Durch den Monat mit Claudia Honegger (Teil 2): Sind Frauen feige?

Nr. 10 –

Die Soziologieprofessorin Claudia Honegger hat viel über Geschlechterfragen geforscht – und hat es selbst geschafft, Kinder und Karriere zu verbinden.

Claudia Honegger vor einem Bild ihres Sohnes, des Grafikers Kai Matthiesen: «Frauenquoten? Ich weiss nicht, gesellschaftliche Probleme können selten allein mit Gesetzen gelöst werden.»

WOZ: Sie sind im Zürcher Oberland aufgewachsen. Ihrer Familie gehörten Textilfabriken in Wald, wobei die «Bleiche» lange Zeit als die grösste Weberei der Schweiz galt.
Claudia Honegger: Das ist schon eine Weile her. Das Unternehmen hat die Krise der Textilfabrikation in der Schweiz auch zu spüren bekommen. 1988 wurde die Fabrik geschlossen. Mein Bruder hat das Areal umgenutzt zu Wohnungen und Lofts und zudem die «Bleichibeiz» mit Hotel, Bad, Wellness- und Fitnessanlagen eingerichtet. Ein toller Ort! Meine beiden Söhne – Toby und Kai Matthiesen, sie tragen den Namen meines Exmannes – haben letztes Jahr ein Buch * über die Geschichte des Bleicheareals herausgegeben. Toby hat es geschrieben, und Kai, der Grafiker ist, hat es gestaltet.

Sie waren Soziologieprofessorin, haben ein Institut geleitet und gleichzeitig zwei Söhne grossgezogen. Ging das gut zusammen?
Ich bekam meine Kinder relativ spät. Ich wollte allerdings nie nur eine Karriere in der Wissenschaft machen. Es ging ganz gut zusammen, ausser am Anfang in Bern, das war ein Desaster. Aber ansonsten war ich immer sehr privilegiert. Ich hatte «eine Frau, die mir hilft»: eine Tagesmutter, ich hatte jemanden, der mir die Habilitation abgetippt hat – das war dann allerdings ein Mann –, und später Au-pairs. Ich hatte auch einen Job, der mir viel Flexibilität gewährte: Wenn meine Kinder krank waren, konnte ich auch mal zu Hause bleiben, ausser wenn ich Vorlesung oder Seminare hatte. Das waren die einzigen Termine, die ich unbedingt einhalten musste. Als Kioskfrau hätte ich es schwerer gehabt, da hätte ich meine Arbeitszeit nicht so frei gestalten können.

Was machen Ihre Söhne beruflich?
Kai, der Jüngere, hat Graphic Design in London studiert und arbeitet jetzt als Grafiker, Toby hat in Bern und London Islamwissenschaft und Politologie studiert, spricht Arabisch und Persisch und arbeitet an einer Dissertation über die Schiiten in Saudi-Arabien. Er war gerade in Bahrain, als die Revolte auf dem Perlenplatz ausbrach. Wirklich spannend, was er berichtet. Es beschäftigt mich sehr, was in den arabischen Ländern zurzeit passiert.

Beim letzten Gespräch, als wir über den Frauentag redeten, haben Sie das auch angesprochen. Was haben Sie nun am Frauentag gemacht?
Nichts Besonderes. In Bern gab es ja keine Demo. Ich hab internationale Zeitungen gelesen und verfolgt, was sich in Ägypten tut. Dann habe ich noch das Video mit Daniel Craig entdeckt: «We’re equals, aren’t we, 007?», das zum Frauentag ins Netz gestellt wurde. Der James-Bond-Darsteller verwandelt sich darin in eine Frau, während Judie Dench – die in den Bond-Filmen «M» spielt – ihn aus dem Off über Gleichberechtigung aufklärt. Ziemlich überzeugend.

Bascha Mika, die frühere Chefredaktorin der Berliner «taz», hat soeben ein Buch mit dem Titel «Die Feigheit der Frauen» veröffentlicht. Sie wirft den Frauen vor, sie stünden sich selbst im Weg – deshalb gebe es so wenig Frauen in hohen Positionen. Sind Frauen feige?
Nein, das denke ich nicht. Es gibt inzwischen in vielen Sparten mehr Frauen, doch ganz oben sind es dann doch nur wenige, kaum Rektorinnen, kaum Chefredaktorinnen. Nach oben wird es immer dünner, das stimmt. Es braucht ein sehr gesundes Selbstvertrauen oder auch ein Stück Selbstüberschätzung, um es ganz an die Spitze zu schaffen. In der Wissenschaft etwa hängt es sehr von den Disziplinen ab: In den geisteswissenschaftlichen Fächern gibt es inzwischen viele Professorinnen, auch in der Mathematik, bei den Ingenieurberufen oder in der Ökonomie hingegen stagniert es.

Sind die Frauen zu wenig hart für gewisse Branchen?
Gerade bei den Banken ... es ist nicht nur lustig, dort zu arbeiten. Es gibt dort viele Frauen, aber nur sehr wenige in den obersten Rängen. Und ganz allgemein: Es hat seinen Preis, oben zu sein und oben zu bleiben. Viele Frauen haben irgendwann genug, immer 150 Prozent zu geben. Aber selbst wenn gut ausgebildete Frauen heute aussteigen und sich eine gewisse Zeit mehr um die Kinder kümmern: Ganz fallen sie zum Glück nicht mehr raus. Es gibt ja kaum eine gut ausgebildete Frau, die es aushält, nur den Haushalt zu machen. Das ist ein Medienhype oder ein Oberschichtsphänomen: Frauen, die eine Villa unterhalten und vielen sozialen Verpflichtungen nachgehen – den anderen wird es doch zu langweilig.

Brauchen wir Frauenquoten? Mindestens vierzig Prozent Frauen in Firmenvorständen, Geschäftsleitungen, Regierungen?
Ich weiss nicht, ob das viel bringt. Die Diskussionen darüber sind natürlich immer gut. Aber ich bin keine Freundin von Verrechtlichungen – in den letzten Jahren wurde viel zu viel Unsinn gesetzlich geregelt. Gesellschaftliche Probleme können selten allein mit Gesetzen gelöst werden.

Sind Sie selbst diskriminiert worden?
Sicher war ich mit Vorurteilen konfrontiert, im Sinn von: «Dies oder das kannst du als Frau nicht oder nicht so gut.» Aber es gab auch gleichsam den «Kriegsgewinnler»-Aspekt: Ich konnte Dinge tun oder wurde in Gremien gewählt, gerade weil ich eine Frau war – also positive Diskriminierung, was aber trotzdem eine Diskriminierung bleibt.

Toby Matthiesen: Die Bleiche der Zeit. Ein Zürcher Oberländer Textilareal im Wandel. Zürich 2010. Chronos Verlag. 144 Seiten. 44 Franken