Scheinwelt Fussball: Ist St. Gallen noch zu retten?

Nr. 46 –

Wie viel Einfluss haben Investoren auf den Fussball? Wie viel haben Sportchefs zu sagen? Was in den letzten Wochen beim FC St. Gallen abgelaufen ist, lässt Ungutes erahnen.

Am Schluss - der FC St. Gallen lag seit Wochen am Tabellenende - musste Sportchef René Weiler über sich im «Blick» lesen, er genüge höchstens zur Sekretärin. Gesagt hatte dies Edgar Oehler, der Namensgeber des neuen Stadions, ein Investor, der, wie er selbst sagt, von Fussball keine Ahnung hat. Trotzdem wurden seine Worte gehört. Obwohl Weiler mit Koubsky, Aguirre, Callà, Gelabert, Garat und Gjasula talentierte Spieler nach St. Gallen geholt hatte, hiess es, die Transferpolitik des Sportchefs sei schuld an der sportlichen Misere des FC St. Gallen. Dies, obschon vor der Saison das Kader von Fussballexperten und Medien als «sehr gut» eingestuft worden war und Weiler dafür gesorgt hatte, dass Goalgetter Alex Tachie Mensah blieb. Und er habe zwei Jahre zuvor dafür gesorgt gehabt, dass Daniel Imhof ein weiteres Jahr geblieben wäre.

Es war das erste Mal, dass René Weiler den höheren Mächten des FC St. Gallen in die Quere kam. Kurz nach Amtsantritt war er mit der Aufgabe betraut worden, für die folgende Saison eine schlagkräftige Mannschaft zusammenzustellen. Eine wichtige Rolle gedachte Weiler dabei Defensivmann Imhof zu. Was bisher nicht bekannt war: Weiler gelang es, Daniel Imhof trotz Angeboten aus dem Ausland zu überzeugen, ein weiteres Jahr in St. Gallen zu bleiben und dem Team als Captain zu helfen. Einen Tag später erfuhr Weiler vom Transfer Imhofs zum VfL Bochum. Der Spieler wurde hinter dem Rücken des Sportchefs, der obersten sportlichen Kompetenz im Verein, verkauft. Wie es zu einem solchen Deal kommen konnte, wer ihn einfädelte, wer davon profitierte, ist unklar.

Ein Name, der in St. Gallen immer wieder zu hören ist, wenn es um Einflussnahme von aussen auf den FC geht, ist Peter Stadelmann. Der heutige Chef der Swiss Football League (SFL) war Sportchef des FC St. Gallen, als dieser im Jahr 2000 Meister wurde. Stadelmann gilt als einer, der mit all seinen Nachfolgern Mühe hatte, mit den geschassten Tino Osta, Andy Egli und schliesslich mit René Weiler, zu dessen heftigsten Kritikern Stadelmann gehörte. Als Ligaboss darf der grosse St.-Gallen-Fan beim Club zwar kein offizielles Amt mehr bekleiden, er ist aber nach wie vor Beirat des FC und übt laut Insiderkreisen erheblichen Einfluss auf Präsident Dieter Fröhlich aus.

Stadelmann ist an Spieltagen denn auch regelmässig in den Katakomben des St. Galler Stadions Espenmoos anzutreffen und hat überall Zutritt. Seine Einflussnahme kommt nicht überall gut an. Auch mit Meistertrainer Marcel Koller hatte er sich 2001 überworfen: Im Europacupspiel auswärts gegen Bukarest setzte Koller den Rumänen Ionel Gane auf die Bank. Stadelmann beschwerte sich und wollte es verhindern. Koller blieb stur. Seine Mannschaft qualifizierte sich für die nächste Runde. Als Stadelmann danach in der Kabine zum allgemeinen Handshake ausholte, verweigerte Koller. Nach drei Jahren hatte der Trainer nicht zuletzt die ständigen Misstrauensvoten und Reibereien mit seinen Vorgesetzten satt. Er verliess den Klub trotz Erfolg ohne Wehmut Richtung Zürich.

