Nachruf: In Erinnerung an Eliane Schweitzer

Nr. 16 –

Für die «Blick»-Sex- und Liebesberaterin war die WOZ das «Aphrodisiakum schlechthin».

«Clack, clack, clack, clack …» Eliane stöckelt in eleganten Schuhen rasch durch den Hof der Hellmi-Siedlung in Zürich. Die Farben von Schuhen und Kleidern sind stets fein abgestimmt auf das leuchtend rot gefärbte Haar. Es muss zwischen zehn und elf Uhr morgens sein. Eliane ist wie immer leicht verspätet unterwegs zum Achter-Tram, das sie von der Bäckeranlage zur Arbeit in der Nähe des Bellevues bringt.

Seit 1996 verfasste sie die Beratungskolumnen zu Sex und Liebe für den «Blick». Da hatte sie die WOZ bereits abonniert; 2003 verfasste sie einen Beitrag für die WOZ-Festschrift «Die Kapitalerhöhung». Neben Tipps zur Bewältigung des Alltags erzählt sie dort, weshalb sie Abonnentin geworden ist. Diesen Text mit dem Titel «Die WoZ – das Aphrodisiakum schlechthin» wollen wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten (siehe unten).

Das «clack, clack, clack, clack …» ist verstummt, dem Krebs ist Eliane nicht entkommen.

Am Sonntag, 22. April 2012, um 14 Uhr findet in 
der Zürcher Kanzleiturnhalle eine Abschiedsfeier für Eliane Schweitzer statt.

Eliane Schweitzer : Die WoZ – das Aphrodisiakum schlechthin

Dass es die WoZ braucht und warum sie nicht verschwinden darf, könnte ich natürlich mit dem Inhalt, dem Engagement der WoZ-MacherInnen und dem Vergnügen der LeserInnen begründen. Ich weiss aber noch einen andern wichtigen Grund: Die WoZ hilft bei der Partnersuche, liefert wichtige Hinweise für die optimale Partnerwahl und schützt vor Lustlosigkeit, die bekanntlich darauf beruht, dass man sich nichts mehr zu sagen hat. Die WoZ ist auch beim One-Night-Stand unverzichtbar. Da sogar besonders. Sie kann einen Reinfall mildern, allfällige Bedenken kurz vor dem Vollzug zerstreuen, und sie sorgt am nächsten Morgen für einen einigermassen guten Abgang. Allerdings nur, wenn sie gut sichtbar auf dem Nachttisch platziert ist. Oder neben der Matratze zwischen leeren Bierdosen, vollen Aschenbechern und den Socken vom Vortag. Sagt er/sie nämlich: «He, super, ist das die neue?», oder: «Wow, die WoZ», hatte man beim Aufriss ein glückliches Händchen. Es liegt jetzt auch diese und jene Fehlmanipulation drin; selbst ein leerer Kühlschrank und/oder akute bleierne Müdigkeit wird die/den frisch EroberteN nicht mehr aus dem Schlafzimmer treiben. Nicht in dieser Nacht. Denn man ist vom selben Stamm. Auch wenn am nächsten Morgen beiden klar ist, dass es nicht die grosse Liebe werden wird, so weiss man doch, worüber reden. Über den letzten Abend vielleicht, über das Wetter und die Weltlage. Und natürlich über die WoZ. Warum man sie liest, dass man sie nicht missen möchte und warum sie nicht verschwinden darf.

Dieser Tipp zur Überbrückung möglicher peinlicher Momente vorher und nachher gilt natürlich auch für WoZ-LeserInnen, die One-Night-Stands nur vom Hörensagen kennen. Sie drapieren die Zeitung einfach ein paar Tage oder Wochen später an einer gut sichtbaren Stelle. Auf dem Salontisch in der Bibliothek vielleicht, in die man sich vorher für ein gutes Gespräch zurückzieht. Oder auf einer Ecke des gepflegt gedeckten Esstischs, gleich neben der Stoffserviette. Selbstverständlich gibt es eine dritte Variante, die sich sowohl für den One-Night-Stand eignet als auch für das Paar, das zuerst lange darüber nachdenken muss. Denn natürlich treiben WoZ-LeserInnen nicht immerzu Inzucht; wer sind wir denn! Eben, wir sind sehr tolerant und können uns durchaus in einen Menschen verlieben, der noch nie in den Lokalen der einschlägigen Szene gesichtet wurde und die WoZ nicht kennt. Das ist der Moment, wertvolle Missionsarbeit zu leisten und gleichzeitig sich selbst ins allerbeste Licht zu rücken, indem man dem neuen Liebes- und Lustobjekt die WoZ hinstreckt und sagt: «Die musst du mal lesen!» (am Morgen nach einem gelungenen One-Night-Stand). Oder indem man ein WoZ-Probe-Abo schenkt (nach dem ersten Rendezvous). Danach kommt aus, ob wir diese Beziehung später als libidogesteuerten bedauerlichen Fehltritt abbuchen müssen oder als Beginn einer Herzensverbindung feiern können.

