Sans-Papiers: Süsse Hoffnung

Nr. 33 –

Wir wollen doch alle dasselbe hier in der Schweiz, sagt Dulce: arbeiten, leben, Kinder erziehen und glücklich werden.

Dulce Esperanza will ich mich nennen, süsse Hoffnung. Es ist die Hoffnung, dass ich hierbleiben kann, in der Schweiz, wo ich seit zehn Jahren lebe, in Basel, wo meine zwei Kinder aufwachsen. Ich lebe hier, obwohl ich keine Papiere habe. Die paar Mal, als ich in Bolivien zu Besuch war, habe ich mich nach der Schweiz verzehrt, ich wollte nichts sehnlicher als zurück nach Hause.

Basel ist mein Daheim, obwohl ich mich hier jahrelang verstecken musste. Ich bewegte mich kaum in der Öffentlichkeit, ging von der Arbeit als Putzfrau immer direkt nach Hause. Wenn ich einkaufen musste, besorgte ich jedes Mal so viel, dass ich möglichst lange nicht mehr aus dem Haus musste. Ich machte einen grossen Bogen um Telefonkabinen, denn da geraten die meisten Sans-Papiers in Polizeikontrollen. Meinen Kindern habe ich immer gesagt: «Ihr seid legal in der Schweiz, euch kann nichts passieren, nur ich bin illegal.» Ich tat dies, damit sie meine Angst nicht teilen mussten, damit sie ihre Freundinnen und Freunde in der Schule nicht anlügen mussten. Seit April wissen sie aber, dass auch sie keine Papiere haben. Jemand hat mich angezeigt. Ich weiss nicht, wer es war. Die Polizisten standen plötzlich vor der Tür. Sie nahmen mich und meine sechzehnjährige Tochter Daniela mit. Sie waren sehr liebenswürdig, die Polizisten. Ich hatte zum ersten Mal keine Angst vor ihnen, obwohl es auch erstmals wirklich gefährlich für mich wurde. Einer sagte sogar zu mir: «Warum heiraten Sie nicht einen Schweizer, damit Sie hierbleiben können?» Dazu raten mir übrigens auch meine Kinder. Aber ich weiss nicht, wen ich heiraten soll. Wenn du keine Papiere hast, hast du ja auch kaum Gelegenheit, Schweizer kennen zu lernen. Ich habe ein paar Freunde, aber das sind ebenfalls Sans-Papiers, oder sie haben bereits eine Familie. Und ich hätte auch Angst um meine Tochter, wenn ein fremder Mann ins Haus kommt. Sie musste in Bolivien schon genug durchmachen.

Jetzt warten wir drei auf den Entscheid aus Bern. Ich hoffe, dass die Behörden mein Dossier gut anschauen, dann werden sie erkennen, dass ich nach Basel gehöre.

Zuerst wollte mich die Fremdenpolizei nach der Kontrolle wegschicken. Sie sagten, ich solle das Land verlassen und dort auf eine Antwort aus Bern warten. Wohin, war ihnen egal. Aber der Kanton Basel entschied dann, ich könne bleiben, bis der Bescheid komme. Das ist für mich ein gutes Zeichen.

Mein Alltag ist ein anderer, seit ich kontrolliert wurde. Denn nun ist es – wenn auch nicht legal – wenigstens offiziell, dass ich hier bin. Das heisst, ich kann mich viel freier bewegen. Ich bin schon etwas erleichtert. Angst habe ich zwar immer noch, aber jetzt vor einem konkreten Entscheid. Davor war die Angst sehr diffus, und die ständigen Sorgen schienen irgendwie grösser.

Zum Beispiel dass Marco und Daniela immer ihr Tramabonnement dabeihaben. Oder dass wir unsere Wohnung behalten können. Eine Freundin hat den Mietvertrag unterschrieben, aber wir mussten der Verwaltung mitteilen, dass sie nicht im Haus leben wird, sondern eine Familie ohne Papiere. Manchmal wollen das die Verwaltung oder die anderen Leute, die im Haus wohnen, nicht, dann müssen wir etwas anderes suchen.

Wir sind oft umgezogen. Als wir mit einer anderen Sans-Papiers die Wohnung teilten, mussten wir fast noch mehr auf der Hut sein. Einmal kam sie abends nicht heim, und ich rief sie auf ihr Mobiltelefon an. Als sie nicht antwortete, wusste ich, dass sie von der Polizei erwischt worden war, und wir räumten sofort die Wohnung, bevor die Polizei kam.

Für zehn Jahre illegalen Aufenthalts in der Schweiz musste ich eine Busse von 1900 Franken bezahlen. Ich habe sie allein bezahlt, obwohl mir viele Leute helfen wollten. Die Polizei hat gesagt, wenn ich beim Arbeiten erwischt würde, dann käme ich ins Gefängnis, für mindestens sechs Monate. Sie sagten das und wussten, dass ich arbeite, nur nicht wo.

Es gibt zwei Sorten Menschen, die Sans-Papiers beschäftigen. Die einen wollen uns ausnutzen, es sind oft selbst Ausländer. Sie zahlen sehr tiefe Löhne und wissen, dass wir nichts dagegen ausrichten können. Wenn du keine Papiere hast, musst du mit allem zufrieden sein. Du darfst dir nie mehr wünschen, als du schon bekommst.

Die anderen, die uns anstellen, sind meistens Schweizer, die uns helfen wollen. Sie zahlen einen korrekten Lohn. Die Personen, für die ich arbeite, wollen mir weiterhin denselben Lohn zahlen und zusätzlich die Sozialabgaben übernehmen, falls ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekomme.

Unsere Zukunft liegt in der Schweiz. Marco, mein dreizehnjähriger Sohn, möchte hier Medizin studieren. Er lernt auch schon Latein und ist ein sehr guter Schüler. Daniela möchte Wirtschaft studieren. Wenn es nächsten Herbst nicht klappt mit dem Eintritt ins Gymnasium, will sie die Handelsschule machen. Ihre Schulkolleginnen und -kollegen wissen immer noch nicht, dass wir alle keine Papiere haben. Falls der Bescheid aus Bern negativ ist und wir ausgeschafft werden, müssen wir es wahrscheinlich erzählen, damit man uns helfen kann. Aber so weit kommt es hoffentlich nicht.

Wenn ich bleiben darf, möchte ich etwas lernen, mit Computern zum Beispiel, oder Coiffeuse, in Bolivien habe ich auch Haare geschnitten.

Über das neue Gesetz weiss ich nicht viel, aber ich weiss, dass das Leben der Sans-Papiers nicht einfacher wird. Und auch, dass durch das Asylgesetz noch mehr Menschen versuchen werden, ohne Papiere hierzubleiben, wenn ihr Gesuch abgewiesen wird. Ich verstehe ohnehin nicht, weshalb es ein spezielles Gesetz für Ausländer braucht. Wir wollen doch alle dasselbe hier in der Schweiz: arbeiten, leben, unsere Kinder hier aufziehen und glücklich werden.