Cross Border Leasing: «Besässe die UBS einen Funken Anstand ...»

Nr. 16 –

Abseits der grossen Schauplätze liefert die UBS der Stadt Leipzig einen erbitterten Kampf. Der Rechtsstreit um 370 Millionen Franken ist ein Paradebeispiel für das, was passieren kann, wenn öffentliche Unternehmen ihr Geld im globalen Finanzkasino verzocken.


In den Alleen Leipzigs sucht man vergeblich nach einer UBS-Filiale. Fände sich eine, wäre wohl schon mehr als ein Farbbeutel gegen die Fassade geklatscht. So bahnt sich die Entrüstung in der sächsischen Kommune andere Wege. Oberbürgermeister Burkhard Jung entbrannte in einem Interview mit der «Leipziger Volkszeitung» von vergangenem Dezember in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung: «Es gilt unser ganzes Bemühen, vor Gericht die Machenschaften der kriminellen Bande nachzuweisen.» Zu der kriminellen Bande zählt Jung auch MitarbeiterInnen der UBS.

Die ungewohnte Schärfe des sonst stets auf Besonnenheit getrimmten SPD-Mannes erstaunt nicht angesichts dessen, was für Leipzig auf dem Spiel steht: Die UBS will rund 370 Millionen Franken aus der Leipziger Stadtkasse greifen, rund ein Fünftel des städtischen Haushalts.

Die Geschäftsbeziehungen zwischen der sächsischen Stadt und der UBS begannen, als Leipzig im Rahmen von sogenannten Cross-Border-Leasing-Verträgen (vgl. untenstehende Infobox) seine Trinkwasserleitungen verkaufte und zurückmietete, was ihr vorderhand Steuervorteile und freie Mittel brachte.

Auf diesem komplexen Finanzkonstrukt aufbauend, wickelte die Geschäftsführung der Kommunalen Wasserwerke Leipzig (KWL) im Juni 2006 ein surreal anmutendes Geschäft ab, das die LeipzigerInnen nun 370 Millionen Franken kosten könnte: Das durch das Cross-Border-Leasing eingenommene Geld investierte die KWL-Geschäftsführung ohne Wissen des Aufsichtsrates in hochriskante Wertanlagen, sogenannte Collateralized Debt Obligations (CDO) der UBS, also Kreditausfallsversicherungen. Durch die heimlich unterschriebenen Verträge wurde das Leipziger Unternehmen zum Kreditversicherer für die UBS und übernahm Risiken in der Höhe von 370 Millionen Franken. So bürgten die KWL unter anderem für einen Kredit, den ein Kasino in Las Vegas bei der UBS aufgenommen hatte.

Bestechungsgelder in Millionenhöhe

Das Geschäft ging eine Zeitlang gut – bis die Finanzkrise die Kredite platzen liess. Die heimlichen Geschäfte der KWL-Manager flogen auf, als die ersten Zahlungsaufforderungen der UBS in den Briefkasten der KWL flatterten.

Das war Ende 2009 und läutete den Beginn eines Wirtschaftskrimis ein, der sich noch über die nächsten Jahre hinziehen und mehrere Gerichte beschäftigen wird.

Im Januar erreichte der Konflikt einen vorläufigen Höhepunkt: Der mittlerweile entlassene KWL-Geschäftsführer sowie zwei Manager der Zürcher Beraterfirma Value Partners, die die Geschäfte mit der UBS eingefädelt hatten, mussten sich vor dem Landgericht Leipzig verantworten. Die Anklage lautete auf Bestechlichkeit, Untreue, Steuerhinterziehung und Bilanzfälschung. Der Geschäftsführer der Wasserwerke gestand während des Prozesses, mehrere Millionen Franken Bestechungsgeld von den Finanzberatern von Value Partners angenommen zu haben; im Gegenzug hatte er die CDO-Finanzwetten abgeschlossen. Alle drei Angeklagten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Leipzigs Oberbürgermeister hoffte, das Urteil würde einen Schlussstrich unter die Geschichte setzen, und wandte sich in einer Pressemitteilung an die Schweizer Bank: «Besässe die UBS einen Funken Anstand, würde sie jetzt die Konsequenzen ziehen. Ich fordere diese Banken auf: Ziehen Sie Ihre unberechtigten Forderungen zurück.»

