«SUMMER OF LOVE»: Sprit für den Spirit - und alles fliesst

Nr. 1 –

Die Frankfurter Schirn-Kunsthalle feiert die psychedelische Kunst und Popkultur der sechziger Jahre und klammert dabei die politische Dimension weitgehend aus.

In der Eingangshalle steht ein prachtvoller 1965er Porsche 356c Cabriolet, psychedelisch bunt lackiert. Er gehörte Janis Joplin. Jener Janis Joplin, die ein paar Jahre später den Allmächtigen um einen Mercedes-Benz anflehen sollte, weil alle ihre Freunde Porsche fahren. Jene Janis Joplin, die schon tot war, als ihr A-capella-Mercedes-Song erschien, den Rock-’n’-Roll-Tod gestorben, zwei Wochen nach Jimi Hendrix, neun Monate vor Jim Morrison. Jene Janis Joplin, die neben ihrer Musik ein vielfach reproduziertes Foto von sich hinterliess, nackt bis auf ein paar Kettchen um den Hals. Über Joplins Porsche hängt der Esso-Schriftzug, rot in blauem Kreis, daneben, gleicher Kreis, gleiche Typo, der Schriftzug LSD.

Öyvind Fahlströms Arbeit stammt von 1967. Da war noch kein Fahrverbot in Sicht, geistige Mobilität und Automobilität konnte man noch zusammen denken, LSD war Sprit für den Spirit. Wann ist das gekippt? Wann kam die erste Ölkrise? Was kostet ein Liter Benzin? Wo gibts heute LSD? Das sind Fragen, die sich in dieser Eingangsinstallation stellen, die man getrost mit William Blake, dem Vorbild und Namensgeber der Doors, eine Pforte der Wahrnehmung nennen darf. Ob wohl auch der zweite «Summer of Love» auftauchen wird, fragt man sich. Im Sommer 1989 explodierte die Rave-Szene in Acid(-House), erstmals seit dem Sommer der Liebe ‘67 verknüpfte sich ein neuer Sound dezidiert mit einer neuen Droge, Ecstasy. In der E-Culture wurde Fahlströms Methode der Labelpiraterie auf Flyern und T-Shirts variiert. Nein, der zweite «Summer of Love» kommt nicht vor, die nahe liegenden Parallelen zwischen der psychedelischen Ära und der «Rave-O-Lution» ebenso wenig wie die aufschlussreichen Unterschiede, etwa in der Drogenfrage.

Christoph Grunenberg, der Kurator der Schau in der Frankfurter Schirn, hat mit seinem Team ganze Arbeit geleistet, um die psychedelische Ära abzubilden. Eine Unmenge von Zeitdokumenten und Artefakten wurde zusammengetragen, die meisten aus den Hippiemetropolen der Sechziger: London, San Francisco, Los Angeles, aber auch Wien, Frankfurt und New York. Filme und Plattencovers, Robert Indianas Love-Skulptur und Beatles-Fotos von Linda Eastman (spätere McCartney), Agit-P(r)op und Eso-Art, Konzertposter und Stroboskopgewitter, nackte Frauen und Verner Pantons berühmte Wohnlandschaftshöhle Phantasy Landscape Visiona. Alles fliesst und morpht schulmässig psychedelisch auf engstem Raum ineinander. Dass die Grenzen zwischen High Art und zweckdienlicher Alltagskleinkunst fallen, macht die Stärke wie die Schwäche der Psychedelia aus. Die Stärke: Im Zuge der antiautoritären Bewegungen wird die Kunst vom musealen Podest geholt, die Fallhöhe wird geringer. Die Schwäche: Aus der gemeinsamen Feier des Augenblicks wächst ein Hang zur Apologetik, zur Fundamentaltheologie. Serien selbstähnlicher Exponate, vor allem die Rockposter mit ihren ornamentverliebten, dafür unlesbaren Buchstaben sehen aus, als wären sie alle vom selben Fliessband gelaufen.

