8. März: «Nicht lockergelassen»

Nr. 10 –

Was sich seit 2001 für die Frauen in der Schweiz getan hat. Und wie die Feministinnen den Wandel verkrafteten. Ein Interview mit der Historikerin Elisabeth Joris.

1986 gaben die beiden Historikerinnen Elisabeth Joris und Heidi Witzig ihren Erstling heraus: «Frauengeschichte(n). Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz». Das Buch wurde zu einem Standardwerk, erschien in mehreren erweiterten Auflagen, zuletzt im Jahr 2001.

WOZ: Vor sechs Jahren sind die «Frauengeschichte(n)» letztmals aktualisiert worden. Was wäre inzwischen zu ergänzen?

Elisabeth Joris: Was in einer nächsten Auflage vertieft werden müsste, ist die wirtschaftliche Krise. Es ist ja erst ein Jahr her, seit die Wirtschaft wieder anzieht. Die lange Rezession hat einen Stillstand gebracht und noch stärker zum Bremsen der Sozialausgaben geführt. Gespart wurde in der Erziehung, der Bildung, in Bereichen also, in denen Frauen überdurchschnittlich vertreten sind. Und sie sind vom Abbau doppelt betroffen, zum einen als Berufstätige, zum andern, weil Ansprüche auf Leistungen gestrichen worden sind: So betrifft die gegenwärtige Einschränkung der unentgeltlichen Ansprüche auf Spitexleistungen speziell Frauen, weil vorwiegend sie die Betreuung von Alten und Kranken zu Hause übernehmen, zudem sind auch die Spitexfrauen selbst von den Rationalisierungsansprüchen betroffen. Die Steuersenkungs- und Sparpolitik ist seit 2001 noch verschärft worden. Ich denke dabei vor allem an Billiglöhne und ungesicherte Arbeitsplätze.

So waren die Krisenjahre für Feministinnen ein Albtraum?

Nicht nur. Der 14. Juni 1991 wurde zum Schweizer Frauenstreiktag. Und in der Folge davon konnten die Gleichstellungsgesetze durchgesetzt werden, obwohl die Grundsätze der neoliberalen Politik bereits tonangebend waren. Diese Gesetze lagen völlig quer in der Landschaft, denn Gleichstellung bedeutet Intervention des Staates, also eine Regulierung, und dabei war damals ja gerade Deregulierung angesagt. In den Jahren nach 2000 wären Forderungen nach Gleichstellungsgesetzen nicht mehr möglich gewesen.

In den letzten Jahren wurde, nicht nur in den USA, viel vom Backlash geredet, einem Zurückdrängen der Frauenbewegung. Wie ist das in der Schweiz?

Ich bin etwas vorsichtig mit solchen Begriffen, weil sie oft aus dem Zusammenhang gerissen werden. Backlash, das ist ein Begriff aus den neunziger Jahren und wurde von den Feministinnen verwendet. Sie kritisierten, dass im Vergleich mit den siebziger und achtziger Jahren die Ansprüche der Frauen auf allen Ebenen zurückgeschraubt wurden. Wenn ich heute von Backlash rede, ist das einer, der nicht mehr so expressis verbis daherkommt. Die moderne Frau ist weitgehend akzeptiert. Es gilt als selbstverständlich, dass Frauen erwerbstätig sind, nach der Heirat weiterarbeiten und dass sie sexuelle Freiheiten haben. Auch Homosexualität ist weitgehend akzeptiert. Deshalb ist der Backlash nicht mehr derselbe wie in den neunziger Jahren. Er äussert sich für mich insofern, als Ausbau schlechthin kein Thema mehr ist. Andererseits zeigen sich nun plötzlich politische Möglichkeiten, die Frauen immer wieder eingefordert haben - wenn auch mit andern Intentionen.

Zum Beispiel?

Plötzlich wird ganz konkret darüber diskutiert, wie Mutterschaft und Berufstätigkeit von Frauen besser zu vereinbaren wären, in Deutschland wurde eine breite Debatte ausgelöst. Auch bei uns spricht man plötzlich von Kinderkrippen, von Tagesschulen, einem ganzen Päckli von Massnahmen. Wobei das nicht unter der Vorgabe von feministischen Forderungen passiert, sondern ausgehend von pronatalistischer Politik.