Doch die UBS denkt nicht daran, die 370 Millionen Franken in den Wind zu streichen. Auf Anfrage hält sie kurz und knapp fest: «Die UBS hält ihre Auffassung aufrecht, dass die zwischen der Bank und KWL gemachten Transaktionen gültig sind. Die UBS und ihre Mitarbeiter haben sich gesetzeskonform verhalten.»

Die «Target List» der UBS

Leipzig ist gleich doppelt vom Prozess enttäuscht: Einerseits, weil die UBS auch nach dem Urteil Geld einfordert, das der verurteilte KWL-Mann verspekuliert hat. Und andererseits, weil die Verstrickungen der Bank in das dubiose Geschäft nicht untersucht worden sind.

Wie viel wussten die UBS-Banker von der Bestechung? Waren UBS-Angestellte direkt in die illegalen Geschäfte involviert? Diesen Fragen wollte die Staatsanwaltschaft Leipzig nachgehen und verklagte die UBS auf Untreue. Doch der Richter liess sie wegen formaler Fehler abblitzen: Er beurteilte die Anklageschrift gegen die UBS als «unzureichend und mangelhaft», weil nicht alle CDO-Verträge aus dem Englischen übersetzt worden waren. Das Gericht verlangt aber eine vollständige Übersetzung. Zudem, so hielt der Richter fest, könnten weitere Ermittlungen gegen die UBS «erhebliche Zeit dauern», was aus seiner Sicht ein Verfahrenshindernis darstelle.

Dabei haben die LeipzigerInnen durchaus Grund, an der Lauterkeit der UBS zu zweifeln: Der Initiant des Geschäfts ist ein UBS-Angestellter. Im April 2006 überreichte ein in New York tätiger Investmentbanker den beiden später verurteilten Managern von Value Partners, die er aus gemeinsamen Zeiten bei der Investmentbank der Credit Suisse kannte, eine sogenannte «Target List». Das Dokument führt rund 300 Cross-Border-Leasing-Geschäfte von Kommunen und öffentlichen Unternehmen auf. Die Finanzberater machten sich unverzüglich ans Werk und nutzten die Liste als eine Art Schatzkarte, die ihnen zeigte, welche Kommunen über wie viel freie Mittel verfügten, die sie anlegen konnten. Sie versuchten ihr Glück zunächst erfolglos in Zürich, bevor sie in Leipzig auf Gold stiessen. Die Finanzberater fädelten die für Leipzig folgenschweren Verträge zwischen dem KWL-Geschäftsführer und der UBS ein und erhielten dafür von der UBS Prämien in zweistelliger Millionenhöhe. Fünf Millionen Franken davon wendeten sie für die Bestechung des KWL-Managers auf, für die sie jetzt im Gefängnis sitzen.

Und auch später spielte die UBS eine aktive Rolle. Sie wusste beispielsweise, dass der KWL-Manager die CDO-Verträge an sämtlichen Aufsichtsgremien vorbei abgeschlossen hatte, wie eine UBS-interne Mail belegt, die das deutsche «Handelsblatt» veröffentlichte. Als dies der Bank bekannt wurde, intervenierte eine Kontrollstelle der UBS. Der riskante Handel stand auf der Kippe. Da wurde es dem New Yorker UBS-Mann, der den zwei Managern von Value Partners die Target List hatte zukommen lassen, mulmig. Er suchte die Unterstützung von oben und wandte sich an seinen damaligen Abteilungsleiter der UBS – mit Erfolg: Der einflussreiche Abteilungsleiter machte sich offenbar für den Deal stark, kurz darauf segnete die UBS den Handel ab.

