Durch den Monat mit Andreas Simmen (TEIL 4): Warum durfte Jesús Díaz nie mehr zurück nach Kuba?

Nr. 8 –

Im letzten Februar-Interview spricht Andreas Simmen über seine Zeit bei der WOZ und über historische Ereignisse wie den Computerstreit und die Veranstaltung, die Kuba erzürnte, sowie über Errungenschaften wie die deutschsprachige Ausgabe von «Le Monde diplomatique».

Andreas Simmen: «Wir hatten in der WOZ beschlossen, an einer solidarischen, aber eben auch kritischen Haltung gegenüber Kuba festzuhalten.»

WOZ: Herr Simmen, Sie initiierten, dass der WOZ jeden Monat eine deutschsprachige Ausgabe von «Le Monde diplomatique» beiliegt.
Andreas Simmen: Als ich ins Auslandsressort wechselte, brach der Aufstand im mexikanischen Bundesstaat Chiapas los, und meine erste Aufgabe war es, die Mexiko-Berichterstattung aufzubauen, die bisher kaum existiert hatte. Das erreichte man nicht zuletzt mit dem Lesen von Zeitungen, die dazu etwas zu sagen hatten, etwa dem italienischen «Manifesto». Das war auch die erste Zeitung, die eine übersetzte Version des «Monde diplomatique» herausgab. Ich reiste nach Rom, um zu erfahren, wie die das machten, mit dem Ziel, eine deutschsprachige Ausgabe als Beilage der WOZ anzuregen. Bald darauf kam auch die «taz» auf dieselbe Idee, es entbrannte ein kleiner Konkurrenzkampf, aus dem die «taz» dank grösserem Einzugsgebiet als Siegerin hervorging. Am Ende raufte man sich dann zusammen und beschloss, dass die Beilage von beiden Zeitungen produziert wird und beiden beiliegt.

Wie funktionierte diese Produktion?
Zu Beginn ging ich jeden Monat für zehn Tage nach Berlin. Die Anfänge waren sehr chaotisch. Wir waren nur zu zweit, und meine Kollegin, eine frühere Mitarbeiterin des Rotbuchverlags, hatte noch nie Zeitung gemacht. Es gab ein uns völlig fremdes Redaktionssystem. Hinzu kam, dass die Produktionsabteilung quasi im Bummelstreik war, weil sie es missbilligte, dass ihr die Produktion einer zweiten Zeitung aufgezwungen worden war. Und irgendwann erlitt auch noch eine Korrektorin, die wichtigste «Scharnierperson» zwischen Redaktion und Produktion, einen Nervenzusammenbruch. Es ist für mich heute noch ein Wunder, dass die erste Ausgabe rechtzeitig zustande kam.

Gab es Meinungsdifferenzen mit der «taz»?
Einige. Die wichtigste: Ich drängte darauf, dass die Ausgabe für die WOZ wirklich eine Übersetzung des französischen Originals sein sollte, während die «taz» schnell begann, auch eigene Texte zu integrieren. Wir machten dann einfach unsere Ausgabe, ohne «taz»-Texte. Heute ist das ja leider nicht mehr so, und man muss, wenn man den «Diplo» lesen will, wieder auf das Original zurückgreifen.

An einem anderen wichtigen Ereignis in der WOZ-Geschichte waren Sie ebenfalls beteiligt: Eine WOZ-Veranstaltung führte 1992 dazu, dass der kubanische Schriftsteller Jesús Díaz sein Heimatland nie mehr betreten durfte.
Der Vortrag mit anschliessender Diskussion bildete den Auftakt zur Reihe «Schöne neue Weltordnung». Wir wollten nach dem Ende des Kalten Kriegs eine Diskussion über die Hoffnungen und Ängste eröffnen, welche die Zeitenwende um 1990 mit sich brachte. Das entsprach einem grossen Bedürfnis, die Veranstaltungen wurden sehr gut besucht, es kamen bis zu tausend Leute. Das Gespräch mit Jesús Díaz und dem uruguayischen Schriftsteller Eduardo Galeano sollte sich ums Thema «500 Jahre Kolonialismus in Lateinamerika» drehen. Wir hatten das Manuskript von Díaz in der WOZ vorliegen, und es gab kaum Grund zur Annahme, dass die Situation im anschliessenden Podiumsgespräch eskalieren würde. Er geisselte die kubanische Kulturpolitik als zerstörerisch für die reiche Kultur der Insel und beklagte den Realitätsverlust der Nomenklatura und deren Willkürentscheidungen. Und er kritisierte die Kuba-Solidaritätsszene, die das nicht sehen wollte, und griff deswegen auch den anwesenden Galeano direkt an. Dieser hätte beinahe das Podium verlassen. Eduardo hat Jesús diesen öffentlichen Angriff allerdings nie verziehen.

Was geschah dann?
Jesús Díaz wusste, dass er nicht mehr nach Kuba zurückkehren konnte, was ihn zeitlebens sehr geschmerzt hat. Nach der Veranstaltung organisierten wir ein Gespräch mit Vertretern der Kuba-Solidaritätsbewegung in Zürich, das sehr anständig verlief. Erst Wochen später, als der Verbannungsbrief des kubanischen Kulturministers bekannt wurde, war Díaz auch für die hiesige Soliszene der grosse Verräter. Das zog dann etliche Besuche von erzürnten Delegationen der Solidaritätsbewegung auf der WOZ-Redaktion nach sich. Doch wir hatten beschlossen, nicht zurückzukrebsen und an einer solidarischen, aber eben auch kritischen Haltung gegenüber Kuba festzuhalten.

Reden wir noch über ein anderes Ereignis: die legendäre Computerdebatte in der WOZ.
Das war eine Scheindebatte. In Wirklichkeit war es ein Streit um die politische Ausrichtung: um die Frage, ob sich die WOZ als linkes Forumsblatt positionieren oder Verlautbarungsblatt einer «linken Avantgarde» sein sollte. Wir haben uns später lustig darüber gemacht, wohin es die Protagonisten der Pro-Avantgarde-Anti-Computer-Bewegung verschlug. Einer sitzt heute in der Chefredaktion des «Tages-Anzeigers». Ich war für die Computer und dafür, dass die WOZ zum Leitmedium für die ganze Schweizer Linke wird, und das ist sie heute noch, vielleicht mehr denn je.

Mehr denn je?
Die Zeitung ist thematisch breiter geworden und vor allem in der Inlandberichterstattung auch relevanter. Allerdings waren wir damals auch nicht ganz so konkurrenzlos. Es gab immerhin noch ein paar andere linke Blätter …

Andreas Simmen (58), Programmleiter des Rotpunktverlags, arbeitete bei der WOZ in allen der damals drei Ressorts, Kultur, Ausland, Inland, im Inland allerdings nur drei 
Jahre und mehr «aus Pflichterfüllung, weil es 
dort gerade jemanden brauchte».

Durch den Monat mit Andreas Simmen Teil 1
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