Was ist pronatalistisch?

Es ist eine Politik, die der Staat betreibt, um Frauen dazu zu verführen, Kinder zu bekommen. Früher wurde das aus militärischen, manchmal auch aus rassistischen Überlegungen gemacht. In Deutschland zum Beispiel mit dem 1939 eingeführten und heimlich als Karnickelorden betitelten «Ehrenkreuz» für Mütter mit fünf und mehr «arischen» Kindern.

Heute wird bevölkerungspolitisch argumentiert: Man braucht Kinder zur Sicherung der Sozialwerke. Manchmal sind auch rassistische Untertöne zu hören, in der Besorgnis darüber, dass Migrantinnen mehr Kinder haben als besser qualifizierte Schweizerinnen. Dahinter steht auch die Vorstellung, man müsse den «Brain» weitergeben, gerade gut gebildete Schweizerinnen dürften sich dem nicht entziehen.

Nun, als Feministin könnte mir das alles egal sein, wenn nur endlich die alten Forderungen erfüllt werden: Mutterschaftsurlaub, Kinderkrippen, flexible Arbeitszeiten.

Und warum ist es trotzdem nicht egal?

Da muss ich nochmals eine Schlaufe machen, anknüpfend an die neunziger Jahre, die Prekarisierung, das heisst: nicht abgesicherte Arbeitsplätze, Outsourcing, Deregulierung, Arbeit auf Abruf. Das wurde damals forciert, und zwar auf allen Stufen, von der schlechtest bezahlten bis zur höchst spezialisierten Arbeit. Diese Prekarisierung war sicher ein Rückschritt, ein Backlash also. Denn Flexibilisierung, auch so ein zentraler Begriff aus den neunziger Jahren, ist eine ältere Forderung der Feministinnen. Sie verlangten, dass auf dem Arbeitsmarkt die Lebenszyklen von Frauen berücksichtigt werden müssten. Das ist eine wichtige Forderung, Flexibilisierung im Sinn von Deregulierung hingegen bedeutet: verfügbar sein rund um die Uhr.

Freisinnige und Wirtschaftsverbände setzen sich für Kinderkrippen ein, mit dem Argument, man habe so viel in die Ausbildung der Frauen investiert, dass sie tatsächlich erwerbstätig sein sollten. Was bedeutet das aus feministischer Sicht?

Das ist auch so etwas Zwiespältiges. Man kann dies wie der Freisinn sehen, als eine Erleichterung für privilegierte Frauen und ihre beruflichen Karrieren. Argumentiert wird vor allem ökonomisch - Ausbildungen sollen sich lohnen -, und es wird auch verlangt, dass nicht nur der Staat zu diesen Erleichterungen beitragen soll, sondern auch die einzelnen Familien. Denn es soll ja nicht allzu viel kosten, damit Steuersenkungen tatsächlich durchgesetzt werden können.

Wenn ich vorhin gesagt habe, als Feministin könnten mir solche Gründe egal sein, heisst das nicht, dass ich mich diesem Diskurs unterordnen muss. Wir sollten es nicht aus den Augen verlieren: Sehr vieles, was Feministinnen früher gefordert haben, wird inzwischen als altmodisch, als konservativ bezeichnet.

Wir haben von der Flexibilisierung gesprochen, die pervertiert wurde. Gibt es weitere Beispiele?

Ja, die Verlangsamung. In den neunziger Jahren gab es, zusammenhängend mit dem Börsenboom, der New Economy, aber auch mit der neoliberalen Politik diese völlige Ökonomisierung der Welt. Und die Frage von Arbeitsteilung, von Reproduktion, das war kein Thema mehr. Der Mensch hatte rund um die Uhr flexibel zu sein, für die Wirtschaft, die Arbeit. Inzwischen ist man ein Stück weit von dieser Auffassung abgekommen, aber nur, weil es bei Führungskräften zu Burn-outs kommt.