Fünfter Trainer in fünf Jahren

In der fussballverrückten Ostschweiz sind die Bilder noch präsent, als sich die Spieler des neuen Schweizer Fussballmeisters im Frühsommer 2000 durch die Gassen zwängten, hoch auf einem Wagen, inmitten einer jubelnden Masse. 96 Jahre hatten die Ostschweizerinnen und Ostschweizer auf diesen Moment gewartet, warten müssen. Die Statue des Reformators Vadian beim Marktplatz hätten sie damals am liebsten durch eine von Marcel Koller ersetzt. Eine nur annähernde Verehrung blieb seinen Nachfolgern verwehrt. Im Gegenteil. In St. Gallen scheiterten seit 2002 die Trainer Gérard Castella, Heinz Peischl, Ralf Loose, Rolf Fringer, die sportlichen Leiter Tino Osta, Andy Egli, René Weiler. Alle wurden als Sündenböcke gebrandmarkt und mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt. Geblieben ist - bis jetzt - der Führungszirkel um Präsident Dieter Fröhlich samt seiner Entourage. Die Zeichen, dass diese Art von Politik langfristig zum Erfolg führt, stehen eher schlecht.

Und in St. Gallen genügt nach wie vor ein überstürzter und teurer Trainerwechsel, um die negative Stimmung ins Positive zu kehren. Richten soll es zurzeit der fünfte Trainer in fünf Jahren, Krassimir Balakov. Man glaubt wieder an den Erfolg, wobei die Experimente nicht günstiger werden. Balakov, der bei GC offenbar noch eine halbe Million Franken zugute hatte, soll beinahe so viel kosten wie Sportchef Weiler und Trainervorgänger Rolf Fringer zusammen.

Dieser war im Frühjahr 2006, wie Balakov heute, verpflichtet worden, um den FC St.Gallen vor dem drohenden Abstieg zu retten. In der nachfolgenden Spielzeit führte Fringer die Ostschweizer bis zur Winterpause auf den dritten Rang. Doch dann trat ein, was bei all seinen Vorgängern nach der Ära Koller eintrat: Erfolglosigkeit. Bis zu seiner Entlassung gereichte es ihm seit Jahresbeginn in 30 Spielen nur zu 7 Siegen. Offenbar hatte er den Blick für das Wesentliche verloren. Der Trainer verbrachte mehr Zeit damit, sich mit dem Umfeld abzugeben als mit der Mannschaft.

Für den Misserfolg hagelte es jedoch vor allem Kritik am Sportchef, wobei vergessen ging, dass dieser versucht hatte, Fringer auf verschiedene Schwachstellen hinzuweisen. Zum Beispiel, dass mehr trainiert werden müsse. Fringer nahm jedoch schnell seinen Sportchef nicht mehr als Vorgesetzten wahr. Er hatte bald gemerkt, mit wem er in St. Gallen auf gutem Fusse zu stehen hat. Um den Sportchef musste er sich nicht bemühen. Mit seiner jovialen Art brachte Fringer erwaltungsratsmitglieder, Beiräte, Donatoren, Sponsoren, Journalisten und Fans bald einmal hinter sich. Mit Eugen Mätzler, ehemaliges Vorstandsmitglied des FC, Präsident der Lizenzkommission der SFL und ein wichtiger Verbindungsmann zu privaten GeldgeberInnen, spielte Rolf Fringer Golf. Letztlich, als sich Niederlage an Niederlage reihte, musste Fringer im Oktober, wenige Tage vor der Absetzung Weilers als Sportchef, den Club verlassen.

Weiler hingegen, der junge Zürcher, wurde als arrogant wahrgenommen. Und immer wieder heftig angegriffen. Edgar Oehler schoss auf ihn, wobei sich kaum einer in der Ostschweiz die Frage stellte, warum einer, der keine Ahnung von Fussball hat, sich ausgerechnet in den Sportchef verbeisst und den Trainer noch in Schutz nimmt. Wer gab ihm den Tipp?