Allerdings war auch dem Kadermitglied die Sache nicht ganz geheuer. In einer – ebenfalls im «Handelsblatt» publizierten – E-Mail schrieb er an den UBS-Mitarbeiter in New York: «Da könnte ein Konflikt entstehen, wenn wir sie [die Value Partners] dafür bezahlen, ihre Kunden zu beraten, mit uns Geschäfte abzuschliessen. Wenn Du möchtest, treffe ich mich gerne mit ihnen, um zu besprechen, wie UBS Value Partners helfen kann.»

Fachwissen und Charakter

Die einzige Möglichkeit für Leipzig, die Zahlung abzuwenden, besteht nun darin, zu beweisen, dass die UBS gesetzeswidrig gehandelt hat. Die Staatsanwaltschaft ging deshalb gegen das Urteil vom Januar in Berufung. Nun entscheidet der Bundesgerichtshof, ob der Fall neu aufgerollt und dabei auch die Verstrickungen der UBS-Mitarbeiter untersucht werden sollen.

Zudem sind weitere Verfahren hängig. Die UBS hat in London Klage auf die Gültigkeit der umstrittenen CDO-Verträge eingereicht, Leipzig klagt am Landgericht auf Nichtigkeit der Verträge. Da nicht zwei Gerichte denselben Fall behandeln können, befindet der Europäische Gerichtshof derzeit darüber, an welchem Ort der Prozess eröffnet werden wird.

Die LeipzigerInnen richten sich auf eine langwierige Auseinandersetzung ein. Bürgermeister Jung wetzte an einer Pressekonferenz verbal die Messer: «Ich bin kämpferisch bis in die Fussspitzen. Und was mich zusätzlich empört: Die UBS bekommt von der Schweiz einen Rettungsfallschirm von 68 Milliarden Franken. Und dann wagen die es, uns eine Rechnung zu stellen.»

Die UBS gibt sich zwar unbeeindruckt vom medialen Gepolter aus dem deutschen Osten, formulierte jedoch an anderer Stelle Selbstkritik. In ihrem Transparenzbericht von vergangenem Oktober schrieb die Bank im Kapitel über die «Notwendigkeit einer neuen Unternehmenskultur», der entscheidende Faktor im Bankengeschäft seien immer Menschen, «deren Fachwissen, aber auch deren Charakter massgebend sind»; allerdings bestehe der Eindruck, «dass nicht alle handelnden Personen in beiden Hinsichten den höchsten Ansprüchen genügten». Ein Eindruck, den die UBS auch bei den LeipzigerInnen hinterlässt.


Cross Border Leasing

Das Cross Border Leasing (CBL) ist das Leasing über Staatsgrenzen hinweg. Cross Border Leasing wurde in Europa ab den neunziger Jahren zu einer beliebten Möglichkeit für staatliche Einrichtungen, Geld zu verdienen. In der Regel verkauft eine Stadt Teile ihrer Infrastruktur – etwa ihre Trinkwasserleitungen, ihre Kanalisation, ihre Trams – für einen bestimmten Zeitraum an einen ausländischen Investor, der meist aus den USA stammt, und mietet sie für die gleiche Zeit zurück. Der US-amerikanische Investor kann die Ausgaben als Auslandsinvestitionen deklarieren und spart so Steuern. Die Stadt erhält im Gegenzug einen Teil dieser Steuerersparnisse, sozusagen als Provision. Auch die Banken verdienen am Cross Border Leasing, da sie Kredite vergeben und Transaktionsgebühren kassieren.

In der Schweiz hat beispielsweise die Luftraumüberwacherin Skyguide Anlagen im Wert von mehreren Hundert Millionen Franken einem US-Investor überschrieben. Die Trams der Stadt Zürich – ein weiteres Beispiel – gehören auf dem Papier der Bank of New York.