Flipper: Die Party am Rand der grossen Leere

Nr. 35 –

Die Punk-Band aus San Francisco hat eine grossartige Vergangenheit hinter sich. Über ihre Gegenwart breiten wir den Schleier des Vergessens.


«Love», das Mitte Juli erschienene Album der bereits zum zweiten Mal wiedervereinigten Band Flipper kann man natürlich erwähnen. Besprochen wird diese uninspirierte Rockscheibe hier aber nicht. Mitte der achtziger Jahre war die grosse Zeit des legendären Quartetts vorüber. Was danach auch kommen sollte, es taugte nicht viel. Oder gar nichts.

Das Ende der Welt

Der Tod von Sänger und Bassist Will Shatter im Dezember 1987 nahm die Auflösung vorweg. Er starb den klassischen Rock-’n’-Roll-Tod: an einer Überdosis Heroin. Drei Jahre zuvor war «Gone Fishin’» erschienen, die düsterere und experimentellere von zwei sehr guten Studioplatten dieser ebenso radikalen wie schwer unterhaltsamen Band aus der Hippie- und Spinnerzentrale San Francisco. Von dort kamen noch weitere vom grenzüberschreitenden Wahnsinn gesegnete Gruppen: die LSD-Acid-Punks Chrome, die grossen Kunst-Cabaret-Experimentatoren Tuxedomoon und die notorischen Versteckspieler Residents.

Bruce Lose, der zweite Flipper-Sänger, ebenfalls Bassist – daher der fantastisch dumpfe Boller-Sound – und «polymorpher Drogenfresser» (Simon Reynolds im Post-Punk-Buch: «Rip it up and Start Again») mit Hang zu reichlich übertriebenem Amphetaminkonsum, löste die Band nach Will Shatters Tod auf.

Die Gruppe war konsterniert, der vielen Liveauftritte wegen komplett ausgebrannt und gesundheitlich schwer runtergerockt. In puncto Bühnenpräsenz konnte Lose dem charismatischen Zyniker Shatter ohnehin nicht das Wasser reichen. Lustvoller, energischer und cooler als Shatter, der ein paar Jahre zuvor noch bei der Punk-Band Negative Trend (1977–1979) die Basssaiten geschlagen hatte, besang niemand das Ende der Welt. Und so lachte («Ha-ha-ha-ha!») und rief der Mann mit den kurzen Haaren und der markanten Stimme Zeilen wie diese ins Publikum: «Ever wish the human race didn’t exist?» (Je gewünscht, dass die Menschheit nicht existiert?). Oder: «Feel so empty feel so old / Just waiting to feel the death like cold» (Fühl mich so leer und so alt / Warten bis man die Kälte des Todes spürt).

Das ist alles lange her. Gern hätte man einen ihrer frühen Auftritte erlebt – provokative Spektakel müssen das gewesen sein, bei denen schon mal ganz punkig Bierdosen um die Wette geworfen wurden, während Bassist Lose und Schlagzeuger Steve DePace das Publikum über vierzig Minuten lang mit einem möglichst monotonen Groove ärgerten. Wenn Flipper-Fan Henry Rollins über ihre Konzerte sagt, «some of the strongest and scariest shows in my short life have been Flipper shows» (einige der stärksten und erschreckendsten Konzerte in meinem kurzen Leben waren Flipper-Konzerte), glaubt man das sofort.

Doom-Punk, Noise-Funk

Geblieben sind vier tolle Alben und darauf: hypnotisch stoische, stets mit scharfen Zähnen zupackende, herrlich basslastige, mitunter schräg angejazzte Underground-Monsterhits zwischen nachtschwarzem Doom-Punk und abgründig hedonistischem Noise-Funk. Sie heissen: «Sex Bomb Baby», «Sacrifice», «Survivors of the Plague», «The Way of the World» oder «The Light, the Sound». Nicht wenigen US-amerikanischen Musikern, darunter Nirvanas Kurt Cobain, Mark Arm von Mudhoney, Melvins-Kopf King Buzzo und Henry Rollins von Black Flag, lag hörbar daran, Flippers eigensinniges Post-Punk-Erbe zu bewahren. Normalsterbliche Fans gaben sich mit weniger zufrieden, freuten sich riesig, wenn sie nach ausdauernder Suche die schwer erhältlichen Alben und ein paar Singles beisammen hatten, und malten sich das vom Konsum eines LSD-Trips am Strand herrührende Bandsymbol – einen so tot wie fies ausschauenden Krakel-Fisch – mit Marker aufs T-Shirt. So war das.

Und heute? Dürfte sich die Zahl derjenigen, die beim Namen Flipper an etwas anderes denken als an den blöden Fernsehdelphin aus der TV-Serie der sechziger Jahre, deutlich reduziert haben. Die Wiederveröffentlichungen der Studioalben «Generic» (1981) und «Gone Fishin’» (1984), der famosen Singles-Compilation «Sex Bomb Baby!» (1988) und des Livealbums «Public Flipper Limited» (1986) als CD und Vinyl (Domino/Musikvertrieb) kommen daher gerade recht. Das ist gar nicht so nostalgisch gemeint. Man sollte sie erlebt haben, diese «wilde Party am Rande der grossen Leere» (Reynolds).