Der Adeshina-Deal

Obwohl Weiler trotz Fehleinkäufen (Mittelfeldmann Méndez wurde als Star verkauft, es kam höchstens Durchschnitt) zweifelsohne meistens ein gutes Gespür für neue Spieler zeigte, wurde er immer massiver kritisiert. Auch als er einen Stürmer verpflichten musste: Weiler wollte den 24-jährigen Topscorer Alade Adeshina von Bellinzona verpflichten, nachdem sich Alex Tachie Mensah schwer verletzt hatte. Tessiner Medien war zu entnehmen, der Nigerianer sei rund 700000 Franken wert. Weiler kam, gemeinsam mit Trainer Fringer, zum Schluss, dass der Spieler unter Berücksichtigung seiner Stärke, des Verhandlungszeitpunktes und der Notsituation diese Summe wert sei. Doch der Verwaltungsrat, ein vierköpfiges Gremium, stimmte gegen seinen Sportchef. Adeshina, der benötigte mögliche Goalgetter, wechselte darauf zum FC Sion, und St. Gallen verpflichtete stattdessen zwei Alternativen, die kaum welche waren. Für diesen Entscheid hagelte es in der Öffentlichkeit massive Kritik an Weiler. Allerdings nicht am Verwaltungsrat. Und dieser stellte die Sache nicht richtig.

Es herrscht der Eindruck, dass hinter der eigentlichen Führung des FC St. Gallen ein Schattenkabinett existiert. Dessen Einfluss scheint grösser, als für den Verein gesund ist. Die Probleme sind seit Jahren dieselben.

So würde es nicht verwundern, wenn auch der neue Trainer Krassimir Balakov in St. Gallen letztlich nicht an seinen Fähigkeiten scheitern würde, sondern an der Tatsache, dass beim FCSG zwar alle mit demselbem Ziel am Strick ziehen, aber in verschiedene Richtungen.

Wem gehört Callà?

Wer steht wo? Wer verdient woran? Wie mächtig darf ein Sportchef sein? Dass die Dinge manchmal seltsam oder zumindest für Aussenstehende unverständlich laufen, zeigt sich an folgendem, bisher ebenfalls im Detail nicht bekanntem Beispiel: Den heute mittlerweile 23-jährigen Mittelfeldspieler Davide Callà löste der FCSG im Winter 2004/05 zusammen mit Eric Hassli (dieser wurde später für über eine Million Franken verkauft) aus der Konkursmasse des FC Servette Genf. Die Investitionskosten beliefen sich gemäss Aussagen des Beraters auf lediglich rund 100 000 Franken. Mit Erstaunen stellt man heute fest, dass Callà nicht etwa grösstenteils dem FC St. Gallen gehört. Lediglich rund ein Viertel gehört dem Verein. Ein weiterer Teil gehört dem Berater und dem Spieler, die restlichen Anteile sicherten sich anscheinend Investoren, die bei einem allfälligen Transfer profitieren. Ihre Namen sind nicht bekannt.

Rollen in St. Gallen bald wieder Köpfe? Intrigiert Peter Stadelmann wirklich ständig gegen seine Nachfolger? Was wäre sein Motiv? Ist der FC mit derartigen nicht transparenten, offenbar erheblichen Einflussnahmen zu retten?

Vielleicht waren ja zumindest die Differenzen zwischen Ligaboss Peter Stadelmann und Sportchef René Weiler bloss persönlicher Natur und für Weilers Entmachtung gar nicht ausschlaggebend. Ein Grund für die Differenzen könnte sein, dass Weiler, als er nach St. Gallen kam, als Erstes eine seltsame Sitte unterband: Die geheimen und vertraulichen Spielerverträge waren beim FC bis dato von einer Frau aufgesetzt worden, die beim Verein keinerlei Funktion innehatte, sondern einfach ein Fan war: Rosemarie Stadelmann. Peters Frau.