Das heisst, die Verlangsamung wird nicht als Menschenrecht gesehen, sondern als schiere Notwendigkeit zum Regenerieren. Weil man ausrechnet, dass es für die Wirtschaft zwar gut ist, wenn jemand zu hundert Prozent arbeitet - was ja auch erwartet wird -, aber dass auch verhindert werden müsste, dass man keine Ideen mehr hat. So gesehen ist es rentabler, etwas Flexibilität zuzulassen, Auszeiten für Führungskräfte zum Beispiel. Als ob gewöhnliche Leute nicht ausgebrannt wären. Menschen beispielsweise, die für Billiglöhne oder auf Abruf arbeiten.

Zurück zur freisinnigen Debatte über Kinderkrippen, Tagesschulen, das ganze Päckli. Was ist aus feministischer Sicht davon zu halten?

Gegen Kinderkrippen und Tagesschulen gibt es nichts einzuwenden. Doch im freisinnigen Diskurs scheint es mir vorwiegend um Karrieremöglichkeiten von qualifizierten Frauen zu gehen. Alles andere, die Abhängigkeiten in der Wirtschaft, die undemokratischen Arbeitsverhältnisse, das Lohngefälle, das ist kein Thema. Es geht, wenn wir jetzt mal von einem simplen Geschlechterverhältnis ausgehen, bei solchen Diskursen um Werte, die männlich definiert sind: Kampf, Führung, Effizienz, Leistungsträger - das wird absolut positiv gewertet. Ein Wort wie Gerechtigkeit kommt in diesem Vokabular nicht vor. Fragen von Mitbestimmung werden schon gar nicht mehr gestellt. Und ein Wert wie Solidarität gilt als total veraltet.

Wieso sind Gerechtigkeit und Solidarität weibliche Werte?

Nehmen wir die SVP, sie hat ein Weltbild geschaffen, das Werte wie Gerechtigkeit und Solidarität als veraltet konnotiert. In ihrem Slogan mokiert sie sich über die Linken und die Netten. Damit geht es auch um die Entwürdigung von ebensolchen Werten wie Gerechtigkeit und Solidarität. Diese Entwürdigung, die Verhöhnung von sogenannten Gutmenschen, ist daher auch eine Entwürdigung von sogenannt weiblichen Werten. Interessant ist ja, dass diese Werte, auch von der SVP, im Privatbereich sehr erwünscht sind. Da soll man durchaus nett sein, Gutes tun, freiwillig und unentgeltlich. In der Öffentlichkeit aber werden Gutmenschen als idealistisch verhöhnt, als naiv, als konservativ. Grad wenn man solche Wörter unter dem Gender-Aspekt betrachtet, ist es nicht zufällig, dass sie von der SVP aufgegriffen wurden, als ein moderner Kampfbegriff, der auf die Gleichstellung abzielt und etwas Entscheidendes kaschiert: Sozialleistungen werden privatisiert und implizit zur Privatsache der Frau. Und das Verheerende ist, dass solche Weltbilder sehr breit übernommen werden, im Sinne von Fortschrittlichkeit gegen die Konservativen, gegen Gerechtigkeit und Solidarität. Und dass nicht reflektiert wird, dass es dabei - ich sage das als Historikerin - auch um Männlichkeit und Weiblichkeit geht, den Gegensatz von privat und öffentlich, von bezahlt und unbezahlt. So gesehen handelt es sich um einen Backlash, aber sehr subtil und in andern politischen Zusammenhängen: Es geht um eine Entsolidarisierung des Staates, ums Aushöhlen, Kaputtsparen.

Wie kann dieser Entwürdigungsmechanismus durchbrochen werden?

Es handelt sich wie gesagt historisch gesehen um männlich und um weiblich konnotierte Werte. Aber es wird immer mehr berufstätige Frauen geben, die solche Verhöhnungen nicht akzeptieren, auch nicht die einseitige Zuweisung von solidarischem Verhalten in den Bereich des Privaten.

