind zu gross. Der Druck muss von aussen kommen: Sie dürfen kein Geld und keine Waffen mehr erhalten. Die Vermögen der involvierten Akteure müssen eingefroren, ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Auch die Gründung einer breit anerkannten Exilregierung könnte Druck ausüben. Und vor allem bin ich der Meinung, dass es angesichts der humanitären Krise dringend eine Art internationale Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung braucht.

Eine Uno-Blauhelm-Mission?

Ja. Im Moment sterben die Menschen in aller Stille, weil keine humanitäre Hilfe in die betroffenen Gebiete gelangt. Und wenn sie doch kommt, werden die Hilfsgüter von RSF- oder Regierungstruppen abgegriffen. Auch unsere Organisation, die Darfur Women Action Group, musste den Betrieb einstellen, wo die RSF die Kontrolle übernahmen. 

Sie brennen alles nieder: Verwaltungsinstitutionen, NGO-Büros. Auch über die Regierungstruppen gibt es Berichte von Bombardements ziviler Ziele und von Misshandlungen. Aber immerhin wird in ihren Gebieten die Bevölkerung nicht systematisch angegriffen.

Ist dieser Krieg eine Art Fortsetzung der vergangenen Konflikte? Oder gibt es eine neue Konstellation?

Ich würde es so sagen: Er ist das Resultat der Immunität, die mit Blick auf vergangene Verbrechen herrscht. Burhan und Hemeti waren beide an der Niederschlagung des Aufstands in Darfur beteiligt. Deren Aufarbeitung war nach dem Sturz Baschirs eigentlich als Teil des Übergangsprozesses vorgesehen – aber die internationalen Akteure haben nicht darauf gedrängt. Sie akzeptierten einen Frieden ohne Gerechtigkeit. Es gibt also eine direkte Verbindung: Die aktuelle Katastrophe ist der Preis für das Schweigen.

Von Abuja über Doha, Juba und jetzt Dschidda: Es gab in den letzten zwei Jahrzehnten sehr viele Friedensgespräche. Warum waren letztlich alle erfolglos?

Was kann herauskommen, wenn mächtige Mörder und Kriegsverbrecher zusammen verhandeln? Sie dominieren nicht nur das Schlachtfeld, sondern auch den Verhandlungstisch – und töten nebenher weiter. Es grenzt an Wahnsinn, von Menschen, die immer wieder dasselbe tun, plötzlich andere Ergebnisse zu erwarten. Entscheidend ist deshalb, dass die Rechenschaftspflicht für die begangenen Verbrechen im Zentrum internationaler Bemühungen steht.

Was lässt Sie hoffen, eines Tages in den Sudan zurückkehren zu können?

Es sind die Menschen, die Frauen, die Jugendlichen, die Kinder. Sie geben nicht auf. Nach dem Kriegsausbruch am 15. April 2023 hat die Welt rasch wieder weggeschaut, internationale NGOs zogen ab. Währenddessen gingen die Sudanes:innen noch in der grössten Todesgefahr hinaus, sie sahen nach ihren Nachbar:innen, verpflegten die Verwundeten, beerdigten die Toten. Sie gaben den Hungernden zu essen, nahmen die Kinder getöteter Eltern bei sich auf.

Schauen Sie: Meine Familie war nach Kriegsausbruch fünf Monate lang von der Aussenwelt abgeschnitten, und auch jetzt habe ich seit zwei Monaten keinen Kontakt mehr zu ihnen. Aber wissen Sie, was sie sagten, als wir uns nach langer Zeit erstmals wieder hörten? Sie haben mich gefragt, wie es mir gehe. Sie hätten sich Sorgen um mich gemacht. Es ist diese Unerschütterlichkeit der Menschen im Sudan, die mir Hoffnung gibt und mich jeden Tag antreibt, für sie weiterzukämpfen.