Aber, so war das damals: Plötzlich hatten auch die braven Hollies ein Psych-Cover und nannten ihre Platte «High Hollies». Durch die Materialfülle entsteht das Bild einer zwar amorphen, aber doch im selben Flow befindlichen Bewegung, die sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfasste. Weshalb auch das Be-in als höchste Form der Kongregation gelten darf, als kumulative Synthese von Love-in, Drop-in, Bed-in und so weiter. Gefeiert wird das zweckfreie Sein, united in colours, Entgrenzung und Verflüssigung. Und LSD. Um den Eindruck historischer Beliebigkeit und Konformität zu vermeiden, hätten die Kuratoren die Differenzen stärker betonen müssen. Diesen Job erledigt der Katalog. Diedrich Diederichsen sieht darin gegenläufige Strömungen im Sommer der Liebe und diagnostiziert eine - temporäre - «Simultaneität von ideologiekritischem Dekonditionierungsdenken und spirituellen Erleuchtungsszenarien». In der Hitze des psychedelischen Sommers verschmelzen ein politischer und ein mystischer Zweig, nur um sich nach der Abkühlung um so fataler zu entmischen: in Politsekten, Psychosekten, Drogensekten, Gangs, Junkies und Neokarrieristen.

Der ebenso spannenden wie nahe liegenden Frage, ob Entmischung und Zerfall der hier ausgestellten Kunst bereits eingeschrieben waren, geht die Ausstellung leider nicht nach. Dazu wäre mehr Trennschärfe nötig. Die bringt Dave Hickey im Katalog, wenn er daran erinnert, dass seine Generation - die aktivistischen Acid Heads - sich «von den halbspirituellen Launen der Day-Glo-Hippies, die ein wenig jünger waren», deutlich unterschied, das heisst, die Droge ganz unspirituell und antieskapistisch verstand. «Acid nimmt man am besten mitten im Geschehen.» Nur dann könne man «einen jener Risse im Filigran der Macht und der Überwachung» wahrnehmen, von denen Michel Foucault lange nur aus zweiter Hand schrieb, so Hickey, erstaunt, «dass mein Foucault, der 1968 auf den Barrikaden gewesen war, es bis ins Jahr 1975 geschafft hatte, ohne Acid zu nehmen und ohne von den Schwulenbädern zu wissen». Das sollte er in San Francisco nachholen. Hickeys Verständnis von Drogen ist dem Dekonditionierungsgedanken verpflichtet, also weit entfernt von spirituellen Erleuchtungsszenarien oder dem sich rasch etablierenden bewusstlosen Alltagskiffen.

Bald darauf wurde Hippie zum Schimpfwort, aus guten Gründen. Indem die Ausstellung die unterschiedlichen Praxen des Drogenkonsums zusammenaddiert zu einem einzigen grossen «Long Strange Trip», schliesst sie sich einer historisierenden und entpolitisierenden Sicht auf den «Summer of Love» an, der ja auch ein «Summer of Hate» war, wie ein Kritiker bemerkte. Die weitgehende Abwesenheit von Vietnam und der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen macht es nicht besser. Im «Summer of Love», suggeriert die Schau, geriet urplötzlich eine ganze Gesellschaft ausser Rand und Band, so irre bunt das alles. Ein Unfall der Geschichte. Dann, als alles vorbei war, wurden die neuen Erkenntnisse und Ressourcen in neue produktive Bahnen gelenkt. «Es ist kein Zufall, dass Silicon Valley unweit von Haight Ashbury entstand; die Computerrevolution der siebziger und achtziger Jahre ist untrennbar mit der gegenkulturellen Revolution der sechziger Jahre verknüpft», erkennt Christoph Grunenberg und zitiert Jerry Garcia von Grateful Dead als Kronzeugen: «Acid Test war nichts anderes als Formlosigkeit. Chaosforschung.» LSD, du Motor des Fortschritts!

