Durch den Monat mit Bea Schwager (Teil 3): Was verschlug Sie von Flawil nach Bologna, London und Zürich?

Nr. 37 –

Als Teenager eröffnete sie bereits einen Drittweltladen 
im Dorf: Bea Schwager von der Zürcher Sans-Papiers-Anlaufstelle 
über ihre eigene bewegte Geschichte.

Bea Schwager: «In London waren die AktivistInnen nicht so engstirnig, wie ich das aus der Schweiz kannte.»

WOZ: Frau Schwager, in der letzten Woche haben Sie den steten Kampf gegen die Mühlen der Migrationsbehörden beschrieben, den Sie und Ihre KlientInnen führen. Wie schaffen Sie es, sich täglich aufs Neue für diesen Kampf zu motivieren?
Bea Schwager: Motiviert bin ich deshalb, weil ich politisch etwas verändern will. Die aktuellen sozialen und politischen Verhältnisse sind es also, die mich motivieren. Das war ­eigentlich schon immer so.

Was heisst «schon immer»?
Ich bin in Flawil aufgewachsen, im Kanton St. Gallen. In unserem Dorf lebten sehr viele Ausländerinnen und Ausländer, die dort in der Industrie arbeiteten. Ich ging mit vielen Kindern zur Schule, die zu Hause eine andere Sprache sprachen – und ich spürte die Diskriminierung dieser Kinder und ihrer Eltern. Das hat mich schon als kleines Mädchen sehr wütend, gemacht, es störte und verstörte mich zugleich. Die Auseinandersetzung mit Diskriminierungs- und Unterdrückungsmechanismen ist, seit ich denken kann, für mich zentral gewesen.

Das war auch mit ein Grund, weshalb ich als Jugendliche zusammen mit meinen Freunden mitten in Flawil einen sogenannten Dritt­weltladen gründete. Wir verkauften dort Kaffee aus Guatemala, Honig aus Uganda oder Tansania sowie Freilandeier aus der Region. Und wir haben damals auch eine Aluminiumsammelstelle eingerichtet – das war fortschrittlich (lacht).

Sie starteten bereits in jungen Jahren eine Karriere als Kleinunternehmerin?
Nein. Auch hier war mir die Sensibilisierung der Leute – für den Herstellungsprozess der Produkte, die Lohn- und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen –, also die politische Arbeit, weit wichtiger als der Laden selber und der Verkauf der Produkte. Deshalb engagierte ich mich auch in migrationspolitischen und antirassistischen Kreisen oder Organisationen.

Wo und wie haben Sie sich engagiert?
Mitte der neunziger Jahre war ich beim Antirassismus-Café in Zürich dabei und setzte mich mit anderen für abgewiesene Asyl­suchende aus Sri Lanka ein, indem wir mit den Flüchtlingen ein Refugium einrichteten. Solche Refugien gab es mehrere in diversen Schweizer Städten. Sie waren die Antwort auf die damals erfolgte Verschärfung des Asyl- und Ausländerrechts.

Zu dieser Zeit begann ich, mich mithilfe von Rechtsanwältinnen und -anwälten ins Asylgesetz einzuarbeiten. Als Freiwillige engagierte ich mich bei der Freiplatzaktion für Asylsuchende, beriet Leute, die in einem Asylverfahren steckten, und schrieb Gesuche an Kantons- und Bundesbehörden. Bereits damals wurde die Idee diskutiert, Anlaufstellen für Sans-Papiers einzurichten.

Dazu kam es aber erst rund zehn Jahre später.
Ja, die Anlaufstellen waren quasi die direkte Reaktion auf die unmögliche Härtefallpolitik von Bund und Kantonen. Als ich dann die Stelle für die SPAZ ausgeschrieben sah, wusste ich, dass ich das unbedingt will, dass das genau mein Job ist.

Was hat Sie denn von Flawil nach Zürich verschlagen?
Nach Zürich kam ich über Umwege. Ich besuchte die Kantonsschule in St. Gallen, brach diese jedoch ab, um eine Buchhändlerlehre zu machen, und zog dann auch in die Stadt. Doch lange wollte ich da nicht bleiben. Ich interessierte mich schon früh für die Autonomia-­Bewegung, weshalb es mich in den Süden, nach Italien, zog. Anfang der Achtziger brach ich dann auf, um zuerst in Siena und dann in Bologna Italienisch und Englisch zu studieren. Ich wollte Dolmetscherin werden und war überzeugt, definitiv ausgewandert zu sein.

1984 verbrachte ich ebenfalls für das Studium ein halbes Jahr in London. Da war damals ziemlich was los: Die Bergarbeiter streikten, Margaret Thatcher schuf den Greater London Council ab, also die Londoner Zentralverwaltung, weil sie ihr zu links war. Es gab täglich Demos, und ich nahm an diversen Lese- und Politzirkeln teil. In Brixton gab es eine Art Infocafé, in dem sich die unterschiedlichsten Leute zu Veranstaltungen und Diskussionen trafen. Das war eine interessante Zeit!

Was hat Ihnen so gefallen?
Die AktivistInnen dort waren nicht so engstirnig, wie ich es aus der Schweiz kannte. Die Leute dort wussten Politik durchaus auch mit guten Partys zu verbinden – und der Machismo war in England weit weniger spürbar als in Italien. Zudem verfolgte Italien damals auch eine enorm repressive Politik. Viele Leute aus der Bewegung sassen im Gefängnis, der Aufbruch war mit harter Repression bestraft worden. Während sich meine Freundinnen und Freunde politisch und ökonomisch in einem sehr engen Raum bewegen mussten, konnte ich jederzeit wieder in die Schweiz zurückreisen. Meine privilegierte Situation kam mir ziemlich komisch vor, das war nicht nur einfach. Ich wollte dann unbedingt nach London ziehen. Ich hatte mir auch bereits ein WG-Zimmer gesichert, wollte nur kurz nach Bologna zurück, um das Studium zu beenden …

… aber?
In Venedig lernte ich an einer politischen Veranstaltung einen Zürcher kennen. Und so wurde aus London schliesslich Zürich.

Bea Schwager (50) leitet seit August 2005 die Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich (SPAZ).