Blocher und die Medien: Wir sind auch das Volk

Nr. 34 –

Ein Bundesrat, der alles einreissen will, was eine Demokratie ausmacht. Und eine Presse, die immer wieder gezwungen ist, über ihn zu berichten.

Eigentlich galt in der Redaktion ein stiller Konsens, dass dieser Mann nichts mehr auf unserer Titelseite zu suchen hat - aus der Erkenntnis heraus, dass jede Reaktion auf seine Polemiken ihn noch stärkt. Blocher erklärt die Jugendkriminalität zum «Balkanproblem», er will die Verfassung ändern, wenn sie ihm grad nicht passt, attackiert das Bundesgericht, die Anti-Rassismusstrafnorm, die Menschenrechtskonvention oder das Völkerrecht ganz allgemein. Da ist einer daran, alles einzureissen, was eine liberale Demokratie ausmacht: Sie respektiert die Gewaltenteilung, unabhängige RichterInnen und Grundrechte - also nichts Revolutionäres, nur einige Grundsätze, die einen Rechtsstaat von einem Unrechtsstaat unterscheiden.

Niemand scheint dem Justizminister Paroli bieten zu können, keine Experten, keine Journalistinnen, keine Politikerinnen, keine Bundesräte, keine Künstler, keine Schriftstellerinnen. Die einen sagen, er habe ja schon ein bisschen recht. Die anderen schweigen, weil sie nicht in den Gutmenschenverdacht geraten wollen, oder sagen sich, dass sie nicht Teil dieses bösen Spiels sein möchten. Aber wir alle, die in diesem Land leben, sind bereits Teil davon, nur ist es kein Spiel mehr.

Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin hat vor kurzem eine Studie veröffentlicht, in der er die Mechanismen des Rechtspopulismus detailliert beschreibt. Er hat rechtspopulistische Strömungen in ganz Europa untersucht und sich auch mit der SVP beschäftigt. Einleitend stellt er zum Beispiel fest: «Die populistische Basiserzählung ist im politischen Tagesgeschäft stets darauf ausgerichtet, die immergleiche Konfliktlinie zu aktualisieren: das Volk und sein (populistisches) Sprachrohr gegen die Eliten und deren 'Günstlinge', will heissen: wir gegen die anderen.»

Die Rechtspopulisten würden aber die «Wir-Gruppe» nicht nur gegen «die da oben», sondern häufig auch gegen ein nicht zum eigenen Volk zählendes «Aussen» abgrenzen.

Der hiesige Justizminister tut das in jeder Rede, in jedem Interview. In der letzten «Samstagsrundschau» auf Radio DRS sprach er zum Beispiel mehrmals von «der Expertokratie, den Professoren, die kei Landslüt im Sinn vom Rütlischwur» seien und deshalb kein Recht hätten, sich in Gesetzesfragen einzumischen. In jedem zweiten Satz sprach er «vom Volk» oder vom «Volkswillen» und bezeichnete sich als «Landesvater», womit er dieses «Wir-Gefühl» herstellte. Oder wie es Geden umschreibt: Der Rechtspopulist stellt sich als einziger legitimer Vertreter «des Volkes» dar, der «dem Volk» (das für «das Gute» steht) wieder zu einer Stimme verhilft.

Dieses Prinzip von «wir, die Guten», gegen «die anderen, die Bösen», funktioniert aber nur, wenn ein Rechtspopulist mit permanenten Regelverstössen seinen SympathisantInnen signalisieren kann, dass er nicht zu «den anderen» gehört. Und das ist es genau, was der Justizminister unablässig tut und offensiv thematisiert. In der «Samstagsrundschau» sagte er, er bekomme oft zu hören «Sie sind Bundesrat, Sie dürfen ja jetzt auch nicht mehr sagen, was ist», und fügte sofort an, es sei sein Auftrag, Missstände aufzudecken und dagegen anzugehen, wenn die Experten ihre Macht ausdehnten zulasten des «Gesetzgebers Volk», was den Experten natürlich gar nicht gefalle. Es ist übrigens unmöglich, ihn präzise zu zitieren, da er ausgeprägt holprig spricht und kaum einen Satz richtig beendet - womit er das Gefühl «Hier spricht ein Mann des Volkes» gekonnt verstärkt.

Geden geht in seiner Analyse auch auf die Rolle der Medien ein und konstatiert nüchtern, für die Rechtspopulisten sei es nicht relevant, ob sie positiv dargestellt würden, selbst eine Dämonisierung nütze ihnen. Wichtig sei für sie, «überhaupt von den Medien beachtet zu werden. Denn dies zwingt sowohl die etablierten Parteien als auch zivilgesellschaftliche Akteure, gegenüber dem Rechtspopulisten Position zu beziehen.»

Und da wird es vertrackt, weil sich - wie Geden schreibt - das Handeln rechtspopulistischer Akteure strikt auf den Konflikt, nicht auf den Konsens hin orientiere: «Sie sind nicht an langwierigen Aushandlungsprozessen interessiert, wie sie für pluralistische Demokratien charakteristisch sind.» Womit sie grundsätzlich und fundamental jeden Versuch, Lösungen zu finden, konsequent unterlaufen. Vielmehr missbrauchen sie die angeprangerten «Missstände», um das Gefühl «Das Volk ist Opfer» zu kultivieren. Täter sind dann immer «die anderen». Und damit kommt etwas in Gang, was als Dramadreieck bekannt und gefürchtet ist, weil es verheerende und verwirrende Konflikte auslöst und man plötzlich nicht mehr weiss, wer Opfer und wer Täter ist. Der Justizminister beherrscht dieses Spiel perfekt, permanent tritt er im Namen «des Volkes» als Anwalt der Opfer auf und bezeichnet die Täter: die kriminellen Asylanten, die Sozialschmarotzer, die fremden Vögte - um dem Ganzen Dynamik zu verleihen, illustriert er die «Missstände» mit extremen Einzelfällen. Die Medien berichten darüber und sitzen bereits in der Falle: Wenn sie nämlich versuchen, nüchtern zu relativieren und die aufgeworfene Problematik differenziert anzugehen, distanzieren sie sich von den angeblichen Opfern und gehören zu «den anderen», sind Freunde der Täter, Gutmenschen, und bestätigen die Opferrolle «des Volkes». Signalisieren sie Verständnis für die aufgeworfene Problematik, interpretiert dies der Rechtspopulist sofort als Zustimmung und wird laut verkünden, selbst jene liberale Zeitung habe die Missstände eingeräumt - und die Opferrolle «des Volkes» ist erneut bewiesen.

Intellektuelle, Politikerinnen oder Experten, alle sitzen in dieser Falle: Egal, wie sie reagieren, sie dienen immer der Opferdemagogie zu. Dieser Art von Kommunikation ist eigentlich kein anständiger Mensch gewachsen.

Doch Schweigen wäre falsch. Wir wollen keinen Bundesrat, der sagt, es wäre besser, «die Regierung und das Bundeshaus in die Wirtschaften zu verlegen und damit die Obrigkeit unter die Kontrolle des Stammtisches zu bringen». Wir sind auch das Volk. Wir wollen Demokratie und Rechtsstaat. Wir sagen, es reicht. Wir haben genug von diesem Drama.