Es ist sicher auch kein Zufall, dass der Kurator von einer «Computerrevolution» und von Gegenkultur spricht, nicht aber von einer politischen Bewegung. Die Ausblendung der politischen Dimension erlaubt es, Acid retrospektiv als groovy Produktivkraft zu feiern, ohne sich Fragen nach Drogen in der Gegenwart stellen zu müssen. Womöglich feststellen zu müssen, dass Drogen heute weniger dem Drop-out aus der Disziplinargesellschaft dienen, dem Entdecken der Risse im Filigran der Macht, als dem Gegenteil: Die Massendroge Kokain fungiert als Doping im workaholischen 24-Stunden-7-Tage-Parcours der Kontrollgesellschaft, wo das Subjekt selbst dafür zu sorgen hat, den Erfordernissen an Flexibilität und Tempo zu genügen. Was also ist aus der psychedelischen Erfahrung geworden? Nicht mehr als ein Forschungslabor für den digitalen Kapitalismus? Diedrich Diederichsen spielt den Gedanken am Stroboskop durch. «Jene die fixen Objekte der Lächerlichkeit preisgebende und die eigene Leichtigkeit ermöglichende Lichtpolitik (…) befreit die Sinne nicht mehr, sondern bereitet sie, so meinen zumindest Pessimisten, auf die Reaktionszeiten neuer Technologien vor.»

Pessimismus ist auch angebracht beim zweiten Beweggrund der psychedelischen Erfahrung: dem Sex. Kurator Grunenberg übernimmt Dave Hickeys enthusiastische Definition, wonach die psychedelischen Künste «Komplexität über Schlichtheit stellen, das Muster über die Form, die Wiederholung über die Komposition, das Weibliche über das Männliche, das Geschwungene über das Geradlinige und das Fraktale, das Differentielle und das Chaotische über die euklidische Ordnung». Klingt gut, aber: Wer stellt hier welches Weibliche über welches Männliche? Wer? «Contraband 1969», der farbige Teppich aus gegossenem Latex von Linda Benglis, Adrian Pipers «Alice in Wonderland», Linda McCartneys Fotos - und weiter? Produzierende Frauen sind in der psychedelischen Kunst nicht weniger unterrepräsentiert als in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens dieser Zeit. Welches Weibliche? Als Objekte sind Frauen in der psychedelischen Kunst so überrepräsentiert wie ansonsten höchstens in der Pornografie oder der Waschmittelwerbung. Der nackte Frauenkörper dient als allfällige Chiffre für jedwede Befreiung, als Symbol einer nicht näher definierten sexuellen Revolution. «What- ever the product, sex sells»: Was auch immer dein revolutionäres Anliegen sein mag, du verkaufst es besser mit einer nackten Frau auf dem Cover. Für «Dig: Neue Bewusstseinsmodelle» posieren zwei nackte Blondinen auf dem Buchtitel. «Song: Zeitschrift für progressive Subkultur» zeigt einen langhaarigen Mann auf einem Stuhl sitzend mit Geigenbogen in der Hand, allein, er streicht damit keine Bassgeige, sondern den nackten Arsch einer blonden Dame. Blondinenwitze dieser Art sind keine Seltenheit. Und war nicht eine der beliebtesten Parolen auch eine Art Herrenwitz: Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment. Oder gabs den Spruch auch mit «demselben»?

Offenbar trägt eine beschleunigte Zeit wie der «Summer of Love» ihren künftigen Backlash schon in sich: Sexploitation und Sexismus im Namen von Libertinage und sexueller Revolution; Selbstausbeutung und Selbstoptimierung im Namen von Droge und Bewusstseinserweiterung. Um das zu verstehen, muss man den «Summer of Love» aus dem Zeittunnel rausholen.


«Summer of Love. Psychedelische Kunst der 60er Jahre». Schirn-Kunsthalle, Frankfurt. Bis 12. Februar. Vom 12. Mai bis 3. September in Wien. Katalog: Hatje Cantz Verlag. Ostfildern 2005. 49 Franken; in der Ausstellung Euro 29.80.