Überall ist Nato-Land

Man mag es kaum aussprechen, ohne sich wie ein Spielverderber zu fühlen: Aber der Krieg, der um den Kosovo geführt wurde, ist nicht zu Ende; er geht nur in eine andere Phase über.

Nato-TruppenDie diffuse Regelung der Kommandostrukturen im besetzten Kosovo, das heisst die ungeklärte Frage, ob Uno oder Nato das letzte Wort haben, ziehen nicht nur ständige Reibereien zwischen den eingerückten Schutztruppen (KFOR) und der kosovo-albanischen Befreiungsarmee (UCK) nach sich, sie provozieren darüber hinaus notwendigerweise immer neue Konflikte zwischen der Nato und Russland, so zuletzt den Streit um die Vergrösserung und den Einsatz der russischen Truppen im Rahmen der KFOR.

Aktuell habe man sich wieder geeinigt, heisst es. Doch weitere Konflikte sind vorprogrammiert. Sie liegen im Wesen der politischen Grundkonstellation, die sich im Krieg um den Kosovo und jetzt auch in dessen Krisenverwaltung niedergeschlagen hat.

Wers nicht glaubt, blicke noch einmal auf die Entstehung des Konfliktes zurück: Systematisch wurde das Veto Russlands und Chinas gegen eine militärische «Lösung» des Konfliktes im Kosovo umgangen; provokativ schritt die Nato – gegen russischen und chinesischen Protest – zur Selbstmandatierung für den militärischen Einsatz; brüsk schob sie die russischen Vermittlungsbemühungen in der ersten Phase des Krieges beiseite.

Im Zuge der Bombardierung machte die Nato die osteuropäischen Staaten zu ihren Aufmarschgebieten; parallel zu den Angriffen zelebrierte das Bündnis bei seinem Jubiläumstreffen Ende April in Washington nicht nur seinen neuen Anspruch, zukünftig nach eigenem Gutdünken als entscheidende Ordnungskraft rund um den Globus wirken zu wollen – US-Aussenministerin Madeleine Albright forderte vom Washingtoner Nato-Gipfel aus auch die baltischen Staaten zur Beschleunigung ihrer Beitrittsbemühungen auf; und die GUS-Länder Georgien, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan und Moldawien schlossen sich auf dem Gipfel unter dem Namen GUUAM zu einem Pakt zusammen, der die Annäherung an die Nato fördern soll, nachdem Usbekistan und Georgien kurz zuvor ihren Austritt aus dem GUS-Verteidigungsbündnis angekündigt hatten.

Inzwischen sind weitere Einzelheiten zu hören, etwa, dass die georgische Führung die Ausarbeitung einer neuen Militärkonzeption veranlasste, die sich in Strategie und Ausbildung an die Nato anlehnt – und dabei auf Opposition aus der Roten Armee stammender georgischer Generäle stösst; oder dass die Ukraine und Aserbaidschan eine vollständige Mitgliedschaft in der Nato anstreben und zu diesem Zweck der aserische Präsident Gaidar Alijew ostentativ den Luftkrieg gegen Serbien unterstützte sowie Soldaten für die KFOR-Truppen anbot. Abgesehen von Armenien scheint Moskau mittlerweile in allen südlichen Republiken der ehemaligen Sowjetunion in der Defensive.

Nato-Emissäre bereisten, war im «Spiegel» zu lesen, der Reihe nach die Länder der auseinander bröckelnden GUS, während im Kosovo noch Russlands Dienste zur Disziplinierung Milosevics in Anspruch genommen wurden. Der stellvertretende Nato-Generalsekretär Klaus-Peter Klaiber sprach dabei in Baku von einer «ausserordentlich wichtigen Rolle der Region in der künftigen globalen Sicherheitsarchitektur». US-General Anthony Zinni, Befehlshaber der US-Truppen im Nahen Osten, soll sogar kürzlich bei einer Reise nach Usbekistan und Kirgisistan über mögliche Stützpunkte gesprochen haben. Solche Meldungen sind allerdings zurzeit nicht mehr als Gerüchte, und noch stossen die politischen Führungen nicht nur in den asiatischen Republiken, sondern in allen GUS-Ländern mit ihrer Pro-Nato-Politik auf entschiedene Opposition in der Bevölkerung. Konflikte sind auch hier absehbar.

Allem Gerede vom «gemeinsamen Boot» zum Hohn wurde Russland auch nach dem Ende der Bombardierung Serbiens nicht gleichberechtigt in eine entstehende Friedensordnung einbezogen, sondern neuerlich ausgegrenzt: das Waffenstillstandsabkommen machte den Uno-Sicherheitsrat zum Vollzugsgehilfen der Nato-Beschlüsse und Russland zum Befehlsempfänger. Faktisch besiegelte er einen Aufmarsch des nordatlantischen Bündnisses direkt vor den südlichen Toren Russlands. Damit ist dessen Einkreisung durch die Nato nahezu perfekt. Es fehlt nur noch die Mongolei, um auch zwischen Russland und China noch Nato-Stützpunkte aufzubauen.

An der Tatsache dieser Einkreisung ändern auch die wortreichen Ankündigungen seitens der Europäischen Union (EU) nichts, nunmehr eine aktive Russlandpolitik entwickeln zu wollen, ebenso wenig wie die Einbeziehung Russlands als Nummer acht in die heilige Runde der «Gruppe der sieben», der führenden Wirtschaftsnationen. Das ist nur das süsse Äussere der bitteren Pille, mit dem der Westen glaubt, Russland ruhigstellen zu können.

Programmatisch hat all das der US-amerikanische Alt-Stratege Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, formuliert. Es gehe auf dem Balkan weniger um den Kosovo oder gar um eine «humanitäre Aktion», erklärte er unumwunden, sondern vielmehr um die Glaubhaftigkeit der Nato als Instrument zur Aufrechterhaltung globaler Stabilität. Der ganze Süden der ehemaligen Sowjetunion stellt seiner Ansicht nach ein Sicherheitsrisiko dar. Aus diesem Grund – und natürlich auch, weil dort immense Rohstoffe lagern – deklariert er die Region zur Zone des nationalen Interesses für die USA. Russland selber betrachtet Brzezinski als Konkurrenten und Quelle der Instabilität, die eingedämmt werden müsse.

Zwei Bewegungen trafen im Kosovo aufeinander: die von Russland repräsentierte Auflösung der bipolaren Nachkriegsordnung auf der einen, der von den USA unter dem Stichwort der Globalisierung vertretene Anspruch auf Integration in die nach dem Ende der bipolaren Welt übrig gebliebene, von ihnen beherrschte Ordnung auf der anderen Seite. Der Krieg um den Kosovo ist auch eine Demonstration. Deren Adressaten sind Russland und China und mit ihnen all die Länder und Völker, die auf lange Sicht nicht bereit sind, sich dem globalen Anspruch einer militärisch diktierten unipolaren Weltordnung unter westlicher Führung zu beugen.