Gibt es bereits Anzeichen dafür?

Ja. Wenn man untersucht, wie Frauen wählen. Wie die FDP neue Frauen ansprechen möchte, ebenso wie die CVP. Wenn beide Parteien verhindern möchten, dass ihre Wählerinnen scharenweise zu den Grünen abwandern. Der SVP ist das wurst. Sie hat, als grösste Partei, 55 Nationalräte und 3 Nationalrätinnen, was ja eigentlich nicht haltbar ist.

Und die Liberalen?

Auch eine Partei wie die FDP wird merken, dass wir ohne Solidarität nicht leben können. Und es gab ja schon in den neunziger Jahren, im Zusammenhang mit dem Gleichstellungsgesetz, Diskussionen über häusliche Gewalt, über Vergewaltigung in der Ehe, über sexuelle Ausbeutung. Da gab es eine Aufweichung von Positionen des Mainstreams, und mir scheint, dass trotz Backlash und Verhärtung in der Emigrationspolitik nun doch eine gewisse Offenheit in Diskussionen über Themen wie Frauenhandel zu spüren ist. Das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Das ist ein positives Zeichen. Dass man sich jetzt zumindest überlegt, dass die Problematik mit der Ausschaffung von illegalen Prostituierten nicht gelöst ist.

Das zeigt doch auch, wie wichtig es ist, dass der feministische Diskurs nicht vom reinen Blick auf die Schweiz erstickt wird?

Unbedingt. In den achtziger Jahren war «Sex and Race» für die Feministinnen ein wichtiger Schwerpunkt. Themen gäbe es genug: Billiglöhne, Migration, Globalisierung aus feministischer Sicht. Ich habe vorhin die Diskussionen über den Frauenhandel erwähnt, weil da in den letzten Jahren tatsächlich ein Umdenken stattfindet, was auch das Resultat der Arbeit jener oft verspotteten Altfeministinnen aus den siebziger und achtziger Jahren ist. In einem bezeichnenden Sinn.

Warum bezeichnend?

Sie haben nicht lockergelassen. Und es ist auch Knochenarbeit geleistet worden, vor allem vom Fraueninformationszentrum Zürich und dem Beratungszentrum Castagna. Das sind feministische Projekte, die aus Freiwilligenarbeit entstanden sind. Obwohl das selbstverständlich nie so deklariert wurde, sondern als feministisches Engagement oder gar als Kampf gegen den patriarchalischen Staat. So hat es begonnen, dann hat eine Professionalisierung eingesetzt, und da setzt sich jetzt etwas durch, was ohne den sogenannt altfeministischen Kampf kaum möglich gewesen wäre.

Wird es in nächster Zeit für Frauen wieder Fortschritte geben?

Schwer zu sagen. Für junge Frauen ist es selbstverständlich, dass sie erwerbstätig sind, auch wenn sie Kinder haben. Es geht ja gar nicht anders, weil inzwischen zwei Einkommen nötig sind. Und ich glaube auch, dass es auf Dauer nicht möglich ist, Feministinnen als konservativ zu diffamieren. Eine Freundin erzählte mir kürzlich, dass ihre Enkelin sich sehr für feministische Aktionen aus den siebziger Jahren interessiert und aus erster Hand gewissermassen mehr darüber erfahren wolle. Da sind wir plötzlich nicht mehr die veralteten Tanten, sondern sehr sexy, wie das heute heisst.


Elisabeth Joris

Elisabeth Joris ist Mittelschullehrerin und freischaffende Historikerin. Letzte Veröffentlichung (herausgegeben mit Katrin Rieder und Béatrice Ziegler): «Tiefenbohrungen. Frauen und Männer auf den grossen Tunnelbaustellen der Schweiz 1850 -2005». Zurzeit arbeitet sie an einem Ausstellungsprojekt zu diesem Thema und an einer Doppelbiografie einer Pädagogin und einer Homöopathin aus dem 19. Jahrhundert. Sie lebt in Zürich, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. «Frauengeschichte(n)» ist im Limmat-Verlag erschienen.