Obige Ausführungen, die theoretisch anfechtbar sein mögen, werde ich nun mit einem Fallbeispiel anschaulich darstellen. Und zwar an meinem eigenen. Es drängt mich, endlich Zeugnis abzulegen, dass ich manches, worüber ich schreibe, auch selber mache. Was One-Night-Stands betrifft, so will ich allerdings weiter darüber schweigen. Und zwar für immer. Die Brautwerbung, das Missionieren hingegen wurde vor vielen Jahren auch an mir praktiziert. Mit Erfolg, wie dieser Beitrag beweist. Wieder einmal frisch verliebt, liess ich mir in einer Kneipe, diesmal wars das «Coopi», vom wie immer attraktivsten Mann der westlichen Hemisphäre einmal mehr die Welt erklären. Männer tun das gern. Und ich mag es, wenn sie zeigen wollen, was sie alles drauf haben. Auch dieser Mann hatte das Pulver erfunden und noch einiges dazu. Ich lauschte seinen wohlgesetzten Worten, nickte und kaute auf einem zähen Entrecote herum, das in Kräuterbutter schwamm. Ich machte also «mmmmhh», «aha» und «soso» und versuchte das Fleisch so zu schneiden, dass der ölige See dabei nicht über den Tellerrand schwappte, als er fragte, ob ich die WoZ lese! Und kurz darauf die magischen Worte sprach: «Musst du aber!»

Ich nahm einen ganz grossen Schluck Wein, wischte mir den Mund mit der fettigen Papierserviette ab und lehnte mich entspannt und glücklich zurück: Ich hatte es geschafft! Er liebte mich auch! Er meinte es ernst! Als bald darauf die WoZ im Briefkasten lag, von ihm für mich abonniert, war das bloss noch die Bestätigung, dass er allerhand mit mir vorhatte. Allerdings auch, dass er mich idealisierte. Denn ich hatte am Anfang ziemlich Mühe, die komplizierten Artikel mit den vielen Fremdwörtern zu verstehen. Entweder ist die WoZ heute verständlicher geschrieben, oder ich habe mich an ihr weitergebildet. Egal. Fortan kaute ich nicht mehr schweigend auf dem zähen Stück Fleisch herum, sondern schwärmte vom Monster, wunderte mich über die kompliziert gedrechselten Sätze einer Filmkritikerin oder machte mich über einen sensiblen Körnlipicker lustig, der über ein Kleininserat eine Frau suchte. Manchmal, wenn ich die drei Dezi flüssiger Kräuterbutter mit den Kroketten auftunkte, dachte ich darüber nach, dass ich ohne die WoZ längst mit einem andern Mann in einem andern Lokal sässe, wo das Entrecote bestimmt weicher wäre und die Sauce weniger üppig. Und dass das Essen, der Mann und die Gespräche trotzdem nicht halb so gut wären. Als ich diesen Gedanken einmal beim Grappa (Fettverteiler!) aussprach, kam aus, dass mein Freund die WoZ seit Jahren regelmässig als Aphrodisiakum einsetzte. Und zwar mit solch nachhaltigem Erfolg, dass er, wie er sagte, schon deshalb nie würde auf die WoZ verzichten wollen. Er ist mir von all meinen Exmännern der liebste und ein guter Freund dazu, weil er der Erste war, der mir eine Lektüre zutraute, an der man, wie am Entrecote im «Coopi» selig, manchmal lange kauen muss, bis alles runtergeht. War dort die Kräuterbutter das unverzichtbare Gleitmittel, sind es in der WoZ das Monster, al dente, die WoZnews und der literarische Beitrag auf der letzten Seite. Es gab auch immer wieder wertvolle Hintergrundgeschichten. Mein absoluter Favorit ist noch immer jener zweiseitige Bericht eines arg gebeutelten Matrosen mit minutiöser Auflistung sämtlicher Drogen, die einzunehmen er gezwungen war. Den trug ich lange in meiner Handtasche herum, um bei meiner Missionsarbeit belegen zu können, warum es die WoZ braucht und warum sie niemals verschwinden darf. Was noch? Selbstverständlich kann man ein gutes Aphrodisiakum nicht bloss als wertvolle Hilfe für eine lange, glückliche Vereinigung einsetzen, sondern auch als Lockmittel! Darauf kam ich im Zug zwischen Zürich und Langenthal, als ein Mann schräg vis-à-vis die WoZ aus einem Mäppchen zog. Er eignete sich aus mehreren Gründen nicht als Lustobjekt. Jedenfalls nicht für mich. Aber er brachte mich auf eine Idee. Seither habe ich sie immer bei mir, die WoZ, wenn ich nach Langenthal oder gar noch weiter bis Bern fahre. Ich lege sie jeweils gut sichtbar hin. Auf den Mantel, die Jacke oder die Handtasche. Wer weiss, ob sich nicht irgendwann ein unglaublich gut aussehender Mann zu mir beugt und sagt: «He, ist das die neue?», oder: «Wow, die WoZ». Bevor ich antworten kann, wird er sich in den Sitz gegenüber werfen und fragen: «Darf ich?» Er wird dabei zur WoZ greifen, aber es ist nicht die WoZ, die er will! Und tatsächlich, kurz vor Langenthal (oder Bern) sagt er, ich könne jetzt nicht einfach aussteigen. Er sei ja noch im ersten Bund. Das leuchtet mir ein. Später, im Speisewagen, zwischen Montreux und Genf, wird er sagen, warum er mich braucht und dass ich nie mehr aus seinem Leben verschwinden darf. Und damit das passieren kann, braucht es selbstverständlich die WoZ. Deshalb darf sie auf keinen Fall verschwinden.